06.05.2010 Strafrecht

OGH: Ausgeschlossenheit von Richtern gem § 43 Abs 1 Z 3 StPO iZm verfahrensbeendende Prozessabsprachen

Ob Ausgeschlossenheit gem § 43 Abs 1 Z 3 StPO vorliegt, bedarf auch unter Berücksichtigung dessen einer genauen Prüfung, dass ein mit einer - gesetzwidrigen - verfahrensbeendenden Absprache gescheiterter Richter in seiner Entscheidungsfindung allenfalls nicht mehr ganz frei ist, weshalb eine nicht eingehaltene Absprache zu Nichtigkeit des Urteils nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO führen kann; ein Hinweis auf Befangenheit des Richters könnte auch in der Höhe der für den Fall des Nichtkontrahierens in Aussicht gestellten Strafe liegen


Schlagworte: Ausgeschlossenheit von Richtern, verfahrensbeendende Prozessabsprachen
Gesetze:

§ 43 StPO, § 3 StPO, § 281 Abs 1 Z StPO

GZ 13 Os 1/10m, 04.03.2010

In der Berufung wurde ua als Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 1 (§ 489 Abs 1) StPO geltend gemacht, die Richterin sei befangen gewesen. Der Angeklagte habe von Anfang an seinen Verteidiger darüber informiert, dass der ihm zur Last gelegte Sachverhalt nicht den Tatsachen entspreche, weshalb er sich nicht geständig verantworten werde. Dennoch habe der Verteidiger nach eigenen Angaben Kontakt mit der Richterin aufgenommen und mit ihr vor der Verhandlung eine Absprache über das Verhandlungsergebnis getroffen. Nach dessen Darstellung sei mit der Richterin besprochen gewesen, der Angeklagte solle sich geständig verantworten, er werde dann einer Zusatzstrafe von zwei Monaten erhalten, andernfalls würde er zu einer solchen von zwölf Monaten verurteilt werden. Von diesem Gespräch habe der Verteidiger den Angeklagten erst unmittelbar vor der Hauptverhandlung verständigt. Er habe das Ansinnen, sich wahrheitswidrig geständig zu verantworten, zurückgewiesen. Aus der sodann verhängten Strafe (12 Monate) leitete der Angeklagte mit Blick auf die erwähnte Mitteilung seines Verteidigers eine Voreingenommenheit der Richterin ab.

OGH: Verfahrensbeendende Prozessabsprachen widerstreiten dem Gebot der materiellen Wahrheitsfindung und sind daher unzulässig. Sie können zu disziplinärer und strafrechtlicher Verfolgung führen. Unterlässt ein Richter die nach der Sachlage gebotene Beweisaufnahme pflichtwidrig, um eine solche Absprache zu realisieren, kommt Strafbarkeit wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB in Betracht.

Eine vom Richter eingehaltene Prozessabsprache dieser Art - die mit dem System des liberalen Strafprozesses auch deshalb nicht vereinbar ist, weil sie sich auch im Fall von Rechtsprechung oder Gesetzgeber verlangter Dokumentation einer Kontrolle entzieht - stellt demnach einen Wiederaufnahmegrund dar (§ 353 Z 1 StPO). Ein darauf bezogener Antrag ist nach der StPO bei dem Gericht zu stellen, das für das Hauptverfahren zuständig war (§ 357 Abs 1 StPO; zur Ausschließung der vorbefassten Richter § 43 Abs 4 StPO). Ein Antragsrecht an den OGH ist dementsprechend für solche Fälle nicht vorgesehen (vgl § 362 Abs 3 StPO).

Davon zu unterscheiden sind zur Festlegung des Verhandlungsfahrplans dienende Konferenzen mit Staatsanwalt und Verteidiger.

Befangenheit iSd früheren und Ausgeschlossenheit gem § 43 Abs 1 Z 3 StPO nach der aktuellen Diktion der StPO liegt nicht schon dann vor, wenn sich ein Richter vor der Entscheidung eine Meinung über den Fall gebildet hat, sondern nur, wenn die Annahme begründet erscheint, dass er auch angesichts allfälliger gegenteiliger Verfahrensergebnisse nicht gewillt sei, von dieser abzugehen.

Ob dies der Fall ist, bedarf auch unter Berücksichtigung dessen einer genauen Prüfung, dass ein mit einer - gesetzwidrigen - verfahrensbeendenden Absprache gescheiterter Richter in seiner Entscheidungsfindung allenfalls nicht mehr ganz frei ist, weshalb eine nicht eingehaltene Absprache zu Nichtigkeit des Urteils nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO führen kann. Ein Hinweis auf Befangenheit des Richters könnte auch in der Höhe der für den Fall des Nichtkontrahierens in Aussicht gestellten Strafe liegen.