OGH: § 195 StPO – Antrag des Opfers auf Fortführung des Ermittlungsverfahren
Es ist mit dem allgemeinen Beschleunigungsverbot (§ 9 Abs 1 StPO) und dem Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK) nicht vereinbar, wenn der Beschuldigte immer wieder mit einer auf neue belastende Umstände gestützten Verfolgung rechnen müsste, obwohl diese bereits Gegenstand des Ermittlungsverfahrens hätten sein können (oder müssen; vgl auch § 195 Abs 2 erster Satz StPO); macht der Privatbeteiligte daher von seinem Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren nicht ausreichend Gebrauch, kann er später seinen Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens (§ 195 Abs 1 StPO) nicht auf Beweiserhebungen stützen, die er bereits früher hätte initiieren können
§ 195 StPO
GZ 11 Os 149/19z, 10.12.2019
OGH: Gem § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht auf Antrag des Opfers die Fortführung eines nach §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, wenn das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (Z 1), erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachen bestehen, die der Entscheidung über die Beendigung zugrunde gelegt wurden (Z 2), oder neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, den Sachverhalt soweit zu klären, dass nach dem 11. oder 12. Hauptstück vorgegangen werden kann (Z 3).
Gem § 195 Abs 2 StPO muss der Antrag oder die Äußerung (§ 196 Abs 1 StPO) die Gründe einzeln und bestimmt bezeichnen, aus denen die Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes oder die erheblichen Bedenken abzuleiten sind. Werden neue Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht, so gilt § 55 Abs 1 StPO sinngemäß (§ 195 Abs 2 letzter Satz StPO).
Da der mit dem Fortführungsantrag vorgelegte Kostenvoranschlag bereits dem Abschlussbericht der Kriminalpolizei angeschlossen war, scheidet dieser von vornherein als „neues“ Beweismittel aus.
Auf beigebrachte neue Tatsachen und Beweismittel kann der Fortführungsantrag gestützt werden, wenn diesen die Eignung zur Änderung der Beweislage innewohnt und das Vorbringen in Bezug auf neue Tatsachen und Beweismittel sinngemäß den Anforderungen des § 55 Abs 1 StPO genügt, wobei der Fortführungswerber die Eignung der Neuerungen, die Beweislage entsprechend zu verändern, darzustellen hat, soweit sich die Relevanz nicht offensichtlich aus der angeführten Tatsache, dem Beweisthema oder der Art des Beweismittels ergibt.
Mit dem allgemeinen Beschleunigungsgebot (§ 9 Abs 1 StPO) und dem Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 EMRK) wäre es nicht vereinbar, müsste der Beschuldigte immer wieder mit einer auf neue belastende Umstände gestützten Verfolgung rechnen, obwohl diese bereits Gegenstand des Ermittlungsverfahrens hätten sein können (oder müssen; vgl auch § 195 Abs 2 erster Satz StPO). Macht der Privatbeteiligte daher von seinem Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren nicht ausreichend Gebrauch, kann er später seinen Fortführungsantrag nicht auf Beweiserhebungen stützen, die er bereits früher hätte initiieren können.
Dementsprechend war es dem LG verwehrt, dem Antrag auf ergänzende Vernehmung des K***** „Folge“ zu geben und die Anordnung der Fortführung der Sache nach auch (arg „den beantragten Beweismitteln kommt die Eignung zu …“ [ON 15 S 3]) auf den Beweisantrag vom 26. Februar 2019 zu stützen.
Mangels gesetzmäßiger Geltendmachung des in § 195 Abs 1 Z 3 StPO genannten Grundes hätte das LG Linz dem Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens nicht Folge geben dürfen; vielmehr hätte es diesen – da die Ausführungen zu Z 1 des § 195 Abs 1 StPO substratlose Rechtsbehauptungen darstellen – gem § 196 Abs 2 erster Satz StPO zurückzuweisen gehabt.