27.09.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Mitteilungs- und Nachweispflicht des Arbeitnehmers bei Arbeitsverhinderung gem § 4 EFZG – Vorlage einer Bestätigung über Beginn, voraussichtliche Dauer und Ursache der Arbeitsunfähigkeit gem Abs 1

Zur Erfüllung der Mitteilungs- und Nachweispflicht nach § 4 Abs 1 EFZG ist nicht die Angabe einer genauen ärztlichen Diagnose erforderlich; es liegt in der Natur der Sache, dass von einem Arzt über den künftigen Krankheitsverlauf regelmäßig nur unverbindliche und unsichere Prognosen abgegeben werden können; bezüglich des Entfalls der Entgeltfortzahlung bei Verletzung der Nachweispflicht nach § 4 Abs 1 EFZG kommt es darauf an, ob es dafür einen wichtigen Grund gibt


Schlagworte: Entgeltfortzahlungsrecht, Arbeitsverhinderung, Mitteilungs- und Nachweispflicht des Arbeitnehmers, Vorlage einer Bestätigung über Beginn, voraussichtliche Dauer und Ursache der Arbeitsunfähigkeit, Verletzung, Entfall der Entgeltfortzahlung, wichtiger Grund
Gesetze:

§ 4 EFZG, § 2 EFZG

GZ 9 ObA 97/10w, 29.08.2011

 

OGH: Der Arbeitnehmer ist gem § 4 Abs 1 EFZG verpflichtet, ohne Verzug die Arbeitsverhinderung dem Arbeitgeber bekanntzugeben und auf Verlangen des Arbeitgebers, das nach angemessener Zeit wiederholt werden kann, eine Bestätigung des zuständigen Krankenversicherungsträgers oder eines Gemeindearztes über Beginn, voraussichtliche Dauer und Ursache der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Nach hA genügt auch die Bestätigung eines Vertragsarztes. Kommt der Arbeitnehmer einer dieser Verpflichtungen nicht nach, so verliert er gem § 4 Abs 4 EFZG für die Dauer der Säumnis den Anspruch auf Entgelt.

 

Strittig ist, ob die Klägerin ihrer Verpflichtung nach § 4 Abs 1 EFZG, auf Verlangen des Arbeitgebers eine Bestätigung über die voraussichtliche Dauer und die Ursache der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen, entsprochen hat.

 

Soweit es um die „Ursache der Arbeitsunfähigkeit“ geht, ist nach der Rsp nicht die Angabe einer genauen Diagnose erforderlich. Es genügt die Bekanntgabe, dass eine Erkrankung vorliegt. Eine besondere  Form der Mitteilung der Arbeitsverhinderung ist nicht vorgesehen. Welcher konkreten Formulierung sich der behandelnde Arzt bedient, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab.

 

Im vorliegenden Fall legte die Klägerin der Beklagten zwei ärztliche Bestätigungen vor. In der ersten Bestätigung vom 13. 3. 2008 wurde von der behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie erklärt, dass die Klägerin ab 14. 3. 2008 arbeitsunfähig sei. In der zweiten Bestätigung vom 8. 5. 2008 hieß es, dass sich die Klägerin bis auf weiteres im Krankenstand befinde. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin mit diesen beiden ärztlichen Schreiben ihre Arbeitsverhinderung infolge Erkrankung hinreichend bestätigt habe, ist vertretbar, denn für den Arbeitgeber muss nur ersichtlich sein, dass der Arbeitnehmer krankheitsbedingt an seiner Arbeit verhindert ist. Die Beklagte machte in erster Instanz auch gar nicht geltend, dass sie im Unklaren darüber gewesen sei, ob die Klägerin infolge Erkrankung oder infolge anderer Gründe an der Arbeit gehindert gewesen sei. Das Vorliegen einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls stand nicht zur Diskussion. Sollte die Revisionswerberin mit ihren Ausführungen meinen, dass sie mangels genauer ärztlicher Diagnose in den vorgelegten Bestätigungen zur Verweigerung der Entgeltfortzahlung berechtigt gewesen sei, dann ist sie auf die vorstehend genannte Rsp zu verweisen, wonach zur Erfüllung der Mitteilungs- und Nachweispflicht nach § 4 Abs 1 EFZG nicht die Angabe einer genauen ärztlichen Diagnose erforderlich ist.

 

Richtig ist, dass der Arbeitnehmer - neben Beginn und Ursache der Arbeitsunfähigkeit - auch eine ärztliche Bestätigung über die „voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit“ beizubringen hat. Im vorliegenden Fall hat die behandelnde Fachärztin in der ersten Bestätigung vom 13. 3. 2008 die Rubrik „Voraussichtliche Dauer“ unausgefüllt gelassen. Insoweit steht fest, dass die Klägerin mehrfach versuchte, ihre Ärztin zu einer diesbezüglichen Angabe zu bewegen, ihr aber von dieser beschieden wurde, dass im vorliegenden Fall das Ende des Krankenstands nicht absehbar sei. Nach der Rsp kann der Arbeitnehmer grundsätzlich den Angaben und Empfehlungen seines Arztes vertrauen, sofern ihm nicht deren Unrichtigkeit (zB aufgrund eigener unrichtiger Angaben gegenüber dem Arzt) bekannt ist oder bekannt sein muss. Dieser Maßstab gilt selbstverständlich nicht nur für die Krankschreibung als solche, sondern auch für die ärztliche Beurteilung der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit, und zwar sowohl für deren Bemessung als auch für die im Einzelfall allenfalls bestehende Unmöglichkeit einer diesbezüglichen Angabe. Der Senat verwies schon zu 9 ObA 62/02m darauf, dass es in der Natur der Sache liegt, dass von einem Arzt über den künftigen Krankheitsverlauf regelmäßig nur unverbindliche und unsichere Prognosen abgegeben werden können. Dass die Klägerin wusste oder wissen musste, dass die Beurteilung ihrer Ärztin bezüglich der Unmöglichkeit der Einschätzung der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit unrichtig sei, behauptete die Beklagte nicht. Im Übrigen ist hier durch zwei Bestätigungen ohnehin dokumentiert, dass die Klägerin (jedenfalls) vom 14. 3. 2008 bis 8. 5. 2008 (und darüber hinaus „bis auf weiteres“) arbeitsunfähig war. Mehr war bezüglich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach der Lage des Falls nicht möglich.

 

Der Arbeitnehmer behält gem § 2 Abs 1 EFZG seinen Anspruch auf das  Entgelt, sofern ihn nicht ein grobes Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit trifft. Im Zusammenhang mit dem allfälligen Fernbleiben des Arbeitnehmers von der ärztlichen Untersuchung beim zuständigen Krankenversicherungsträger bestimmt § 4 Abs 4 Satz 2 EFZG, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur entfällt, wenn es am Vorliegen eines wichtigen Grundes fehlt. Bezüglich des Entfalls der Entgeltfortzahlung bei Verletzung der Nachweispflicht nach § 4 Abs 1 EFZG fehlt zwar in § 4 Abs 4 Satz 1 EFZG eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Vorliegen (bzw Fehlen) eines wichtigen Grundes. Aus systematischen Erwägungen (arg „Das Gleiche gilt ...“ in § 4 Abs 4 Satz 2 EFZG) ist davon auszugehen, dass es auch bezüglich der allfälligen Verletzung der Nachweispflicht darauf ankommt, ob es dafür einen „wichtigen Grund“ gibt. Die Auffassung des Berufungsgerichts steht mit der auf das Vorliegen eines Verschuldens des Arbeitnehmers abstellenden LuRsp im Einklang.

 

Der gegenteiligen Auffassung der Revisionswerberin, wonach der Entfall der Entgeltfortzahlung vom Fehlen eines Verschuldens des Arbeitnehmers unabhängig sei, kann nicht gefolgt werden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin jedenfalls ab der zweiten Bestätigung vom 8. 5. 2008 kein Verschulden treffe und daher ab 9. 5. 2008 (Zugang der Bestätigung bei der Beklagten) nicht mehr säumig gewesen sei, ist vertretbar.

 

Die Beurteilung des Verschuldensgrades kann wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig nicht als erhebliche Rechtsfrage gewertet werden.