27.06.2016 Zivilrecht

OGH: Zur Sittenwidrigkeit eines Verzichts auf Verzugszinsen

Bei einem „bewusst“ geschlossenen größeren Geschäft von Vertragspartnern, die sich „auf Augenhöhe“ begegnen, reicht eine Bevorzugung einer Vertragspartei bei einer einzelnen Vertragsklausel regelmäßig nicht aus, um diese als teilnichtig zu qualifizieren


Schlagworte: Sittenwidrigkeit, Zahlungsverzug, Verzugszinsen, Verzicht, Ungleichgewichtslage, Missverhältnis
Gesetze:

 

§ 879 ABGB, § 1333 ABGB, §§ 455 ff UGB, ZahlungsverzugsRL

 

GZ 10 Ob 52/15t, 07.06.2016

 

OGH: Gem § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Falls aufgrund der Dispositivität von § 1333 Abs 1 ABGB bzw §§ 455 ff UGB ein gesetzliches Verbot fehlt, kommt Sittenwidrigkeit der Vereinbarung in Betracht. Eine solche kann allerdings nur dann angenommen werden, wenn eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt. Letztlich geht es also um die Frage einer groben Äquivalenzstörung; eine solche kommt grundsätzlich auch bei Vereinbarungen über Verzugszinsen in Betracht. Das Sittenwidrigkeitskorrektiv ist im Hinblick auf die Vertragsfreiheit restriktiv einzusetzen; aus einer Ungleichheit der beiderseitigen Vertragspflichten allein kann noch nicht auf eine Sittenwidrigkeit geschlossen werden. Aus dem Ausnahmecharakter wird von der Rsp auch gefolgert, dass denjenigen, der sich auf Sittenwidrigkeit beruft, die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der die Sittenwidrigkeit begründenden Eigenschaften des Geschäfts trifft.

 

Für das Sittenwidrigkeitsurteil spielen häufig mehrere Elemente zusammen, etwa (als objektives Element) ein krasses Missverhältnis der beiderseitigen Verpflichtungen sowie (als subjektives Element) eine verdünnte Entscheidungsfreiheit auf einer Seite oder ein Ausnützen der Schwäche des Vertragspartners auf der anderen Seite, zB wenn ein Unternehmer ohne sachliche Rechtfertigung grob nachteilige Zahlungsbedingungen verwendet, indem er dem anderen unangemessen lange Zahlungsfristen oder wesentlich unter den gesetzlichen Zinsen liegende Verzugszinsen aufzwingt. Für eine Sittenwidrigkeit spricht die Intention der ZahlungsverzugsRL, Zahlungsverzügen bei unternehmerischen Geschäften wirksam entgegenzuwirken und sicherzustellen, dass die Folgen des Zahlungsverzugs von der Überschreitung der Zahlungsfristen abschrecken.

 

Bei einem „bewusst“ geschlossenen größeren Geschäft von Vertragspartnern, die sich „auf Augenhöhe“ begegnen, reicht eine Bevorzugung einer Vertragspartei bei einer einzelnen Vertragsklausel - im Vergleich zum dispositiven Gesetzesrecht - regelmäßig nicht aus, um diese als teilnichtig qualifizieren zu können. Es ist durchaus denkbar, dass ein solcher Vorteil einen Ausgleich in einem anderen Teil des Vertragsinhalts gefunden hat, etwa bei der Preisbildung.