13.12.2011 Zivilrecht

OGH: Zur Haftung eines kompetenzwidrig (eigenmächtig) handelnden Bürgermeisters

Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens mit Beweislastumkehr wird nur dort nicht zugelassen, wo Vorschriften ein mit besonderen Sicherheitsgarantien ausgestattetes Verfahren gewährleisten sollen, wo ein streng ausgestaltetes Verfahren dem besonderen Schutz hochrangiger Güter dient; auch wenn die in einer Gemeindeordnung festgeschriebene Einschränkung der Vertretungsbefugnis eines Bürgermeisters gerade dazu dient, eigenmächtiges Handeln und daraus entstehende Nachteile zu verhindern, bedeutet dies noch nicht, dass einem Verstoß dagegen ein Gewicht zukäme, wie es in den von LuRsp anerkannten Fällen zum Schutz besonders hochrangiger Güter gefordert wird


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Gemeinde, Bürgermeister, Vertretung, Überschreitung der Vollmacht, rechtmäßiges Alternativverhalten, Beweislastumkehr, Haftungserleichterung, Mäßigung, Verjähurng
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1 DHG, § 2 DHG, § 867 ABGB, § 1029 ABGB, § 1016 ABGB, § 1489 ABGB

GZ 5 Ob 52/11z, 09.11.2011

 

Der Beklagte war von 1989 bis 2007 Bürgermeister der klagenden Gemeinde. Die Klägerin begehrt vom Beklagten den Ersatz des ihr entstandenen Schadens iHv 42.556,20 EUR sA, der sich aus Zahlungen an Franz M***** iHv 38.244 EUR und den Verfahrens- und Exekutionskosten gegen Franz M***** von 4.312,20 EUR zusammensetzt. Der Beklagte habe sein Amt iSd § 302 StGB missbraucht. Er habe, ohne dazu gem § 58 Abs 2 Z 7 Oö Gemeindeordnung (im Folgenden: Oö GemO) befugt zu sein, eigenmächtig, nämlich ohne Beschluss des Gemeinderats, der nach § 43 Oö GemO zuständig gewesen wäre, Franz M***** ein Darlehen aus Gemeindegeldern ohne entsprechende Sicherstellung zugezählt.

 

OGH: Mit der Wahl zum Bürgermeister wird lediglich die Organfunktion, nicht aber ein wie immer geartetes schuldrechtliches Verhältnis zur Gemeinde begründet. Rechte und Pflichten des Organwalters gegenüber der Gemeinde ergeben sich aus den gemeinderechtlichen Bestimmungen. Bürgermeister üben ein politisches Amt aus und sind keine Dienstnehmer der Gemeinde.

 

Das DHG ist nicht nur dann anwendbar, wenn ein privatrechtliches oder öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis besteht, sondern ist durch § 1 Abs 1 Satz 2 DHG „auf sonstige Personen, die, ohne in einem Dienstverhältnis zu stehen, im Auftrag oder für Rechnung bestimmter anderer Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind“, ausgedehnt. Bei Verwirklichung dieser Voraussetzungen, dass ein Bürgermeister seine Organfunktion in einer Art und Weise hauptberuflich wahrnahm, die zumindest in die Nähe einer Vollzeitbeschäftigung kommt, hat der OGH eine Anwendung der Haftungserleichterungen des DHG auch für einen solchen Organwalter bejaht.

 

Mag man auch schon in der Bestreitung eines Schadenersatzanspruchs - ähnlich wie im Fall einer Konventionalstrafe - ein Begehren auf Mäßigung iSd § 2 DHG sehen, hätte der Beklagte, gerade weil kein Dienstverhältnis zur Klägerin vorliegt, jene Umstände behaupten und beweisen müssen, die iSd dargestellten LuRsp eine Subsumierung unter § 1 Abs 1 Satz 2 DHG zulassen. Er hat sich aber im erstinstanzlichen Verfahren weder auf die Anwendbarkeit des DHG gestützt, noch einen entsprechenden, darunter subsumierbaren Sachverhalt behauptet.

 

Ganz zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, dass der Schaden (die Vermögensminderung) nicht erst mit der endgültigen Uneinbringlichkeit einer Forderung eintritt, sondern schon mit der durch den Schadenersatzpflichtigen veranlassten Leistung einer nicht geschuldeten Zahlung, sofern der zur Zurückzahlung Verpflichtete (Franz M*****) nicht bereit bzw in der Lage ist, seiner Verpflichtung nachzukommen. Der unmittelbaren Verfügung über einen präsenten Bargeldbetrag kann eine gleich hohe Geldforderung schon deshalb grundsätzlich nicht gleichgehalten werden, weil sie stets mit dem Risiko der Einbringlichkeit bzw Rechtsverfolgung behaftet ist. Ein Schaden - iSd weiten Schadensbegriffs des ABGB - liegt nur dann nicht vor, wenn der Dritte als Kondiktionsschuldner sich bereit erklärt und auch imstande ist, seiner Rückzahlungsverpflichtung unverzüglich nachzukommen. Anderes gilt nur, wenn der Schadenseintritt vom Ausgang eines Verfahrens abhängt, was hier nicht der Fall ist.

 

Bestimmungen einer Gemeindeordnung, hier der Oö GemO, die bestimmte Rechtsgeschäfte dem Gemeinderat vorbehalten, stellen nicht bloß interne Organisationsvorschriften dar, sondern beinhalten eine Beschränkung der allgemeinen Vertretungsbefugnis des Bürgermeisters. Für die Frage der Gültigkeit eines von einer Gemeinde abgeschlossenen Vertrags kommt es zufolge § 867 ABGB entscheidend auf die Bestimmung der Gemeindeordnung an. Eine durch erforderlichen Gemeinderatsbeschluss nicht gedeckte Willenserklärung eines Bürgermeisters bindet mangels der hiefür erforderlichen Vertretungsbefugnis grundsätzlich die Gemeinde nicht.

 

Überschreitet der Gewalthaber die Grenzen seiner Vollmacht, so wird der Gewaltgeber gem § 1016 ABGB nur insoweit verpflichtet, als er das Geschäft genehmigt oder sich den aus dem Geschäft entstandenen Vorteil zugewendet hat. Diese Regel gilt auch für Gemeinden. Weil klarerweise von einer Vorteilszuwendung keine Rede sein kann - M***** erbrachte ja keine weiteren Leistungen mehr -, käme es darauf an, ob das zuständige Gemeindeorgan ausdrücklich oder schlüssig dem Geschäft die Genehmigung erteilte. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten ins Treffen geführte Prüfung durch den Prüfungsausschuss deckte zwar die Gesetzwidrigkeit der Mittelverwendung durch den Beklagten nicht auf, hat aber darüber hinaus nicht die von ihm in Anspruch genommene rechtliche Bedeutung. Der Prüfungsausschuss ist zwar zufolge seiner in § 91 Abs 2 Oö GemO zur Feststellung der Gesetzmäßigkeit einer Ausgabe zuständig, nicht aber obliegt ihm eine Vertretungsbefugnis zum Abschluss von Rechtsgeschäften. Aus diesem Grund kann eine mangelnde Beanstandung durch den Prüfungsausschuss auch nicht als Genehmigung durch den zuständigen Gemeinderat gewertet werden.

 

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens bzw die Bestreitung der Kausalität der Unterlassung der Einholung der Zustimmung des Gemeinderats für den eingetretenen Schaden, nicht von vornherein abzulehnen. Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens mit Beweislastumkehr wird nur dort nicht zugelassen, wo Vorschriften ein mit besonderen Sicherheitsgarantien ausgestattetes Verfahren gewährleisten sollen, wo ein streng ausgestaltetes Verfahren dem besonderen Schutz hochrangiger Güter dient.

 

Die bloße Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften, Verfahrensvorschriften oder Formalfehler können den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht ausschließen. So wurde der Einwand etwa bei vorschriftswidriger Pfändung oder bei Sicherungsmaßnahmen durch eine unzuständige Behörde zugelassen.

 

Auch wenn die in einer Gemeindeordnung festgeschriebene Einschränkung der Vertretungsbefugnis eines Bürgermeisters gerade dazu dient, eigenmächtiges Handeln und daraus entstehende Nachteile zu verhindern, bedeutet dies noch nicht, dass einem Verstoß dagegen ein Gewicht zukäme, wie es in den von LuRsp anerkannten Fällen zum Schutz besonders hochrangiger Güter gefordert wird. Dem Beklagten steht daher der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens offen.

 

Das Erstgericht wird daher im ergänzenden Verfahren nach Erörterung mit den Parteien entsprechende Tatsachengrundlagen zu schaffen haben, die eine Beurteilung der Frage ermöglichen, ob der (allein zuständige) Gemeinderat im Jahr 2003 bei Befassung mit höchster Wahrscheinlichkeit eine entsprechende Zuschussvereinbarung mit M***** getroffen hätte.

 

Was schließlich den Einwand des Beklagten betrifft, ihn treffe kein Verschulden an einem der Klägerin entstandenen Schaden (gemeint wohl: es fehle ihm die Vorhersehbarkeit an einem der Klägerin entstehenden Schaden), weil die Vermögenslage M*****s für ihn nicht erkennbar gewesen sei, reicht es aus, darauf hinzuweisen, dass der Vertragspartner der Gemeinde nicht einmal in der Lage war, die zu seiner Berufsausübung notwendige Geräteumstellung zu finanzieren. Dass ein solcher Vertragspartner kein Vertrauen genießen kann, insbesondere aber sogar eine Vorschussgewährung an ihn ernsten Bedenken begegnen muss, liegt auf der Hand.

 

Soweit der Beklagte das Fehlverhalten jener Gemeindebediensteten ins Treffen führt, die seiner Auszahlungsanweisung nicht hätten Folge leisten dürfen, übersieht er den Umstand, dass es im Fall mehrerer Schädiger zu einer Solidarverpflichtung (§ 1302 ABGB), nicht aber zu seiner (gänzlichen) Exkulpierung käme.