OGH: Absicht einer an paranoiden Schizophrenie.Leidenden, eine Scheidungsklage einzubringen, als Rechtfertigung einer Sachwalterbestellung?
Eine psychische Erkrankung allein reicht zur Rechtfertigung der Besorgnis einer Selbstschädigung iSd § 268 Abs 1 ABGB nicht aus; Voraussetzung dafür wäre, dass die psychische Erkrankung mit einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur selbstbestimmten Verhaltenssteuerung verbunden ist; eine mangelnde Kenntnis des österreichischen Scheidungsrechts trifft auf viele scheidungswillige Personen zu, ohne dass für diese ein Sachwalter bestellt werden müsste
§§ 268 ff ABGB, EheG
GZ 5 Ob 160/13k, 20.09.2013
OGH: Die Bestellung eines Sachwalters hat subsidiären Charakter und darf nur dann erfolgen, wenn der Betroffene nicht anders, nämlich durch die in § 268 Abs 2 ABGB erwähnten Möglichkeiten, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen.
Die Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters für eine behinderte Person müssen konkret und begründet sein. Sie müssen sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Schutzbedürftigkeit beziehen. Die Sachwalterbestellung setzt voraus, dass überhaupt Angelegenheiten zu besorgen sind.
Die Bestellung eines Sachwalters ist dann unzulässig, wenn der Betroffene sich der Hilfe anderer in rechtlich einwandfreier Weise bedienen kann, beispielsweise durch Vollmachtserteilung oder durch Genehmigung einer Geschäftsführung.
Die Hilfe durch einen Vertreter ist nur dann möglich, wenn die behinderte Person noch zu eigenem Handeln fähig ist, also noch über ein bestimmtes Maß an Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt. Ein Sachwalter ist aber nicht schon dann zu bestellen, wenn durch die geminderte Einsichtsfähigkeit des Betroffenen rein abstrakt die Gefahr besteht, dass er sich durch die autonome Auswahl eines ungeeigneten Bevollmächtigten selbst schädigt. Für den zu fordernden Grad der Geschäfts- bzw Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist die Frage von Bedeutung, für welche Geschäfte und Rechtshandlungen Vollmacht erteilt werden soll, weil davon das Risikopotential für den Betroffenen abhängt.
Gem § 268 Abs 2 letzter Satz ABGB darf ein Sachwalter nicht nur deshalb bestellt werden, um einen Dritten vor der Verfolgung eines, wenn auch bloß vermeintlichen, Anspruchs zu schützen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist der Betroffenen dahin Recht zu geben, dass kein Grund für eine Sachwalterbestellung vorliegt:
Es trifft zwar zu, dass die Betroffene seit längerem an einer psychischen Erkrankung leidet. Eine psychische Erkrankung allein reicht allerdings zur Rechtfertigung der Besorgnis einer Selbstschädigung iSd § 268 Abs 1 ABGB nicht aus: Voraussetzung dafür wäre, dass die psychische Erkrankung mit einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur selbstbestimmten Verhaltenssteuerung verbunden ist.
Im Anlassfall fehlt es schon an Feststellungen, die die Annahme eines Zusammenhangs zwischen der psychischen Krankheit, an der die Betroffene leidet, mit ihrer vom Erstgericht unterstellten Uneinsichtigkeit in Ansehung der „Scheidungsproblematik“ rechtfertigen könnte.
Aus dem Protokoll, das die Vorinstanzen für ihre Beurteilung, die von der Betroffenen beabsichtigte Einbringung einer Ehescheidungsklage könne mit einer Selbstschädigung verbunden sein, heranziehen, geht deutlich hervor, dass der Betroffenen durchaus bewusst ist, dass sie zur Unterstützung eines von ihr allenfalls in Zukunft gegen ihren Ehegatten einzuleitenden Scheidungsverfahrens eines Anwalts bedarf.
Anhaltspunkte dafür, dass die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Betroffenen so gemindert ist, dass sie einen ungeeigneten Bevollmächtigten bestellen könnte, bestehen nicht. Ihre Verhandlungsfähigkeit steht ebenfalls fest.
Dass die Betroffene die Details des österreichischen Scheidungsrechts und damit zusammenhängende Fragen der Behauptungs- und Beweislast ebenso wenig kennt wie die von der Erstrichterin thematisierte „Prozessproblematik zwischen § 49 EheG und der Notwendigkeit der Nachweisbarkeit und ein allfälliger entsprechender Einwand nach § 50 bzw § 51 EheG und das diesbezügliche Prozessrisiko“, rechtfertigt die Sachwalterbestellung - die eine gerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit einer Scheidungsklage zur Folge hätte - nicht. Die Betroffene verweist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf, dass eine mangelnde Kenntnis des österreichischen Scheidungsrechts auf viele scheidungswillige Personen zutrifft, ohne dass für diese ein Sachwalter bestellt werden müsste.
Im Übrigen trifft es nach dem Akteninhalt auch nicht zu, dass die Einschätzung der Betroffenen über die Erfolgsaussichten eines Scheidungsverfahrens „gänzlich unrealistisch“ wäre: Immerhin gibt die Betroffene klar an, dass sie ihr Mann betrüge und er seelisch grausam sei. Befragt, ob sie dazu Beweismittel liefern könne, verwies sie auf die Nachbarn.
Die auf den Schlussfolgerungen des Sachverständigen beruhende, nicht näher begründete Annahme des Erstgerichts, die Betroffene „benötige die Besachwalterung für finanzielle Angelegenheiten“, ist durch den Akteninhalt nicht gedeckt und fand im Übrigen auch - anders als noch im ersten Rechtsgang - keinen Niederschlag in der erstgerichtlichen Entscheidung, die eine Sachwalterbestellung nur für die Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Behörden anordnete. Nach dem Akteninhalt besteht vielmehr kein Anhaltspunkt dafür, dass überhaupt finanzielle Angelegenheiten von der Betroffenen zu besorgen sind, deren Tragweite sie nicht einschätzen kann.
Daraus folgt zusammengefasst, dass der von den Vorinstanzen einzig herangezogene Umstand für die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung, dass nämlich die Betroffene beabsichtigt, eine Ehescheidungsklage gegen ihren Gatten einzubringen, der sie nach ihren Behauptungen betrügt und „seelisch grausam“ ist, die Sachwalterbestellung nicht rechtfertigt. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher ersatzlos zu beheben. Das Sachwalterschaftsverfahren ist einzustellen (§ 122 Abs 2 Z 1 AußstrG). Die Voraussetzungen für einen Ausspruch nach § 122 Abs 3 AußStrG liegen nicht vor.