26.08.2010 Wirtschaftsrecht

OGH: Zu den Folgen des Verlusts der beim Abruf vorzulegenden Original-Bankgarantie

Die formelle Garantiestrenge gilt nach entsprechender Interessenabwägung zugunsten des Begünstigten dann nicht uneingeschränkt, wenn die exakte Erfüllung der Garantiebedingungen an Umständen scheitert, die vom Begünstigten weder beeinflusst wurden noch zu beeinflussen waren, wenn die Hindernisse also nicht seiner Sphäre zuzurechnen sind; trifft letzteres hingegen zu, hat der Begünstigte die Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich pedantisch genau zu erfüllen


Schlagworte: Garantievertrag, Bankgarantie, Verlust der Original-Bankgarantie
Gesetze:

§ 880a ABGB, § 914 ABGB, § 915 ABGB

GZ 7 Ob 232/09g, 30.06.2010

OGH: Die Vorinstanzen sind den von der Rsp entwickelten Grundsätzen zur Inanspruchnahme einer Bankgarantie gefolgt. Danach muss der Garant zur Sicherung seiner Rückgriffsansprüche vom Begünstigten die strikte, "pedantisch genaue" Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen verlangen ("formelle Garantiestrenge"). Entspricht ein bei der Inanspruchnahme der Garantie vorzulegendes Dokument nicht dem in der Garantieurkunde vorgeschriebenen Inhalt, dann liegt keine formgerechte Inanspruchnahme vor, und der Garant kann die im Garantievertrag verbriefte Leistung ablehnen. Auch die im Rahmen eines Garantievertrags abgegebenen Erklärungen des Garanten unterliegen allerdings den Auslegungsregeln der §§ 914, 915 ABGB. Dabei ist auf die konkreten Umstände, insbesondere auf den Geschäftszweck und die Interessenlage der Beteiligten, Bedacht zu nehmen. Die formelle Garantiestrenge ist in diesem Zusammenhang "kein Selbstzweck", sondern gilt nur soweit, als das dem Willen der Vertragsparteien entspricht.

Die formelle Garantiestrenge gilt nach entsprechender Interessenabwägung zugunsten des Begünstigten dann nicht uneingeschränkt, wenn die exakte Erfüllung der Garantiebedingungen an Umständen scheitert, die vom Begünstigten weder beeinflusst wurden noch zu beeinflussen waren, wenn die Hindernisse also nicht seiner Sphäre zuzurechnen sind. Trifft letzteres hingegen zu, hat der Begünstigte die Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich pedantisch genau zu erfüllen.

Die in der Garantieerklärung verlangte Vorlage der Original-Bankgarantie stellt hier das einzige beim rechtzeitigen Abruf der Garantie von der Begünstigten zu erfüllende Erfordernis dar. Da unstrittig ist, dass das Original der Bankgarantie der Klägerin ursprünglich zugegangen war, bildet dessen Vorlage beim Abruf grundsätzlich keinen externen, für die Begünstigte unbeeinflussbaren Umstand. Der Nachweis, dass die Originalurkunde - wie von der Klägerin behauptet - am Postweg, also außerhalb ihrer Sphäre und ihres Einflussbereichs in Verlust geraten ist, gelang ihr angesichts der dazu getroffenen Negativfeststellung nicht. Für diesen für sie günstigen Umstand trifft aber die Klägerin die Beweislast, weshalb diese Unklarheit über den Grund des Verschwindens zu ihren Lasten geht und das Unterbleiben der Vorlage der Original-Bankgarantie der Sphäre der Klägerin zuzuordnen ist. Deshalb haben die Vorinstanzen zutreffend von ihr die pedantisch genaue Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen, also die Vorlage des Originals der Bankgarantie verlangt.

Es ist beiden Vorinstanzen auch dahin beizupflichten, dass bei der vorliegenden Konstellation das Bestehen eines zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigenden schwerwiegenden ("handfesten") Grundes, der ein Abweichen vom Wortlaut der Garantie rechtfertigen könnte, zu verneinen ist.

Angesichts der ungeklärten, eine Sorglosigkeit der Klägerin nahe legenden Umstände des Verschwindens der Original-Bankgarantie ist ihr nämlich ein legitimes Interesse am Abgehen vom klaren und grundsätzlich leicht zu erfüllenden Wortlaut der Garantieerklärung abzusprechen. Keinesfalls überwiegt ihr (wirtschaftliches) Interesse daran das Gewicht des - von der Klägerin ohnehin anerkannten - Interesses der Beklagten an Rechtssicherheit nicht nur gegenüber dem Begünstigten, sondern auch gegenüber dem Garantieauftraggeber. Beim Ablauf der Zahlungsfrist von 3 Tagen nach dem Abruf der Bankgarantie mag zwar eine neuerliche Inanspruchnahme unter Vorlage des Originals wenig wahrscheinlich erschienen sein, dennoch konnte die Beklagte ein solches Szenario schon deshalb nicht gänzlich ausschließen, weil der Verbleib und die aufrechte Existenz der Original-Bankgarantie damals jedenfalls für sie unklar waren. Überdies würde die Bejahung der Zahlungspflicht der Beklagten auferlegen, das Abweichen vom unzweifelhaften Wortlaut ihrem Auftraggeber plausibel machen zu müssen, um eine (gerichtliche) Inanspruchnahme durch diesen zu vermeiden. Weil hier das Unterbleiben der Vorlage der Original-Bankgarantie ausschließlich der Sphäre der Klägerin zuzuordnen ist, wäre eine Belastung der beklagten Garantiegeberin mit diesen Risken und möglichen Schwierigkeiten unzumutbar und ist deshalb abzulehnen.