19.08.2010 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Richterdisziplinarrecht iZm Disziplinaranzeige eines Richters bei Rechtsanwaltskammer und Strafanzeige bei Staatsanwaltschaft wegen Verdachts, Klagen von Rechtsanwälten seien nur eingebracht worden, um den Umsatz der Kanzlei zu heben

Der Rechtfertigungsgrund des § 114 Abs 1 StGB ist der Sache nach auch in einem Disziplinarverfahren beachtlich; ein Richter hat bei der Erstattung einer Anzeige das Sachlichkeitsgebot zu wahren; bei der Prüfung der objektiv geforderten Notwendigkeit der Anzeige darf kein zu restriktiver Maßstab angelegt werden, zumal die Behandlung einer Strafanzeige durch ein Organ der Gerichtsbarkeit sicherstellt, dass damit verbundene Eingriffe in das Rechtsgut der Ehre des Angezeigten schon mit Blick auf das von den Strafverfolgungsorganen zu wahrende Amtsgeheimnis eng begrenzt sind


Schlagworte: Richterdisziplinarrecht, üble Nachrede, Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung, Rechtfertigungsgrund, Anzeigepflicht
Gesetze:

§ 57 RStDG, § 101 RStDG, § 78 StPO, § 9 RAO, § 111 StGB, § 113 StGB, § 114 StGB

GZ Ds 5/10, 28.06.2010

Dr A wird vorgeworfen, er habe sowohl in seiner Disziplinaranzeige an die Rechtsanwaltskammer als auch in seiner an die Staatsanwaltschaft gerichteten Anzeige den Verdacht geäußert, die Rechtsanwälte Dr E und Dr W hätten ihre Mandanten "mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und gewerbsmäßigem Tatbegehungsvorsatz über die Erfolgsaussichten in den von ihnen geführten Zivilprozessen getäuscht". Dies wird im angefochtenen Beschluss als Äußerung des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs qualifiziert.

OGH: Eine Bestrafung nach §§ 111, 113 StGB kommt bei jemandem, der in Ausübung einer gesetzlichen Befugnis ehrenrührige Behauptungen vorbringt, dann nicht in Betracht, wenn sich der Berechtigte im Rahmen der jeweiligen Rechtspflicht oder der eingeräumten Befugnisse hält und dazu in objektiver Hinsicht die Schranken des Notwendigen einhält. In subjektiver Hinsicht wird dazu vorausgesetzt, dass der Befugnisträger die abfällige Äußerung nicht wider besseres Wissen kundtut.

Ein Richter ist nach § 78 StPO (§ 84 StPO aF) verpflichtet, bei Bekanntwerden des Verdachts einer Straftat eine Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zu erstatten. Darüber hinaus hat er das Recht, Personen, welche der Disziplinargewalt einer Standesbehörde unterliegen, bei einem Verstoß gegen die Standesregeln bei der Disziplinarbehörde anzuzeigen.

Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte sind bei Erfüllung einer ihnen obliegenden Anzeigepflicht und bei Ausübung eines Anzeigerechts dann gerechtfertigt, wenn sie die ihrer Sachverhaltsdarstellung zugrunde liegenden maßgeblichen Tatsachen nach bestem Wissen und Gewissen erhoben haben, und sich ihre Äußerung zugleich im Rahmen tatsachenadäquater Wertungen hält.

Der Rechtfertigungsgrund des § 114 Abs 1 StGB ist der Sache nach auch in einem Disziplinarverfahren beachtlich, denn der Befugnisträger soll der ihm auferlegten Pflicht, eine Strafanzeige nach § 84 StPO aF (nunmehr § 78 StPO) zu erstatten bzw dem ihm eingeräumten Recht, eine Disziplinaranzeige einzubringen, einerseits ohne Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung durch den Angezeigten wegen einer Ehrverletzung nach § 111 StGB oder § 113 StGB, andererseits aber auch ohne Befürchtung disziplinärer Verfolgung nachkommen können.

Unter dem Aspekt der von einem Richter einzuhaltenden Standes- und Amtspflichten ist ein Richter bei der Erstattung einer Anzeige verhalten, die Schranken des Notwendigen unter Beachtung des Sachlichkeitsgebots nach § 57 Abs 3 RStDG iVm § 52 Geo zu wahren. Um aber insbesondere die Pflicht zur Anzeige nach § 78 StPO nicht ungebührlich einzuschränken, darf bei der Prüfung der objektiv geforderten Notwendigkeit der Anzeige kein zu restriktiver Maßstab angelegt werden, zumal die Behandlung einer Strafanzeige durch ein Organ der Gerichtsbarkeit (Art 90a B-VG) sicherstellt, dass damit verbundene Eingriffe in das Rechtsgut der Ehre des Angezeigten schon mit Blick auf das von den Strafverfolgungsorganen zu wahrende Amtsgeheimnis eng begrenzt sind.

Da nach den Feststellungen im Beschluss und nach der Aktenlage lediglich die Anzeige an die Staatsanwaltschaft den Vorwurf einer strafbaren Handlung nach § 146 StGB enthält, diese jedoch im Hinblick auf die aufgezeigte mehrfach, aussichtslose Prozessführung namens einer geistig offenbar nicht mehr ganz rüstigen Person den Rahmen des Notwendigen nicht sprengt und der Disziplinarbeschuldigte die subjektive Voraussetzung des Rechtfertigungsgrundes nach § 114 Abs 1 StGB erfüllt, weil er bei der Erstattung der Anzeige nicht wider besseres Wissen gehandelt hatte, begründet die Einbringung der inkriminierten Anzeigen kein disziplinär vorwerfbares Verhalten.