OGH: Zur Frage, ob im Rahmen der nach § 1304 ABGB vorgesehenen Schadensminderungspflicht eines durch Fremdverschulden Verletzten von diesem verlangt werden kann, dass er eine Umschulung vorzunehmen hat
Die Prüfung der Zumutbarkeit einer Umschulung oder der Annahme einer anderen als der bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit (als Spezialfall der Schadensminderungspflicht) kann nur einzelfallbezogen erfolgen; sie richtet sich nach vielen verschiedenen Kriterien (zB jeweils erzielbares Einkommen, Alter des Geschädigten, Sorgepflichten, Sicherheit des Arbeitsplatzes uam)
§§ 1295 ff ABGB
GZ 2 Ob 100/10k, 08.07.2010
OGH: Was dem Geschädigten im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile und den Grundsätzen des redlichen Verkehrs. Es kommt daher wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an. Ein Berufswechsel ist nach der Rsp etwa dann unzumutbar, wenn sich der Geschädigte in seiner Stellung einen gewissen Aufstieg und soziale Sicherheit verspricht, die er als nicht voll einsatzfähiger Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft nicht im gleichen Ausmaß erwarten kann. Die Schadensminderungspflicht kann auch in einer zumutbaren Umschulung bestehen. Eine solche Umschulungspflicht besteht aber nur soweit, als damit keine nennenswerte Verschlechterung der sozialen Lebensstellung und der Art des Berufs verbunden ist.
Die Prüfung der Zumutbarkeit einer Umschulung oder der Annahme einer anderen als der bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit (als Spezialfall der Schadensminderungspflicht) kann nur einzelfallbezogen erfolgen. Sie richtet sich nach vielen verschiedenen Kriterien (zB jeweils erzielbares Einkommen, Alter des Geschädigten, Sorgepflichten, Sicherheit des Arbeitsplatzes uam), was eine generalisierende Betrachtungsweise, die vom OGH vorzugeben wäre, ausschließt.
Nach der Rsp kann die Verletzung der Schadensminderungspflicht auch dann gegeben sein, wenn der Geschädigte eine ihm nachgewiesene konkrete Erwerbsmöglichkeit oder eine zu einer solchen voraussichtlich führende Umschulung ohne zureichende Gründe ausgeschlagen hat.
Soweit es darum geht festzustellen, was eine Person unter bestimmten Voraussetzungen erworben hätte, ist volle Gewissheit nicht zu erwarten, wohl aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit erforderlich. Das fiktive Einkommen kann unter Umständen nur aufgrund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden. Grundsätzlich ist das Regelbeweismaß die hohe Wahrscheinlichkeit, nicht aber eine an Sicherheit grenzende. Die von der Rsp verlangte hohe Wahrscheinlichkeit stellt aber keine objektive Größe dar. Dem Beweismaß wohnt vielmehr eine gewisse Bandbreite inne, sodass es sowohl von den objektiven Umständen des Anlassfalls als auch von der subjektiven Einschätzung des Richters abhängt, wann er diese "hohe" Wahrscheinlichkeit als gegeben sieht. Die Frage, ob sich aus dem Gesamtzusammenhang der erstinstanzlichen Feststellungen das Vorliegen dieser Überzeugung ableiten lässt, betrifft die Auslegung der Urteilsfeststellung im Einzelfall.