OGH: Invalidität nach § 255 Abs 4 ASVG
Die gebotene abstrakte (und auf den Durchschnittsverdienst abgestellte) Beurteilung führt dazu, dass nicht zwischen akkord-entlohnten und nicht-akkordentlohnten Arbeitnehmern, die an sich dieselbe Tätigkeit ausüben, differenziert werden darf
§ 255 Abs 4 ASVG
GZ 10 ObS 102/08k, 09.09.2008
Das Erstgericht sprach dem Kläger die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 1. 2007 zu. Der nach § 255 Abs 4 ASVG verweisbare Kläger könne zwar Verweisungstätigkeiten ausüben, jedoch nicht mehr im Akkord, was zu einem Einkommensverlust von 30 % führen würde. Diese gravierende Einbuße sei unzumutbar iSd § 255 Abs 4 ASVG.
OGH: § 255 Abs 4 ASVG gewährt einen Tätigkeitsschutz (oder "besonderen Berufsschutz"), nicht aber einen Arbeitsplatzschutz. Ebenso wie die Vorgängerbestimmung (§ 253d ASVG) stellt § 255 Abs 4 ASVG nicht auf die konkret vom Versicherten am jeweiligen Arbeitsplatz ausgeübten (Teil-)Tätigkeiten ab, sondern auf die "abstrakte Tätigkeit" mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt.
Bei der Beurteilung, ob "eine" Tätigkeit gem § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG vorliegt, spielen die Entgeltbedingungen keine Rolle; entscheidend ist die "Tätigkeit" mit dem auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt. Der OGH hat aber eingeräumt, dass eine gravierende Lohneinbuße ein Kriterium für die Unzumutbarkeit einer Verweisung nach § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG darstellen kann, wobei auch die Prüfung der Zumutbarkeit einer solchen Lohneinbuße grundsätzlich abstrakt zu erfolgen hat. Es ist daher nicht vom individuellen früheren Verdienst des Versicherten bei seinem konkreten Dienstgeber, sondern vom Durchschnittsverdienst gleichartig Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt auszugehen. Die gebotene abstrakte (und auf den Durchschnittsverdienst abgestellte) Beurteilung führt dazu, dass nicht zwischen akkord-entlohnten und nicht-akkordentlohnten Arbeitnehmern, die an sich dieselbe Tätigkeit ausüben, differenziert werden darf.