OGH: Zeitlicher Aufwand für Betreuung iSd § 1 EinstV und Anleitung, Beaufsichtigung und Motivationsgespräch iSd § 4 EinstV
Maßgebend ist, ob die Anleitung und Beaufsichtigung während des gesamten Zeitraums der Verrichtung der Notdurft erforderlich ist oder ob hier keine Gleichsetzung (iSd § 4 Abs 1 EinstV) zu erfolgen hat, weil bloß eine Erinnerung oder ein Anstoß zu dieser Verrichtung gegeben werden muss, worauf sie der Betroffene selbständig ohne Anwesenheit einer Betreuungsperson durchführen kann; im ersten Fall könnte nicht von einem Zeitaufwand von nur 5 Minuten täglich (= 2,5 Stunden monatlich) ausgegangen werden und eine Unterschreitung des Mindestwerts für die Betreuung bei der Verrichtung der Notdurft wäre daher nicht gerechtfertigt; während im zweiten Fall der für die genannte Verrichtung insgesamt erforderliche Pflegebedarf konkret zu ermitteln und zu berücksichtigen wäre
§ 1 EinstV, § 4 EinstV, § 4 BPGG
GZ 10 ObS 152/10s, 21.12.2010
OGH: Die Unterstützung bei der Verrichtung der Notdurft ist eine Betreuungsleistung nach § 1 Abs 2 EinstV, für die nach § 1 Abs 4 EinstV ein Mindestwert von 4 x 15 Minuten pro Tag (30 Stunden pro Monat) zu veranschlagen ist. Der vorgesehene Mindestwert umfasst das Aufsuchen der Toilette, die bestimmungsgemäße Benützung derselben und die anschließende Reinigung.
Die Hilfe beim damit in Zusammenhang stehenden An- und Auskleiden stellt einen Teilaspekt der Verrichtung der Notdurft dar und ist daher - unabhängig von der Unterstützung beim An- und Auskleiden nach § 1 Abs 3 EinstV - zusätzlich bei der Prüfung eines Betreuungsbedarfs bei der Notdurftverrichtung zu berücksichtigen.
Alleine aus der allgemeinen Unfähigkeit zum selbständigen An- und Auskleiden kann jedoch nicht geschlossen werden, dass automatisch auch das iZm der Verrichtung der Notdurft notwendige Aus- und Ankleiden unmöglich und damit die Unterstützung bei der Verrichtung der Notdurft erforderlich ist, weil dabei nur Teilverrichtungen des An- und Auskleidens (wie das Hinauf- und Hinunterziehen einer Hose und der Unterbekleidung) erforderlich sind. Dies ist daher im Einzelfall gesondert zu prüfen und festzustellen.
Nach § 4 Abs 1 EinstV ist die Anleitung sowie die Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe gleichzusetzen. Nach Abs 2 dieser Bestimmung ist dann, wenn mit geistig oder psychisch behinderten Menschen zur selbständigen Durchführung von in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen Motivationsgespräche zu führen sind, für diese Betreuungsmaßnahme von einem - auf einen Monat bezogenen - zeitlichen Richtwert von insgesamt zehn Stunden auszugehen.
Die "Anleitung" gem § 4 Abs 1 EinstV hat zum Ziel, die Erledigung der Verrichtung in einem sinnvollen Ablauf sicherzustellen, wobei die vorhandenen motorischen Fähigkeiten bei eingeschränkter geistiger oder psychischer Leistungsfähigkeit durch den Zuspruch der Pflegeperson eingesetzt werden. Der zeitliche Aufwand dafür kann sehr unterschiedlich sein, zumal die Anleitung das Erklären bis hin zum Vorzeigen der konkreten Handlung in ihren sämtlichen einzelnen Teilschritten erfordern kann. Auch die Anleitung kann motivierende Komponenten besitzen, erfolgt jedoch im Gegensatz zur Motivation (vgl dazu die Motivationsgespräche iSd § 4 Abs 2 EinstV) ausschließlich während der tatsächlichen Verrichtung. Die "Beaufsichtigung" gem § 4 Abs 1 EinstV wiederum dient einerseits dem Schutz des Pflegebedürftigen vor Eigengefährdung bei der Vornahme der Verrichtung (zB unkontrollierte Attacken mit Essbesteck) und andererseits zur Kontrolle, ob die Verrichtung auch tatsächlich durchgeführt wird.
Die Bestimmung des § 4 EinstV hat Fälle im Auge, in denen die Anwesenheit der Betreuungsperson während der Verrichtung erforderlich ist. Die betroffene Person ist hier zwar rein physisch in der Lage, die in Frage kommenden Verrichtungen zu besorgen, kann dies aber wegen einer im psychischen Bereich liegenden Behinderung nur unter Anleitung und unter Aufsicht einer Betreuungsperson besorgen. Nur in diesem Fall erklärt sich die Regelung der Verordnung, dass die Anleitung und Beaufsichtigung mit dem für die Verrichtungen in den §§ 1 und 2 EinstV bestimmten Zeitwert gleichzusetzen ist. Das bedeutet die Berücksichtigung desselben Zeitwerts bei der Ermittlung des Pflegebedarfs wie bei der vollständigen Übernahme der Verrichtung durch eine Pflegeperson.
Dass eine Unterschreitung des Mindestwerts für die Betreuung und Hilfe bei der Verrichtung der Notdurft nicht gerechtfertigt erscheint, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und der Sachverhalt daher von dem in der in E 10 ObS 106/01p (auf die sich die Beklagte beruft) behandelten Fall erheblich abweicht, hat der Senat bereits in der E 10 ObS 144/01a mit folgender Begründung ausgesprochen:
"Anders als im dortigen Fall bedarf die Klägerin hier nicht nur der Aufforderung zum Gang zum WC oder der Kontrolle, ob sie tatsächlich die Notdurft verrichtet hat; es steht vielmehr fest, dass ihr eine selbständige Verrichtung der Notdurft inklusive entsprechender Reinigung nur mit der Einschränkung möglich ist, dass ihr dabei gezeigt werden muss, wo sich WC-Papier und Handtuch befinden. Damit ist aber schon nach der Lebenserfahrung eine diesbezügliche Anleitung und Beaufsichtigung während des gesamten Zeitraumes der Verrichtung der Notdurft erforderlich, weshalb - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes - nicht von einem Zeitaufwand von nur 6 Minuten täglich (= 3 Stunden monatlich) ausgegangen werden kann; hält doch das Berufungsgericht selbst - zutreffend - fest, dass eine derartige Anleitung und Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe gleichzusetzen ist.
Da eine Unterschreitung des Mindestwertes für die Betreuung bei der Verrichtung der Notdurft somit nicht gerechtfertigt erscheint, ..."
Keine Gleichsetzung erfolgt hingegen, wenn bloß eine Erinnerung oder ein Anstoß zu einer Verrichtung nach §§ 1 und 2 EinstV gegeben werden muss, worauf der Betroffene die Verrichtung selbständig ohne Anwesenheit einer Betreuungsperson durchführen kann. Dann ist der dafür erforderliche Pflegebedarf konkret zu ermitteln und zu berücksichtigen.