20.11.2008 Wirtschaftsrecht

OGH: Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG - Verfristung und begründeter Anlass

Allgemeine Ausführungen


Schlagworte: Handelsvertreterrecht, Ausgleichsanspruch, Kündigung, Auflösung, Verfristung, begründeter Anlass
Gesetze:

§ 24 HVertrG

GZ 1 Ob 275/07h, 30.09.2008

OGH: Verfristung: Auch bei Vorliegen eines dem Unternehmer zurechenbaren Umstands, der dem Handelsvertreter begründeten Anlass zur Kündigung bzw vorzeitigen Auflösung gibt, ist es erforderlich, dass dieser Umstand innerhalb angemessener Zeit nach Kenntnis geltend gemacht wird. Anders als bei Vorliegen eines wichtigen Grundes sind hier aber weniger strenge Anforderungen zu stellen. Dies folgt schon daraus, dass dem Handelsvertreter die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt - idR jedoch nicht darüber hinaus - zumutbar ist. Nützt der Handelsvertreter aber nicht die Gelegenheit, aufgrund dieses Umstands das Vertragsverhältnis ausgleichswahrend zum nächstmöglichen Kündigungstermin aufzulösen, wird man idR davon ausgehen können, dass kein derartiger Umstand vorliegt. Die Berufung auf einen solchen Umstand erst anlässlich eines Rechtsstreits über den Ausgleichsanspruch - möglicherweise erst Jahre später - ist daher nicht möglich. Auch hier wird man eine "Verwirkung" der bzw einen Verzicht auf die Geltendmachung eines solchen Umstands annehmen müssen.

Begründeter Anlass:Der Handelsvertreter behält den Ausgleichsanspruch bei Eigenkündigung ua dann, wenn dem Unternehmer zurechenbare Umstände, auch wenn sie keinen wichtigen Grund nach § 22 HVertrG darstellen, hiezu begründeten Anlass gegeben haben. Ein begründeter Anlass, der dem Handelsvertreter den Ausgleichsanspruch trotz Eigenkündigung wahrt, kann grundsätzlich in jedem Verhalten (Tun oder Unterlassen) des Unternehmers bestehen. In stRsp judiziert der BGH für den praktisch gleich geregelten § 89b Abs 3 dHGB, dass das Verhalten des Unternehmers einen vernünftigen, billig und gerecht denkenden Handelsvertreter unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls zur Kündigung veranlassen könne, weil diesem die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden könne. An einen begründeten Anlass sind geringere Anforderungen zu stellen als an einen wichtigen Grund. Das sagt schon das Gesetz ausdrücklich. Es kommt somit in keiner Weise auf ein Verschulden des Unternehmers an. Damit kann sogar ein vertragsgemäßes Verhalten des Unternehmers dem Handelsvertreter einen begründeten Anlass zur Kündigung des Vertragsverhältnisses geben, ohne dass dadurch der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gefährdet würde. Nach der (vergleichbaren) deutschen Rechtsprechung kann ua in folgenden Einzelfällen ein begründeter Anlass zur Eigenkündigung des Handelsvertreters vorliegen: Verkürzung der Provisionschancen, verspätete Zahlung der Provision, Erschwerung der Tätigkeit und Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Grundlage des Handelsvertreters. Die Umstände, die Anlass für die Kündigung geben, müssen dem Unternehmer zuzurechnen sein. Zurechenbar bedeutet aber nicht, dass sie der Unternehmer verschuldet haben muss. Die Zurechenbarkeit soll nur zum Ausdruck bringen, dass nicht auch Umstände, die außerhalb des Einflussbereichs des Unternehmers liegen, wie etwa höhere Gewalt, den Handelsvertreter zu einer ausgleichswahrenden Kündigung berechtigen. Zuzurechnen sind daher alle in die Unternehmersphäre fallenden Umstände. Es muss sich dabei aber grundsätzlich um ein Verhalten des Unternehmers im weitesten Sinn - dh Tun oder Unterlassen - handeln. Dieses Verhalten muss weiters den Handelsvertreter in eine für ihn nicht haltbare Lage bringen, sodass ihm die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses über den nächsten ordentlichen Kündigungstermin hinaus nicht mehr zugemutet werden kann. Erforderlich, aber auch ausreichend ist sohin, dass durch das Verhalten des Unternehmers bzw durch die dem Unternehmer zurechenbaren Umstände eine für den Handelsvertreter nach Treu und Glauben nicht mehr hinnehmbare Situation geschaffen wird, die ihm die Fortsetzung des Vertrags unzumutbar macht.