OGH: Zur Frage, ob die lex fori concursus (Art 4 Abs 2 lit b EuInsVO) oder die lex fori processus (Art 15 EuInsVO) bei Fortsetzung eines Rechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter über den Kreis der anzumeldenden Forderungen und deren Rang in der Insolvenz entscheidet
Von Art 15 EuInsVO nicht erfasst werden sonstige prozessuale Fragen, wie etwa die Stellung des Insolvenzverwalters oder auch Kosten des Verfahrens; die Regelung betrifft ebenso wenig den Kreis der anzumeldenden Forderungen und ihre Einreihung in die nach dem Insolvenzrecht des Verfahrenseröffnungsstaats bestehenden Forderungsarten und die Rangordnung der am Verfahren teilnehmenden (Insolvenz-)Forderungen; die Frage, was in einem Insolvenzverfahren überhaupt Gegenstand oder Recht der Masse sein kann, sohin die Frage der Massebildung und -beurteilung, ist gem Art 4 Abs 2 lit b EuInsVO nach der lex fori concursus zu beantworten
Art 15 EuInsVO, Art 4 EuInsVO
GZ 9 Ob 42/11h, 25.10.2011
OGH: Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen, dass Art 15 EuInsVO auch auf solche Rechtsstreite anzuwenden sei, die die Klärung der Zugehörigkeit eines Gegenstands oder Rechts zum Inhalt haben, ist Folgendes hervorzuheben:
Gem Art 15 EuInsVO gilt für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit über einen Gegenstand oder ein Recht der Masse ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Rechtsstreit anhängig ist.
Es ist nicht zweifelhaft, dass ein solcher Rechtsstreit sowohl Aktiv- als auch Passivprozesse gegen den Masseverwalter betreffen kann.
Die Reichweite der kollisionsrechtlichen Verweisung bezüglich der „Wirkungen“ bezieht sich auf die Frage der Unterbrechung des Verfahrens und die daran anknüpfenden verfahrensrechtlichen Folgen einer Unterbrechung, etwa die Frage, ob und gegebenenfalls durch wen das unterbrochene Verfahren wieder aufgenommen werden kann, die Form einer allfälligen Fortführung sowie über die prozessualen Änderungen, die sich aus dem Umstand der Aufhebung oder Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners und des Einschreitens des Verwalters an dessen Stelle ergeben können. Nicht erfasst werden dagegen sonstige prozessuale Fragen, wie etwa die Stellung des Insolvenzverwalters oder auch Kosten des Verfahrens. Die Regelung betrifft ebenso wenig den Kreis der anzumeldenden Forderungen und ihre Einreihung in die nach dem Insolvenzrecht des Verfahrenseröffnungsstaats bestehenden Forderungsarten und die Rangordnung der am Verfahren teilnehmenden (Insolvenz-)Forderungen. Die Vorschaltung der lex fori concursus in Bezug auf die Feststellung der Massezugehörigkeit des streitverfangenen Rechts oder Gegenstands bezweckt vielmehr eine „Vorauslese“, um zu verhindern, dass auch Prozesse über Gegenstände unterbrochen werden, die nach der lex fori concursus gar nicht zur Masse gehören. Für die genannten Fragen bleibt daher das Recht des Verfahrenseröffnungsstaats maßgeblich. Nach diesem richten sich auch die Bedingungen, unter denen eine Teilnahme zulässig ist.
Es trifft zwar zu, dass - wie die Klägerin meint - Art 15 EuInsVO auch dann anwendbar ist, wenn es um einen Streit gerade über die Zugehörigkeit eines Gegenstands oder Rechts zur Masse geht. Dies bedeutet aber nur, dass nach Art 15 EuInsVO die verfahrensrechtlichen Wirkungen auch bezüglich solcher Rechtsstreitigkeiten nach dem Recht des Verfahrensstaats zu beurteilen sind, in denen ein Streit über die Zugehörigkeit eines Gegenstands oder Rechts zur Masse verfahrensgegenständlich ist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Frage, was in einem Insolvenzverfahren überhaupt Gegenstand oder Recht der Masse sein kann, sohin die Frage der Massebildung und -beurteilung, gem Art 4 Abs 2 lit b EuInsVO nach der lex fori concursus zu beantworten ist.
Auch wenn sich der Tatbestand der „Wirkung“ iSd Art 15 EuInsVO prozessrechtlich auf die Fortsetzung des Verfahrens der Klägerin bezieht, ist das Berufungsgericht zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass die inhaltliche Berechtigung des Anspruchs gegen den Masseverwalter nach den (insolvenz-)rechtlichen Bestimmungen der dInsO als des Rechts des Verfahrenseröffnungsstaats zu beurteilen ist. Aus der auf Art 15 EuInsVO gestützten Berufung auf die Anwendung österreichischen Rechts ist für den Standpunkt der Klägerin nichts zu gewinnen.