OGH: Zum Entschädigungsanspruch bei ungerechtfertigter Haft bei Nichtvorliegen eines formellen Freispruchs
Eine Haft ist auch dann ungerechtfertigt, wenn zwar formell kein Freispruch erfolgte, eine Verurteilung allerdings wegen einer Tat, die keinen Anlass zur Verhängung einer Haft gegeben hätte, erfolgte
§ 2 StEG 2005
GZ 1 Ob 169/07w, 22.10.2007
Der Kläger, der auf Grund eines Haftbefehls wegen des Verdachts des Raubes in Haft genommen wurde, wurde in der Hauptverhandlung wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung verurteilt, hinsichtlich der Frage nach dem Verbrechen des schweren Raubs wurde er freigesprochen. Der Kläger machte - gestützt auf das strafrechtliche Entschädigungsgesetz 2005 - einen Ersatzanspruch geltend. Zwar sei für materielle "Subsumtions- oder Qualifikationsfreisprüche" ein solcher Anspruch nicht ausdrücklich vorgesehen, die Gesetzeslücke sei aber im Wege der Analogie zu schließen.
OGH: Erforscht man die Absicht und Zielsetzung des Gesetzgebers des StEG 2005, die darin liegt, die Rechtsposition des Geschädigten hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen und der Ausschlussgründe zu verbessern, so ist eine planwidrige Unvollständigkeit ("Gesetzeslücke") anzunehmen. Dass der Gesetzgeber des StEG 2005 einem (Teil-)Freispruch im Fall einer Realkonkurrenz dennoch in Fällen wie dem vorliegenden generell keinen Entschädigungsanspruch gewähren wollte, ist mangels gegenteiliger Anhaltpunkte in den Gesetzesmaterialien nicht zu vermuten. Weder nach den im StEG 2005 zum Ausdruck kommenden Wertungen, noch gemessen am Maßstab der gesamten Rechtsordnung ist dem Gesetzgeber des StEG 2005 zu unterstellen, dass er in Fällen wie dem vorliegenden einen Ersatzanspruch ausschließen wollte. Es widerspräche dem Sinn des Gesetzes, entfiele der Zuspruch eines Ersatzanspruchs nach dem StEG nur deshalb, weil die der Freiheit beraubte Person "nur" faktisch von dem Vorwurf, der zu ihrer Verhaftung geführt hatte, endgültig "losgelöst", aus rein prozessualen Erwägungen aber nicht "rechtstechnisch" freigesprochen wurde. Ein derartiges Ansinnen kann dem Gesetzgeber schon deshalb nicht unterstellt werden, weil er ausdrücklich "unangemessenen und unbilligen Ergebnissen" begegnen und jede "ungerechtfertigte Haft" abgegolten wissen wollte. Jede andere Auslegung würde eine Verschlechterung der zur Zeit der Geltung des StEG 1969 bestandenen Rechtslage bedeuten, die einen Entschädigungsanspruch bejahte, wenn die Verurteilung nur wegen einer Tat erfolgte, die nicht Anlass zur Verhängung der Haft gehabt hatte. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass die letztlich echt "verbliebene" Straftat des Klägers keinen Anlass zur Verhaftung gegeben hätte und die Haft sohin im Ergebnis "ungerechtfertigt" war. Die strafrechtliche Einordnung als "einheitliche Tat" kann an der für das StEG maßgeblichen zivilrechtlichen Wertung einer ungerechtfertigten Haft nichts ändern.