24.03.2014 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage, ob auch im Falle, dass der Versicherte nicht selbst Lenker des Verkehrsmittels ist, darauf abzustellen ist, ob der Versicherte annehmen konnte, dass der gewählte längere Weg nur unter für die Verkehrssicherheit wesentlich ungünstigeren Bedingungen benützt werden kann oder ob auf die diesbezügliche Annahme des Lenkers des Verkehrsmittels abzustellen ist

Es schadet dem Versicherten grundsätzlich nicht, dass er am Unfallstag nicht mit seinem Fahrrad zu seiner Wohnung gefahren ist, sondern als Verkehrsmittel den von seiner Ehefrau gelenkten Pkw gewählt hat; kleine Umwege, die nur zu einer unbedeutenden Verlängerung der Wegstrecke oder der Wegzeit führen, sind für den Unfallversicherungsschutz unschädlich; auch durch einen längeren Weg wird der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit dann nicht unterbrochen, wenn durch die Wahl eines anderen Verkehrsmittels (hier: PKW) eine wesentliche Verkürzung des Arbeitsweges in zeitlicher Hinsicht gegenüber der sonst gewählten Fortbewegung (hier: Fußweg oder Fahrrad) eintritt


Schlagworte: Unfallversicherung, Arbeitsunfall, längerer Weg, Wahl eines anderen Verkehrsmittels, Versicherte nicht selbst Lenker
Gesetze:

§ 175 ASVG

GZ 10 ObS 162/13s, 17.12.2013

 

OGH: Arbeitsunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründeten Beschäftigung ereignen (§ 175 Abs 1 ASVG). Nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung nach Abs 1 zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen. Versichert ist somit nach dieser Gesetzesstelle der mit der Beschäftigung zusammenhängende direkte Weg zur oder von der Arbeits-

oder Ausbildungsstätte, der in der Absicht zurückgelegt wird, die versicherte Tätigkeit aufzunehmen bzw nach ihrer Beendigung wieder in den privaten Wohnbereich zurückzukehren.

 

Die Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, ein Versicherungsschutz scheide nicht schon allein im Hinblick auf den im privatwirtschaftlichen Interesse beabsichtigten Umweg (Aufsuchen der Bankfiliale in L) aus, weil sich der gegenständliche Unfall noch auf dem von der Ehefrau des Klägers regelmäßig genommenen Weg von der Arbeitsstätte des Klägers zur gemeinsamen Wohnung und somit noch nicht in einer Phase des Weges ereignet habe, der ausschließlich dem erwähnten persönlichen, eigenwirtschaftlichen Interesse gedient habe, wird von der beklagten Partei zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Die beklagte Partei bestreitet jedoch den Unfallversicherungsschutz, weil sich der Unfall nicht auf dem - streckenmäßig - „direkten“ Heimweg des Klägers von seiner Arbeitsstätte ereignet habe.

 

Nach der Rsp ist grundsätzlich immer nur der direkte Weg zwischen der Arbeits- oder Ausbildungsstätte und der Wohnung geschützt. Dies wird idR die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung sein, wobei einerseits das gewählte Verkehrsmittel maßgebend ist und andererseits der Versicherte zwischen im Wesentlichen gleichwertigen Möglichkeiten frei wählen kann. Auf einem durch Umweg längeren Weg besteht aber dann Versicherungsschutz, wenn der an sich kürzeste Weg unter Bedachtnahme auf das benützte private oder öffentliche Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht (zB wegen einer Verkehrssperre) oder nur unter - vor allem für die Verkehrssicherheit - wesentlich ungünstigeren Bedingungen (zB Witterungs-, Straßen- oder Verkehrsverhältnissen) benützt werden oder der Versicherte solche für die tatsächlich gewählte Strecke sprechende günstigere Bedingungen wenigstens annehmen konnte. Durch derartige Umstände erzwungene Abweichungen vom Weg berühren daher den Versicherungsschutz nicht.

 

Ist von dem Versicherten nicht der kürzeste Weg eingeschlagen worden, so entfällt der Versicherungsschutz also nur dann, wenn für die Wahl des Weges andere Gründe maßgebend gewesen sind, als die Absicht, den Ort der Tätigkeit bzw auf dem Rückweg die Wohnung zu erreichen, und wenn die dadurch bedingte Verlängerung der Wegstrecke unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände als erheblich anzusehen ist. Dabei sind alle nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu berücksichtigenden Umstände in Betracht zu ziehen, insbesondere der Wunsch, den Weg möglichst störungsfrei und zweckmäßig zurückzulegen, wobei auch objektive Kriterien zu berücksichtigen sind. Ferner ist die Wahl des vom Versicherten gewählten Verkehrsmittels und die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit, im Hinblick auf die Art des gewählten Verkehrsmittels einen bestimmten Weg einzuschlagen, um das Ziel möglichst schnell und sicher zu erreichen, zu berücksichtigen. Wird daher der Umweg eingeschlagen, um eine bessere Wegstrecke oder eine schneller befahrbare oder weniger verkehrsreiche Straße zu benutzen, so ist der Unfallversicherungsschutz auf dem Umweg nicht ausgeschlossen. Ob die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz auf Umwegen vorliegen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab.

 

Im Sinne dieser Ausführungen ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass es dem Kläger grundsätzlich nicht schadet, dass er am Unfallstag nicht mit seinem Fahrrad zu seiner Wohnung gefahren ist, sondern als Verkehrsmittel den von seiner Ehefrau gelenkten Pkw gewählt hat. Kleine Umwege, die nur zu einer unbedeutenden Verlängerung der Wegstrecke oder der Wegzeit führen, sind für den Unfallversicherungsschutz unschädlich. Dabei sind im vorliegenden Fall die Ausführungen des Berufungsgerichts zu berücksichtigen, wonach die von der Ehefrau des Klägers gewählte (längere) Wegstrecke - wie sich aus dem einen Bestandteil des Ersturteils bildenden Google-Maps-Auszug ergibt - nicht als erhebliche Verlängerung der Wegstrecke angesehen werden könne, im Bereich der direkten Verkehrsverbindung über die H eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h bestehe und somit der Weg über die H mit einem Pkw zeitlich jedenfalls nicht erheblich kürzer sei als der von der Ehefrau des Klägers üblicherweise eingeschlagene Weg.

 

Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass die für eine abschließende Beurteilung der Frage, ob der von der Ehefrau des Klägers gewählte Umweg unbedeutend oder erheblich ist, notwendigen eindeutigen Feststellungen fehlen, bleibt nach den oben dargelegten Grundsätzen auch bei erheblichen Umwegen der Versicherungsschutz bestehen, wenn der innere Zusammenhang zwischen dem Zurücklegen des Weges und der versicherten Tätigkeit bestehen bleibt. Dies wird insbesondere bei Umwegen bejaht, um eine bessere Wegstrecke oder eine weniger verkehrsreiche oder eine schneller befahrbare Straße zu benutzen. Im vorliegenden Fall traf die das Fahrzeug lenkende Ehefrau des Klägers die Entscheidung, nicht den streckenmäßig kürzeren Weg über die H zu fahren, sondern den vom Erstgericht festgestellten streckenmäßig etwas längeren Weg. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Ehefrau des Klägers habe wenigstens annehmen können, dass der streckenmäßig kürzeste Weg über die H nur unter für die Verkehrssicherheit wesentlich ungünstigeren Bedingungen benützt werden konnte, da sie in der Vergangenheit bereits selbst zwei Verkehrsunfälle in der H erlitten und aus diesem Grund diese Strecke gemieden habe, ist im Hinblick auf die festgestellten Umstände nicht zu beanstanden.

 

Soweit die beklagte Partei damit argumentiert, die Abweichung vom streckenmäßig kürzesten Weg sei jedenfalls dem Kläger vorwerfbar, weil er dies bei Fahrtantritt bereits gewusst habe und er daher die Heimfahrt mit diesem Verkehrsmittel gar nicht hätte antreten müssen bzw jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, den Pkw zu verlassen, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Kläger in diesem Fall den Heimweg mit dem Fahrrad oder zu Fuß hätte antreten müssen, und er dann zwar die streckenmäßig, nicht aber die zeitlich kürzeste Verbindung gewählt hätte. In der Unfallversicherung geschützt ist jedoch nicht nur die streckenmäßig, sondern auch die zeitlich kürzeste Verbindung. Der der Entscheidung 10 ObS 15/09t zu Grunde liegende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar, weil der ebenfalls auf dem Heimweg des damaligen Klägers wegen eines Geschäftstermins seiner Ehefrau eingeschlagene Umweg insgesamt ca zwei Stunden bzw ca 25 km betragen hat.