OGH: Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein im Zuge eines Verfahrens erlangtes Wissen eines Anwalts für den Beginn von Verjährungsfristen dessen Mandanten zuzurechnen ist
Nur innerhalb des konkreten Aufgabenbereichs treffen den Vertreter primäre Handlungspflichten, die auch eine Wissenszurechnung rechtfertigen; allenfalls darüber hinausgehende Schutz- und Sorgfaltspflichten bestehen im Interesse des Mandanten; sie können nicht als Grundlage für eine diesen belastende Wissenszurechnung herangezogen werden
§§ 1002 ff ABGB, § 1489 ABGB
GZ 4 Ob 45/12i, 10.07.2012
OGH: Der Kläger behauptet, die unterbliebene Information über die Weigerung des ersten Notars habe seinen Schaden verursacht. Es ist unstrittig, dass seine Anwältin im Vorprozess gegen die (dritte) finanzierende Bank von dieser Weigerung erfahren hat. Wäre dieses Wissen dem Kläger zuzurechnen, so wäre sein Anspruch nach § 1489 ABGB verjährt. Denn in diesem Fall hätte er gewusst, dass die Beklagte ihm - folgt man seinem im vorliegenden Verfahren erstatteten Sachvorbringen - eine wesentliche Information vorenthalten und daher schuldhaft gehandelt hatte. Der weitere Kausalverlauf und der Schaden waren ihm zu diesem Zeitpunkt schon bekannt.
Die Rsp rechnet dem Geschäftsherrn das Wissen jener Personen zu, die er damit betraut hatte, Tatsachen, deren Kenntnis rechtlich erheblich ist, entgegenzunehmen oder anzuzeigen. Dies gilt auch dann, wenn es um die Kenntnis der für den Beginn einer Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB maßgebenden Umstände geht.
Das im Prozess erworbene Wissen eines Bevollmächtigten ist nach stRsp nicht generell, sondern nur dann dem Mandanten zuzurechnen, wenn es im aufgetragenen Wirkungskreis erworben wurde und zu diesem Wirkungskreis gehörte.
Ausführlich setzte sich der OGH mit dieser Problematik in 3 Ob 510/82 auseinander (RIS-Justiz RS0019537; zuvor für einen nicht anwaltlichen Vertreter 1 Ob 98/56 = JBl 1956, 505). Strittig war dort die Übereignung eines Grundstreifens an eine Gemeinde gewesen, deren Wirksamkeit in einem Vorverfahren rechtskräftig bejaht worden war. Die Unterinstanzen hatten die Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung des Vorverfahrens an den Vertreter der dort unterlegenen Beklagten als Verjährungsbeginn für deren Schadenersatzanspruch gegen einen Nebenintervenienten des Vorprozesses gewertet. Der OGH lehnte diese Auffassung ab. Die Vertretungsmacht des Prozessbevollmächtigten decke nur dessen Handlungen innerhalb des konkreten Verfahrens. Es gehöre nicht zu seinen Aufgaben, sich darüber Gedanken zu machen, ob ein Schadenersatzanspruch gegen eine dritte Person bestehen könnte. Das Wissen des Vertreters könne dem Mandanten nur dann zugerechnet werden, wenn er „von vornherein mit der Durchsetzung allfälliger Schadenersatzansprüche gegen den Dritten beauftragt“ gewesen sei.
Die Entscheidung 3 Ob 510/82 wurde im Zurückweisungsbeschluss 2 Ob 84/09f zustimmend zitiert. Dort ging es um die Frage, ob das Wissen, das die (neue) Vertreterin des Klägers in einem Aufteilungsverfahren erlangt hatte, die Verjährung eines Schadenersatzanspruchs des Klägers gegen seinen früheren Vertreter auslöste. Der OGH billigte die Auffassung der Vorinstanzen, dass eine Wissenszurechnung mangels Auftrags zur Prüfung solcher Schadenersatzansprüche nicht stattfinde.
Nach diesen Entscheidungen kommt es auf den konkreten Auftrag an, der sich auch auf die von der Verjährung bedrohte Forderung erstrecken müsste; dem wird ein Auftrag zur umfassenden Rechtsverfolgung oder Prüfung der Rechtslage gleichzuhalten sein. Beides wurde hier weder vorgebracht noch festgestellt. Auf dieser Grundlage müsste die Verjährungseinrede jedenfalls scheitern. Für eine weitergehende Wissenszurechnung könnte zwar bei vordergründiger Betrachtung die Entscheidung 2 Ob 224/97y sprechen. Danach muss ein Anwalt seinen Mandanten (ganz allgemein) auf die drohende Verjährung von Ansprüchen gegen einen Dritten hinweisen, wenn für ihn ersichtlich sei, dass bei Verlust des vom eigentlichen Mandat erfassten Prozesses Ansprüche gegen einen Dritten in Betracht kämen und der Mandant sich insofern nicht anderweitig beraten lasse. Strittig war dort aber nicht eine allfällige Wissenszurechnung, sondern die Frage, ob der Anwalt aufgrund einer unterbliebenen Beratung für die Verjährung einer Forderung gegen einen Dritten hafte. Der Verjährungsbeginn war dabei nicht durch den Wissensstand des Anwalts ausgelöst worden. Zudem lag gerade keine Vertretung (nur) in einer bestimmten Rechtssache vor, sondern der Anwalt hatte seine Mandantin in einer „Vielzahl“ von familienrechtlichen Verfahren vertreten, wobei auch der strittige Anspruch mehrfach „besprochen“ worden war. Die (grundsätzliche) Bejahung der Haftung wegen des dabei unterbliebenen Hinweises auf die drohende Verjährung war unter diesen Umständen zweifellos richtig; für die hier strittige Frage der Wissenszurechnung kann daraus aber nichts abgeleitet werden.
Der Senat sieht keinen ausreichenden Grund, von der Rsp zur Wissenszurechnung an Rechtsvertreter abzugehen. Nur innerhalb des konkreten Aufgabenbereichs treffen den Vertreter primäre Handlungspflichten, die auch eine Wissenszurechnung rechtfertigen. Allenfalls darüber hinausgehende Schutz- und Sorgfaltspflichten bestehen im Interesse des Mandanten; sie können nicht als Grundlage für eine diesen belastende Wissenszurechnung herangezogen werden. Das Wissen der Anwältin wäre dem Kläger daher nur dann zuzurechnen gewesen, wenn sie auch mit der Rechtsverfolgung gegen die Beklagte oder (wenigstens) mit einer umfassenden Prüfung aller Ansprüche beauftragt gewesen wäre. Das hat aber die Beklagte in erster Instanz nicht behauptet, das Erstgericht hat dazu - folgerichtig - auch nichts festgestellt. Die Formulierung des Berufungsgerichts, zum Aufgabenbereich der Anwältin habe die Verfolgung der (gemeint: aller) „möglichen Ansprüche“ des Klägers aus der Garantiezahlung gehört, ist mit rechtlichen Erwägungen zum Aufgabenbereich eines Anwalts begründet und daher keine (ergänzende) Tatsachenfeststellung, die den OGH binden könnte.
Da mangels Wissenszurechnung keine Verjährung eingetreten ist, kommt es darauf an, ob die Beklagte - wie von ihr behauptet - den Kläger ohnehin über die Weigerung des (ersten) Notars informiert hatte, die Treuhand zu übernehmen. Die dies bejahende Feststellung des Erstgerichts würde die Klageabweisung ebenfalls tragen, weil die Beklagte damit ihre vertraglichen Schutzpflichten erfüllt und der Kläger dann auf eigenes Risiko gehandelt hätte. Der Kläger hat diese Feststellung mit Verfahrens- und Beweisrüge bekämpft. Das Berufungsgericht hat diesen Teil des Rechtsmittels - aufgrund seiner Rechtsansicht folgerichtig - nicht erledigt. Das führt zur Aufhebung in die zweite Instanz. Im fortgesetzten Verfahren ist die Frage der Verjährung abschließend erledigt; für eine stattgebende Sachentscheidung wären noch Feststellungen zur Kausalität erforderlich.