15.01.2009 Zivilrecht

OGH: Befreiung der Fahrzeuge von Verkehrsunternehmen der Gebietskörperschaften von der Haftpflichtversicherungspflicht

§ 59 Abs 2 KFG dritter Ausnahmefall ist analog auch auf die in dieser Gesetzesstelle genannten Gebietskörperschaften, die Verkehrsunternehmen betreiben, anzuwenden


Schlagworte: Versicherungsrecht, KFZ-Versicherung, Haftpflichtversicherung, analoge Anwendung des § 59 Abs 2 KFG, Wiener Linien, Stadt Wien, Ausnahme von der Haftpflichtversicherungspflicht
Gesetze:

§ 59 KFG

GZ 7 Ob 168/08v, 22.10.2008

Der Lenker eines bei der Klägerin haftpflichtversicherten LKW verschuldete einen Verkehrsunfall, bei dem ein Bus der Wiener Linien GmbH&Co KG beschädigt wurde. Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer dieses Busses. Im Verfahren musste geklärt werden, ob die Wiener Linien GmbH&Co KG von der Haftplfichtversicherungspflicht gem § 59 Abs 2 KFG ausgenommen ist (eine freiwillige Haftpflichtversicherung ist dann dennoch möglich). Danach richtete sich die anzuwendende Norm über den Regress zwischen den Haftpflichtversicherern.

OGH: § 59 Abs 2 KFG normiert als Ausnahmetatbestand von der allgemeinen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung drei Fälle: 1. das Fahrzeug steht "im Besitz" des Bundes oder anderer Gebietskörperschaften oder2. "im Besitz" von Unternehmungen, die von Gebietskörperschaften unter ihrer Haftung betrieben werden oder 3. es handelt sich um Fahrzeuge von Verkehrsunternehmungen im ausschließlichen Eigentum des Bundes.

Der erste Ausnahmetatbestand scheidet aus, weil das am Unfall beteiligte Fahrzeug nicht "im Besitz" (gemeint ist wohl die Haltereigenschaft) einer Gebietskörperschaft stand, sondern von einer Personenhandelsgesellschaft, nämlich der Wiener Linien GmbH & Co KG gehalten wurde. Der zweite Ausnahmetatbestand des § 59 Abs 2 KFG würde voraussetzen, dass die Stadt Wien die Unternehmung unter ihrer Haftung betreibt. Da das Unternehmen eine GmbH & Co KG ist, kommt eine unmittelbare Haftung der Gebietskörperschaft nicht zum Tragen. Mit dem dritten Ausnahmetatbestand hat sich der zuständige Fachsenat des OGH in der Entscheidung 7 Ob 267/07a auseinandergesetzt und im Fall der Beschädigung eines Busses der ÖBB Postbus GmbH dessen Vorliegen bejaht. Der Bund wurde als alleiniger (wirtschaftlicher) Eigentümer dieser Verkehrsunternehmung gewertet, weil er zu 100 % Gesellschafter der ÖBB-Holding AG ist, die zu 100 % als Gesellschafterin der Österreichischen Bundesbahnen fungiert, die ihrerseits zum Unfallszeitpunkt 100 % Anteile an der ÖBB-Postbus GmbH hielt (zu 0,07 % Anteile über eine Treuhandkonstruktion). Nach dem Willen des Gesetzgebers solle die Ausnahmebestimmung auch alle jene Verkehrsunternehmungen betreffen, die infolge der Zwischenschaltung allein vom Bund beherrschter Gesellschaften letztlich (wirtschaftlich) im alleinigen Eigentum des Bundes stünden. Eine Beschränkung des Ausnahmetatbestands auf eine unmittelbare Beteiligung des Bundes an der Verkehrsunternehmung würde den erkennbaren Intentionen des Gesetzgebers zuwiderlaufen.

Im konkreten Fall ist die Beziehung der Gemeinde Wien zur Wiener Linien GmbH & Co KG mit jener des Bundes zur ÖBB Postbus GmbH ident. Auch die Stadt Wien ist alleinige Gesellschafterin und wirtschaftliche Eigentümerin jener Holding AG, die teils als Kommanditistin unmittelbar, teils als alleinige Gesellschafterin der Komplementär-GmbH mittelbar an der Wiener Linien GmbH & Co KG, die das Verkehrsunternehmen betreibt, ausschließlich beteiligt ist.

Dass der Stadt Wien die grundsätzliche Qualifikation für den Ausnahmetatbestand zukommt, ergibt sich aus der Zusammenschau der Bestimmungen des § 59 Abs 2 KFG, in dem nicht nur der Bund, sondern auch die Länder, Gemeindeverbände und Ortsgemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern grundsätzlich als Begünstigte genannt sind. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber bei gleicher Interessenlage die in § 59 Abs 2 KFG genannten Gebietskörperschaften, die Verkehrsunternehmungen betreiben, anders als den Bund behandeln wollte. Es ist von einer planwidrigen Gesetzeslücke auszugehen. § 59 Abs 2 KFG dritter Ausnahmefall ist daher analog auch auf die in dieser Gesetzesstelle genannten Gebietskörperschaften, die Verkehrsunternehmen betreiben, anzuwenden.