06.09.2016 Zivilrecht

OGH: Zur Auslegung des § 37 Abs 4 WEG 2002

Die Erwerberschutzbestimmung des § 37 Abs 4 WEG 2002 ist auch auf den Fall des sukzessiven Abverkaufs von Wohnungen durch den Wohnungseigentumsorganisator anzuwenden; da sich die Notwendigkeit größerer Erhaltungsarbeiten uU erst mit einer deutlichen Verzögerung manifestiert, beginnt im Fall des § 37 Abs 4 WEG 2002 die dreijährige Gewährleistungsfrist erst zu dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem - innerhalb von zehn Jahren - für den Erwerber die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens bzw die Erforderlichkeit von „größeren“ Erhaltungsarbeiten zweifelsfrei feststeht; nach § 37 Abs 4 WEG 2002 kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Begründung von Wohnungseigentum, sondern auf den des Abschlusses des Kaufvertrags mit dem Wohnungseigentumsbewerber und dessen Übergabe an; die Bestimmung gilt daher für alle Kaufverträge, die ab ihrem Inkrafttreten abgeschlossen wurden


Schlagworte: Wohnungseigentumsrecht, Schutz des Wohnungseigentumsbewerbers, Althaus, Zusage der Einräumung des Wohnungseigentums, Bauzustand, notwendig werdende Erhaltungsarbeiten, sukzsessiver Abverkauf, Abschluss des Kaufvertrags, Gewährleistung, Frist
Gesetze:

 

§ 37 WEG 2002, §§ 922 ff ABGB, § 933 ABGB

 

GZ 6 Ob 56/16b, 26.04.2016

 

OGH: Gem § 37 Abs 4 WEG 2002 haben die Wohnungseigentumsorganisatoren vor oder mit der Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum an Teilen eines Hauses, dessen Baubewilligung zum Zeitpunkt der Zusage älter als 20 Jahre ist, dem Wohnungseigentumsbewerber ein Gutachten eines für den Hochbau zuständigen Ziviltechnikers oder eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Hochbauwesen über den Bauzustand der allgemeinen Teile des Hauses, insbesondere über in absehbarer Zeit (ungefähr zehn Jahre) notwendig werdende Erhaltungsarbeiten, zu übergeben. Das Gutachten darf zum Zeitpunkt der Zusage nicht älter als ein Jahr sein und ist in den Kaufvertrag über den Liegenschaftsanteil, an dem Wohnungseigentum erworben werden soll, einzubeziehen. Mit dieser Einbeziehung gilt der im Vertrag beschriebene Bauzustand als bedungene Eigenschaft iSd § 922 Abs 1 ABGB; damit haftet der Wohnungseigentumsorganisator bzw Verkäufer für den beschriebenen Bauzustand. Erfolgt keine Einbeziehung eines solchen Gutachtens in den Kaufvertrag, gilt ein Erhaltungszustand des Hauses als vereinbart, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert. Die Regelung des § 37 Abs 4 WEG 2002 ist vertraglich nicht abdingbar (§ 37 Abs 6 WEG).

 

Der Inhalt von Satz 3 des § 37 Abs 4 WEG 2002 ist als gesetzlich typisierte Gewährleistungspflicht zu betrachten. § 37 Abs 4 WEG übernimmt damit den durch die Novelle 1997 in § 23 Abs 3 Z 4 WEG 1975 eingeführten speziellen Schutzmechanismus, der bei Wohnungseigentumsbegründung im „Althaus“ den Wohnungseigentumsbewerber vor der nicht ausreichenden Berücksichtigung der anstehenden Kosten für Erhaltungsmaßnahmen bewahren soll. Zweck der Regelung ist es, die Übervorteilung des (einzelnen) Wohnungseigentumsbewerbers, der oft rechtlich unerfahren ist und die Problematik des Wohnungseigentums an einem Gebäude, das hohen Instandsetzungsaufwand erfordert, nicht abzuschätzen vermag, zu verhindern.

 

Wohnungseigentumsbewerber ist nach § 2 Abs 6 Satz 1 WEG 2002 derjenige, dem schriftlich, sei es auch bedingt oder befristet, von einem Wohnungseigentumsorganisator die Einräumung von Wohnungseigentum an einem bestimmt bezeichneten wohnungseigentumstauglichen Objekt zugesagt wurde.

 

Wohnungseigentumsorganisator ist sowohl der Eigentümer oder außerbücherliche Erwerber der Liegenschaft als auch jeder, der mit dessen Wissen die organisatorische Abwicklung des Bauvorhabens oder - bei bereits bezogenen Gebäuden - die Wohnungseigentumsbegründung durchführt oder an dessen Abwicklung in eigener Verantwortung beteiligt ist (§ 2 Abs 6 WEG 2002).

 

Zutreffend hat das Berufungsgericht die Bestimmung des § 37 Abs 4 WEG auch auf den hier vorliegenden Fall des sukzessiven Abverkaufs der Wohnungen angewendet. Nach § 3 Abs 2 WEG 2002 kann Wohnungseigentum nur an allen wohnungseigentumstauglichen (nicht anders gewidmeten) Objekten begründet werden; daher muss selbst beim „Abverkauf“ auch nur einer einzigen Wohnung im Wohnungseigentum dieses an allen Objekten begründet werden. Damit wird bei späteren Verkäufen von Wohnungseigentumsobjekten durch den ehemaligen Eigentümer, obwohl die Interessenlage der Neubegründung von Wohnungseigentum durchaus ähnlich ist, Wohnungseigentum nicht mehr „begründet“, sondern formal ein Wohnungseigentumsobjekt wie sonst von einem vorhergehenden Wohnungseigentümer erworben (Würth, Gedanken zur Gewährleistung im Wohnrecht, FS Welser 1217 [1227]).

 

Ausgehend von diesen Überlegungen Würths hat Call (wobl 2006, 69 [71]) die Auffassung entwickelt, dass der Schutz des einzelnen Wohnungseigentumsbewerbers nach § 37 Abs 4 WEG 2002 nicht mit dem Argument ausgehebelt werden könne, es liege keine sukzessive neue Wohnungseigentumsbegründung, sondern in Wahrheit bloß derivativer, also abgeleiteter Erwerb von Wohnungseigentum vor.

 

Zutreffend verweist das Berufungsgericht auch auf das Anliegen des WEG 2002, ein Schutzdefizit zu schließen, das schon nach dem WEG 1975 schlagend werden konnte, nämlich den Einsatz von sog „Gründungshelfern“. § 49 Abs 2 WEG 2002 versucht Umgehungen der Beschränkungen des vorläufigen Wohnungseigentums zu verhindern, indem Wohnungseigentumsverträge des Organisators mit Personen, mit denen er durch familiäres oder wirtschaftliches Naheverhältnis verbunden ist, materiell-rechtlich (§§ 46, 47, 49 Abs 1 WEG 2002) dem vorläufigen Wohnungseigentümer gleichgestellt werden. Diese Regelungen zeigen die Absicht des Gesetzgebers, den Wohnungseigentumsbewerber in diesem Zusammenhang weitreichend gegenüber dem Wohnungseigentumsorganisator zu schützen.

 

Dieser Gesetzeszweck spricht aber gegen die Rechtsansicht des Beklagten, nach der bei sukzessivem Erwerb von Wohnungseigentum bloß die ersten Wohnungseigentumsbewerber/Wohnungseigentümer geschützt werden, während alle Späteren dem Argument ausgesetzt seien, sie erwerben vom Wohnungseigentumsorganisator Wohnungseigentum nur mehr derivativ, sodass der Schutz der §§ 37 bis 44 WEG 2002 nicht greife.

 

§ 37 Abs 4 WEG 2002 ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich die Notwendigkeit größerer Erhaltungsarbeiten uU erst mit einer deutlichen Verzögerung manifestiert. Diese Ratio des Gesetzes erfordert, dass die dreijährige Gewährleistungsfrist erst zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem sich - innerhalb von zehn Jahren - für den Erwerber die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens bzw die Erforderlichkeit von „größeren“ Erhaltungsarbeiten zweifelsfrei manifestiert. Aus diesem Grund kann der Gegenansicht von Würth, wonach auf den Zeitpunkt der Übergabe abzustellen sei, nicht gefolgt werden.

 

Nach § 37 Abs 4 WEG 2002 kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Begründung von Wohnungseigentum, sondern auf den des Abschlusses des Kaufvertrags mit dem Wohnungseigentumsbewerber und dessen Übergabe an. Dies war im vorliegenden Fall der 27. 8. 2009. Zu diesem Zeitpunkt war § 37 Abs 4 WEG 2002 aber bereits in Kraft. Im Übrigen wurde der Gesetzesprüfungsantrag des Beklagten, der darauf gestützt war, im Falle einer rückwirkenden Anwendung des § 37 Abs 4 WEG 2002 liege eine eklatante Ungleichbehandlung vor, vom VfGH mit Beschluss vom 2. Juli 2015, G 33/2015-22, mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgelehnt.