OGH: Arbeitsunfall iSd § 175 ASVG
Für den Unfallbegriff nicht relevant ist, ob die Körperschädigung durch eine physische oder psychische Wirkung (zB einen Nervenschock) hervorgerufen wird
§ 175 ASVG
GZ 10 ObS 96/11g, 04.10.2011
OGH: Von einem „Unfall“ wird nach stRsp nur dann gesprochen, wenn die Gesundheitsschädigung durch ein plötzliches, dh zeitlich begrenztes Ereignis bewirkt wurde, wobei „plötzlich“ allerdings nicht Einmaligkeit heißen muss. Auch kurz aufeinander folgende Einwirkungen, die nur in ihrer Gesamtheit einen Körperschaden bewirken, sind noch als plötzlich anzusehen, wenn sie sich innerhalb einer Arbeitsschicht oder eines sich auch auf mehrere Tage erstreckenden Dienstauftrags ereignet haben. Der entscheidende Unterschied zu den sonstigen Krankheiten liegt in der zeitlichen Begrenztheit des Ereignisses. Der Unfall muss gegenüber anderen Gründen einer Gesundheitsstörung, zB der schicksalshaften Entwicklung eines Leidens, begrifflich abgegrenzt werden, da die Unfallversicherung grundsätzlich nur für die Folgen bestimmter Unfälle, nicht jedoch für Gesundheitsstörungen aus anderen Gründen leistungspflichtig ist. Nicht als Unfall gelten daher gesundheitliche Folgen von Dauereinwirkungen, die in der Unfallversicherung nur geschützt werden, wenn sie als Berufskrankheiten anerkannt sind. Betriebliche Ereignisse, die nicht im Einzelnen, sondern erst in ihrer Gesamtheit eine messbare Gesundheitsstörung zur Folge haben, stellen keinen Arbeitsunfall dar, wenn sie in einer über eine Arbeitsschicht hinausgehenden Zeit eintreten. Die letzte körperliche oder seelische Belastung stellt dann nur das Endglied einer Kette von Ereignissen dar, die allmählich eingewirkt haben, ohne dass einem die Bedeutung eines Arbeitsunfalls beigemessen werden kann. Liegt das Ergebnis einer längeren krankheitsbedingten, möglicherweise auch berufsbedingten Entwicklung vor, kann nicht von einem Unfall gesprochen werden.
Für den Unfallbegriff nicht relevant ist, ob die Körperschädigung durch eine physische oder psychische Wirkung (zB einen Nervenschock) hervorgerufen wird. Auch ein psychisches Trauma kann ursächlich für einen Arbeitsunfall sein, wenn spezielle berufsbedingte Umstände beim Versicherten zB einen Schock, dh eine schlagartig auftretende schwere psychische Erschütterung bewirken. Es sind daher Schockzustände oder psychische Beeinträchtigungen, wie sie zB bei einem Lokführer von dem Miterleben eines Unfalls herrühren, einer körperlichen Schädigung gleichgestellt. Belanglos ist auch, ob die gesundheitsschädigenden Folgen sogleich oder erst später eintreten. Als Gesundheitsschädigung gilt auch die schnellere Entwicklung oder Verschlechterung einer schon früher vorhanden gewesenen krankhaften Veranlagung, hier die Aktualisierung der bereits beim Kläger vorbestehenden posttraumatischen Belastungsstörung. Für diese war der Vorfall vom 10. September 2009 wesentliche Ursache. Es liegt daher ein Arbeitsunfall iSd § 175 Abs 1 ASVG vor.