12.05.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Sukzessive Kompetenz - Klageerhebung und Streitgegenstand

Aus dem Zweck der sukzessiven Zuständigkeit, den Gerichten nur die wirklich strittigen Fälle zuzuführen, ist abzuleiten, dass nur eine meritorische Entscheidung des Sozialversicherungsträgers über den der betreffenden Leistungssache zugrunde liegenden Anspruch des Versicherten den Weg zum Sozialgericht ebnet; der Streitgegenstand kann grundsätzlich nur Ansprüche umfassen, über die der Sozialversicherungsträger bescheidmäßig abgesprochen hat


Schlagworte: Leistungssache, Klageerhebung, sukzessive Kompetenz, Bescheid, Streitgegenstand, Klagsänderung
Gesetze:

§ 65 ASGG, § 67 ASGG, § 354 ASVG, § 86 ASGG, § 235 ZPO

GZ 10 ObS 165/10b, 12.04.2011

OGH: Gegen einen Bescheid des Versicherungsträgers in einer Leistungssache nach § 354 ASVG kann vom Versicherten nach dem in Sozialrechtssachen geltenden Grundsatz der sukzessiven Kompetenz Klage beim Arbeits- und Sozialgericht erhoben werden. Mit der Klage tritt der Bescheid im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft (§ 71 Abs 1 ASGG) und die Entscheidungskompetenz geht auf das Gericht über.

Nach § 67 Abs 1 ASGG kann - von den hier nicht vorliegenden Säumnisfällen abgesehen - eine Klage jedoch nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. Aus dem Zweck der sukzessiven Zuständigkeit, den Gerichten nur die wirklich strittigen Fälle zuzuführen, ist abzuleiten, dass nur eine meritorische Entscheidung des Sozialversicherungsträgers über den der betreffenden Leistungssache zugrunde liegenden Anspruch des Versicherten den Weg zum Sozialgericht ebnet. Liegt eine solche nicht vor, so ist grundsätzlich - von § 68 ASGG und anderen hier nicht vorliegenden Fällen abgesehen - der Rechtsweg versperrt. Das dargestellte Erfordernis ("darüber") bewirkt zudem in Fällen, in denen die Klage zulässig ist, eine Eingrenzung des möglichen Streitgegenstands: Dieser kann grundsätzlich nur Ansprüche umfassen, über die der Sozialversicherungsträger bescheidmäßig abgesprochen hat. Die Klage darf daher im Vergleich zum vorangegangenen Antrag weder die rechtserzeugenden Tatsachen auswechseln noch auf Leistungen (Gestaltungen, Feststellungen) gerichtet sein, über die der Versicherungsträger im bekämpften Bescheid gar nicht erkannt hat. Daraus ergibt sich, dass jedenfalls ein "Austausch" des Versicherungsfalls oder der Art der begehrten Leistungen im gerichtlichen Verfahren nicht zulässig ist; für solche Begehren fehlt es an einer "darüber" ergangenen Entscheidung des Versicherungsträgers. In diesem Fall ist auch eine Klagsänderung iSd § 86 ASGG bzw § 235 ZPO nicht zulässig, sondern als einziger Weg der Anspruchsverfolgung bleibt hier die Stellung eines neuen Antrags im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren.

Nach stRsp besteht keine generelle Verpflichtung der Krankenversicherung, jede einzelne Leistung tatsächlich in natura zu erbringen und deshalb kein durchsetzbarer Anspruch auf Gewährung als Sachleistung. Im vorliegenden Fall hat die beklagte Partei mit Bescheid die Gewährung der von einem Arzt verordneten Heilbehelfe/Heilmittel in natura abgelehnt, nicht aber über einen vom Kläger gar nicht gestellten Antrag über einen möglichen Kostenerstattungsanspruch entschieden. Nach dem in Sozialrechtssachen geltenden Grundsatz der sukzessiven Kompetenz ist es dem Kläger verwehrt gegen diesen Bescheid eine Klage auf Kostenerstattung für die von ihm für die Anschaffung der Mittel entstandenen Auslagen gerichtete Klage einzubringen. Es liegt dem Begehren zwar derselbe Versicherungsfall zugrunde, aber es handelt sich bei der Sachleistung und Kostenerstattung um verschiedene Leistungsansprüche. Für die Kostenerstattung hätte ein eigener Leistungsantrag gestellt werden müssen. Dem Kostenerstattungsbegehren, das allein noch Gegenstand des Verfahrens ist, steht daher die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen.