EuGH: Keine Beschränkung des Kapitalverkehrs durch eine nationale Regelung, wonach der Übergang des Nachlasses eines Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats, der innerhalb von 10 Jahren nach Verlegung seines Wohnsitzes aus dem betreffenden Mitgliedstaat verstorben ist, so besteuert wird, als wäre der Erblasser in diesem Staat wohnen geblieben
Art 56 Abs 1, Art 57 Abs 1, 58 Abs 3 EGV
Mit Urteil vom 23.02.2006 zur GZ C-513/03 hat sich der EuGH mit der Erbschaftssteuer befasst:
Frau van Hilten-van der Heijden starb am 22. 11.1997. Sie war niederländische Staatsangehörige und hatte bis Anfang 1988 in den Niederlanden, anschließend in Belgien und seit 1991 in der Schweiz gelebt. Nach niederländischem Recht wird jeder Erwerb von Todes wegen besteuert. Dabei wird unterschieden, ob der Erblasser in den Niederlanden oder im Ausland gelebt hat. Ein niederländischer Staatsangehöriger, der innerhalb von 10 Jahren nach seinem Fortzug aus den Niederlanden verstirbt oder eine Schenkung macht, gilt als zum Zeitpunkt seines Todes oder der Schenkung in den Niederlanden wohnhaft und wird der Übergang des Nachlasses bzw die Schenkung so besteuert, als wäre der Erblasser/Geschenkgeber in den Niederlanden wohnen geblieben.
Der niederländische Gerechtshof 's-Hertogenbosch hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die oa nationale Regelung in den Anwendungsbereich von Art 57 Abs 1 und/oder Art 58 Abs 3 EGV fällt.
Dazu der EuGH: Es ist erstens zu prüfen, ob der Erwerb von Todes wegen Kapitalverkehr im Sinne von Art 56 EGV ist. Da mit dem Erbfall das Vermögen, das ein Verstorbener hinterlässt, auf eine oder mehrere Personen übergeht, handelt es sich beim Erwerb von Todes wegen um Kapitalverkehr im Sinne von Art 56 EGV.
Zweitens ist zu prüfen, ob eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige eine Beschränkung des Kapitalverkehrs darstellt. Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass zu den Maßnahmen, die durch Artikel 56 Abs 1 EGV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verboten sind, solche gehören, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Mitgliedstaaten abzuhalten, oder im Fall von Erbschaften solche Maßnahmen, die eine Wertminderung des Nachlasses dessen bewirken, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem ansässig ist, in dem sich die betreffenden Vermögensgegenstände befinden, und der deren Erwerb von Todes wegen besteuert. Indessen stellt eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nach der der Übergang eines Nachlasses eines Angehörigen eines Mitgliedstaats, der innerhalb von 10 Jahren nach Verlegung seines Wohnsitzes ins Ausland verstorben ist, so besteuert wird, als wäre dieser Staatsangehörige im selben Mitgliedstaat wohnen geblieben, wenn auch unter Befreiung in Höhe der Erbschaftsteuer, die in dem Staat erhoben wird, in den der Verstorbene seinen Wohnsitz verlegt hatte, keine Beschränkung des Kapitalverkehrs dar. Dadurch, dass diese Regelung die gleiche Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen für Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt haben, und für solche, die im betreffenden Mitgliedstaat geblieben sind, vorsieht, hält sie nämlich weder die Erstgenannten davon ab, von einem anderen Mitgliedstaat aus Investitionen in dem betreffenden Mitgliedstaat zu tätigen, noch die Letztgenannten davon, von dem betreffenden Mitgliedstaat aus Investitionen in einem anderen Mitgliedstaat zu tätigen. Zudem hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass es für die Mitgliedstaaten nicht sachfremd ist, sich zum Zwecke der Aufteilung der Steuerhoheit an der internationalen Praxis und den von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erarbeiteten Musterabkommen zu orientieren. Wie die niederländische Regierung ausgeführt hat, entspricht die im Ausgangsverfahren streitige Regelung dem Bericht zum Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Nachlässe, Erbschaften und Schenkungen. Aus dem Bericht geht hervor, dass eine derartige Regelung durch die Sorge gerechtfertigt ist, eine Form der Steuerflucht zu vermeiden, die darin besteht, dass ein Angehöriger eines Staates im Hinblick auf seinen Tod seinen Wohnsitz in einen anderen Staat verlegt, in dem die Steuer niedriger ist.
Demnach ist Art 56 EGV dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, nach der der Übergang des Nachlasses eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats, der innerhalb von 10 Jahren nach Verlegung seines Wohnsitzes aus dem betreffenden Mitgliedstaat verstorben ist, so besteuert wird, wenn auch unter Befreiung in Höhe der von anderen Staaten erhobenen Erbschaftsteuer, als wäre der Erblasser in diesem Staat wohnen geblieben