07.10.2007 Strafrecht

OGH: Allfällige - wenngleich gegen § 52 Geo verstoßende - Überreaktionen oder eine allfällige unrichtige Gesetzesauslegung sind nicht geeignet, die volle Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen


Schlagworte: Befangenheit
Gesetze:

§ 72 StPO

In seinem Beschluss vom 08.08.2007 zur GZ 15 Os 54/06i hat sich der OGH mit der Befangenheit befasst:

In der Hauptverhandlung vom 28. September 2005 lehnte der Verteidiger den Senatsvorsitzenden mit der wesentlichen Begründung als befangen ab, dass der Zeuge Reinhard Kr***** ohne Anlass "in Richtung des Verdachtes einer falschen Zeugenaussage vor Gericht" ermahnt worden sei, der Vorsitzende sich vor Verlesen der Inhalte aus dem Schreiben des Angeklagten an Ba***** unstatthaft geäußert ("damit wir das auch dingfest machen") und das Fragerecht des Verteidigers durch die Unterbrechung des Verfahrens und Aufnahme eines abgesonderten Protokolls beschnitten habe, sodass der Anschein einer negativen Einstellung aus unsachlichen Motiven gegenüber dem Angeklagten bestehe. Diesem Antrag wurde nicht Folge gegeben.

Mit persönlich verfasstem Schriftsatz vom 29. September 2005 lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden erneut wegen der Art seiner Verhandlungsführung ab und brachte bei Gericht am 30. September 2005 eine (nicht aktenkundige) Privatanklage gegen ihn wegen § 111 StGB ein.

Dazu der OGH: Das Wesen der Befangenheit besteht in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidungsfindung durch unsachliche psychologische Motive und liegt daher nicht schon vor, wenn sich ein Richter vor der Entscheidung eine Meinung über den Fall gebildet hat, sondern erst, wenn die Annahme begründet erscheint, dass er auch angesichts allfälliger gegenteiliger Verfahrensergebnisse nicht gewillt ist, von dieser abzugehen. Der Umstand, dass sich die Rechtsansicht des Richters nicht mit jener einer der Prozessparteien deckt, ist ebensowenig geeignet, die volle Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen, wie allfällige - wenngleich gegen § 52 Geo verstoßende - Überreaktionen oder eine allfällige unrichtige Gesetzesauslegung. Unter diesen Prämissen lässt aber die vom Beschwerdeführer monierte Art der Verhandlungsführung, wie Vorhalte an vernommene Zeugen, eine daraus abgeleitete vorgefasste Meinung, die Wortwahl durch den Vorsitzenden oder gar von der Strafprozessordnung vorgesehene Maßnahmen, wie die Aufnahme eines abgesonderten Protokolls nach § 277 StPO, keine Rückschlüsse darauf zu, dass sich der Vorsitzende bei seiner den Angeklagten betreffenden Entscheidung von unsachlichen Erwägungen hätte leiten lassen. Auch ein äußerer Anschein der Befangenheit wurde daher zutreffend verneint.

Der Umstand, dass vom Angeklagten gegen den Vorsitzenden eine Privatanklage eingebracht wurde, ist ebenso nicht geeignet, daraus Befangenheit abzuleiten.