OGH: Zur Bindungswirkung von strafgerichtlich verurteilten Klägern im Anwendungsbereich des KHVG
Wird einem beklagten Geschädigten sein aufrechnungsweise als Gegenforderung eingewendeter Schadenersatzanspruch rechtskräftig aberkannt, kommt die in § 28 KHVG vorgesehene Rechtskrafterstreckung ebenso zum Tragen, wie dies bei einer erfolglosen klageweisen Geltendmachung der Fall wäre
§ 28 KHVG, § 411 ZPO, § 1438 ABGB, § 2 KHVG, §§ 1295 ff ABGB
GZ 2 Ob 101/12k, 24.01.2013
OGH: Das Berufungsgericht hat die Grundsätze der Rsp des OGH zur Bindung des Zivilgerichts an ein strafgerichtliches Erkenntnis richtig wiedergegeben. Es kann daher auf die insoweit zutreffende Begründung der zweitinstanzlichen Entscheidung verwiesen werden (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).
Die absolute Wirkung der materiellen Rechtskraft des strafgerichtlichen Schuldspruchs hat zwar nur so lange Bestand, als dieser Schuldspruch nicht durch eine Wiederaufnahme beseitigt ist. Dies ist aber hier nicht der Fall. Der Wiederaufnahmeantrag des Klägers wurde, wie der Senat erhoben hat, mit Beschluss des BG Feldbach vom 1. 8. 2011 abgewiesen. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 5. 6. 2012 nicht Folge gegeben. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.
Es entspricht ferner stRsp, dass der Missachtung der Bindungswirkung einer materiell rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung das Gewicht eines von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrundes zukommt. Aus den im Folgenden darzustellenden Gründen ist aber im vorliegenden Fall von einer Bindungswirkung der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers nicht auszugehen.
Gem § 28 KHVG wirkt ein rechtskräftiges Urteil, soweit dadurch ein Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten aberkannt wird, wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherten; wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherten ergeht, wirkt es auch zugunsten des Versicherers. Diese Bestimmung regelt somit einen Fall der Rechtskrafterstreckung. Mitversicherte sind zufolge § 2 Abs 2 KHVG der Eigentümer, der Halter und der Lenker, der das Fahrzeug mit Willen des Halters verwendet. Diese Personen sind daher grundsätzlich von der in § 28 KHVG geregelten Rechtskrafterstreckung erfasst.
Aus der zitierten Bestimmung wird abgeleitet, dass ein auf denselben Sachverhalt gegründeter Schadenersatzanspruch gegenüber dem Versicherten und dem Versicherer einheitlich beurteilt werden soll. In einem gegen den (die) Versicherten und den Versicherer gemeinsam geführten Rechtsstreit ist daher darauf Bedacht zu nehmen, dass über den eingeklagten Anspruch grundsätzlich einheitlich entschieden wird. Selbst dann, wenn (zunächst) nur der Versicherte geklagt wird, muss - schon im Hinblick auf die bloße Möglichkeit der Abweisung einer späteren Klage gegen den Versicherer - der Gefahr von Entscheidungsdivergenzen begegnet werden.
In der Grundsatzentscheidung 2 Ob 257/97a schloss der OGH aus dieser Rechtslage, dass für den Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung eine Bindung an die strafgerichtliche Verurteilung des versicherten Lenkers im Allgemeinen unabhängig davon nicht bestehe, wen der Geschädigte klageweise in Anspruch nimmt und wann dies geschieht. Nur wenn auszuschließen sei, dass es noch zu einem das Klagebegehren abweisenden Urteil zugunsten des Versicherers kommen könne, wäre dem versicherten Lenker der Einwand, er habe die Tat, deretwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen, verwehrt. Diese Rsp hat der erkennende Senat in der Folge in zahlreichen Entscheidungen fortgeschrieben.
Ausgehend von dieser Rsp wurde in der Entscheidung 2 Ob 206/99d zunächst klargestellt, dass die Bindung des Zivilgerichts an das strafgerichtliche Erkenntnis unabhängig davon besteht, in welcher Parteirolle dem Verurteilten ein dritter Geschädigter in einem nachfolgenden Rechtsstreit gegenübersteht. Im damaligen Anlassfall ging der bei einem Verkehrsunfall ebenfalls zu Schaden gekommene strafgerichtlich Verurteilte als Kläger gegen den Haftpflichtversicherer seines Unfallgegners vor, der den geltend gemachten Ansprüchen seinerseits die ihm abgetretenen Schadenersatzforderungen des dritten Geschädigten aufrechnungsweise entgegen hielt.
Der Senat hielt damals eine „nähere Vertiefung“ der auch nun zur Beantwortung anstehenden Rechtsfrage nach der Anwendbarkeit der soeben erörterten Grundsätze für entbehrlich, weil sich die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zwar einerseits am verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnis orientierten, andererseits aber auch Ergebnis eines selbständig durchgeführten Beweisverfahrens waren.
Das Berufungsgericht verweist zutreffend darauf, dass im vorliegenden Fall - anders als in der zitierten Entscheidung - die den strafgerichtlichen Schuldspruch tragenden und die vom Erstgericht durch freie Beweiswürdigung gewonnenen Feststellungen über die Beleuchtung des Klagsfahrzeugs einander „diametral“ widersprechen.
Dem Umstand, dass die beklagten Parteien unfallskausale Schadenersatzansprüche gegen die Klagsforderung aufrechnungsweise eingewendet haben, kommt für die Lösung dieses Falls wesentliche Bedeutung zu. Denn auch damit wurde der iSd § 2 Abs 2 KHVG mitversicherte Kläger mit Schadenersatzansprüchen - wenngleich nicht „klageweise“ - in Anspruch genommen.
Die Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand einer vom Beklagten zur Kompensation geltend gemachten Gegenforderung ist gem § 411 Abs 1 Satz 2 ZPO der Rechtskraft nur bis zur Höhe des Betrags teilhaft, mit welchem aufgerechnet werden soll. Diese Bestimmung wird in stRsp des OGH dahin ausgelegt, dass über eine prozessuale Aufrechnungseinrede immer nur dann und soweit entschieden werden kann, als die Klagsforderung als zu Recht bestehend erkannt wird. In diesem Umfang begründet die Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand einer vom Beklagten zur Kompensation geltend gemachten Gegenforderung in einem Folgeprozess die Rechtskrafteinrede. Wird einem beklagten Geschädigten auf diese Weise ein Schadenersatzanspruch rechtskräftig aberkannt, kommt die in § 28 KHVG vorgesehene Rechtskrafterstreckung daher ebenso zum Tragen, wie dies bei einer erfolglosen klageweisen Geltendmachung der Fall wäre.
Ginge man im vorliegenden Fall von einer bindenden Wirkung des strafgerichtlichen Erkenntnisses aus, könnte dies zu einer Abweisung des Klagebegehrens, aber auch - etwa bei Annahme einer Verschuldensteilung - zum Ausspruch der teilweisen Berechtigung der Klagsforderung führen, die eine auf den teilweisen Bestand der eingewendeten Gegenforderung lautende Entscheidung zur Folge haben könnte. Da derzeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Geschädigte die eingewendete Forderung gegenüber dem an das verurteilende Erkenntnis nicht gebundenen Haftpflichtversicherer des Klägers klageweise geltend machen wird und in diesem Rechtsstreit unterliegt, käme es auch bei dieser Fallgestaltung zu einer Kollision zwischen der Bindungswirkung des rechtskräftigen Strafurteils und der Rechtskrafterstreckung des abweisenden Zivilurteils, welche der OGH aber schon iSe Vorrangs der Rechtskrafterstreckung entschieden hat.
Die dazu entwickelten Grundsätze der Rsp haben demnach nicht nur dann zu gelten, wenn der dritte Geschädigte gegen den verurteilten Versicherten klageweise vorgeht, sondern auch, wenn er ihm eine Schadenersatzforderung aufrechnungsweise entgegenhält.
Daraus ergibt sich, dass das Berufungsgericht zu Unrecht eine Bindung des Erstgerichts an die den Schuldspruch das strafgerichtlichen Erkenntnisses tragende Feststellung, der Kläger habe sein Motorfahrrad zur Nachtzeit ohne Beleuchtung gelenkt, angenommen hat. Die beklagte Partei hat in ihrer Berufung die gegenteilige Feststellung des Erstgerichts, aber auch die Feststellungen zu den Sichtmöglichkeiten der Erstbeklagten mit Beweisrüge bekämpft und auch eine Mängelrüge erhoben.
Dies muss zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Erledigung der Berufungsgründe durch das Berufungsgericht führen.