11.08.2006 Zivilrecht

OGH: Seelische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert sind nur bei "schwersten" Verletzungen naher Angehöriger ersatzfähig


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Schmerzengeld, nahe Angehörige
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

In seinem Erkenntnis vom 12.06.2006 zur GZ 2 Ob 53/05s hatte sich der OGH mit dem Schmerzengeldanspruch eines nichtunfallbeteiligten Angehörigen wegen tiefgreifender seelischer Störung auseinander zu setzen:

Infolge überhöhter Geschwindigkeit bei einer baustellenbedingten Richtungsänderung auf der Westautobahn verursachte am 21.08.2000 ein LKW-Fahrer einen Verkehrsunfall mit einem Reisebus. Dadurch erlitten acht jugendliche Businsassen tödliche Verletzungen, während 23 weitere unbestimmten Grades verletzt wurden. Der Busfahrer selbst erlitt keine äußerlichen Verletzungen.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Zahlung von EUR 3.000 sowie die Feststellung deren Haftung zum Ersatz künftiger Schäden. Ihr Ehemann habe durch den vom Erstbeklagten grob fahrlässig verursachten Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten, die sich in einer überprotektiven Verhaltensweise ihr und ihren Kindern gegenüber äußere. Diese psychische Erkrankung des Ehemannes sowie die damit einhergehende psychosoziale Belastungssituation hätten bei der Klägerin etwa Mitte 2001 eine tiefgreifende Störung hervorgerufen. Sie befinde sich seit Anfang 2002 in ärztlicher Behandlung, weil ihre seelische Störung Krankheitswert erreiche.

Dazu der OGH: Die Ersatzfähigkeit von Schockschäden mit Krankheitswert bei Tötung naher Angehöriger wird vom OGH bejaht. Ob ein derartiger Schockschaden mit Krankheitswert auch im Fall schwerster Verletzung naher Angehöriger zu ersetzen ist, wurde bisher noch nicht entschieden. Nach der Lehre sind seelische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert allerdings nur bei "schwersten" Verletzungen naher Angehöriger so etwa bei lebenslänglicher Pflegebedürftigkeit eines Kindes durch eine Mutter oder bei dauernder Pflege eines Schwerversehrten durch eine Ehefrau, ersatzfähig.

Die Klägerin hat den Unfall nicht selbst miterlebt, sondern erlitt in der Folge eine depressive Störung. Im konkreten Fall liegt ein ersatzfähiger Schockschaden nicht vor, weil dies zur Voraussetzung hätte, dass ihr Ehemann selbst schwerste (einem Pflegefall gleichkommende) Verletzungen durch den Unfall erlitten hätte. Dies trifft hier nicht zu: Das festgestellte posttraumatische Belastungssyndrom konnte nicht als eine solche "schwerste" Verletzung qualifiziert werden.