02.06.2020 Zivilrecht

OGH: § 364 Abs 2 ABGB iZm Blendung durch Photovoltaikanlagen

Es ist unerheblich, ob die Immission von einer künstlichen oder natürlichen Lichtquelle ausgeht; es spricht nichts dagegen, die zu Lichtimmissionen aufgrund künstlicher Lichtquellen von der Rsp entwickelten Grundsätze auch auf Lichtimmissionen aufgrund reflektierten Sonnenlichts zu übertragen; dabei kommt es nicht auf die Ortsüblichkeit der emittierenden Anlagen, sondern nur auf die Ortsüblichkeit der Emissionen an; soweit daher der Beklagte Feststellungen dazu vermisst, dass ihm eine andere Aufstellung der Anlage nicht möglich gewesen wäre bzw ob die Art der Anbringung (nicht am Dach, sondern entlang der Grundstücksgrenze) üblich ist, kommt es darauf nicht an; wann aus einer Überschreitung des bis dahin Ortsüblichen eine Änderung des Üblichen wird, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls


Schlagworte: Nachbarrecht, Lichtimmissionen, Blendung durch Photovoltaikanlagen, Ortsüblichkeit
Gesetze:

 

§ 364 ABGB

 

GZ 9 Ob 80/19h, 26.02.2020

 

OGH: Die Anfechtung der Ergebnisse von Sachverständigengutachten mit Revision ist nur insoweit möglich, als dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen ist, nicht aber das Ergebnis der Anwendung einer an sich geeigneten Methode. Besteht – wie hier – keine gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von der Tatsacheninstanz gebilligte Ergebnis eines Gutachtens grundsätzlich keiner Nachprüfung durch den OGH, weil es um eine Tatfrage geht.

 

Dass die OVE-Richtlinie R 11-3:2016 11 01 „Blendung durch Photovoltaikanlagen“ nicht unmittelbar auf die vorliegende Solaranlage Anwendung findet, hat der Sachverständige ohnehin offengelegt. Er hat aber auch darauf verwiesen, dass die grundlegenden Festlegungen der Richtlinie auch auf vergleichbare Anlagen übertragbar sind. Dies wurde vom Beklagten in erster Instanz auch nicht bezweifelt.

 

Ob diese Richtlinie zur Beurteilung der Blendwirkung der Anlage herangezogen werden kann, ist vom Sachverständigen aufgrund seiner Fachkenntnisse zu entscheiden. Soweit das Erstgericht die entsprechenden technischen Ausführungen des Sachverständigen seinen Feststellungen zugrunde gelegt hat, ist dies der vom OGH nicht überprüfbaren Tatsachenebene zuzurechnen.

 

Die Beurteilung der Ortsüblichkeit bzw Wesentlichkeit der von der Anlage ausgehenden Beeinträchtigung stellt dagegen eine Rechtsfrage dar, die ausgehend von den getroffenen Feststellungen unabhängig von der Richtlinie zu beurteilen ist und von den Vorinstanzen auch beurteilt wurde.

 

Nach § 364 Abs 2 ABGB sind Immissionen nur soweit unzulässig, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Der Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB setzt daher voraus, dass die Beeinträchtigung (Immission) sowohl ortsunüblich als auch unzumutbar ist. Der Maßstab der Wesentlichkeit der Einwirkung ist in erster Linie ein objektiver, der auf die Benützung der Nachbargrundstücke abstellt und daher von der Natur und Zweckbestimmung des beeinträchtigenden Grundstücks abhängig ist. Maßgeblich ist demnach nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Gestörten befindet.

 

Ob eine Einwirkung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigt und die ortsübliche Benutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

 

Zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs nach § 364 Abs 2 ABGB hat der Kläger sein Eigentumsrecht und die Einwirkung zu beweisen, der Beklagte hingegen die Zulässigkeit seiner Einwirkung.

 

Lichtimmissionen waren bereits mehrfach Gegenstand oberstgerichtlicher Entscheidungen. Diese betrafen nicht nur die von künstlichen (technischen) Lichtquellen ausgehenden Einwirkungen, sondern auch die Einwirkung reflektierten Sonnenlichts. Es ist aber unerheblich, ob die Immission von einer künstlichen oder natürlichen Lichtquelle ausgeht. Es spricht nichts dagegen, die zu Lichtimmissionen aufgrund künstlicher Lichtquellen von der Rsp entwickelten Grundsätze auch auf Lichtimmissionen aufgrund reflektierten Sonnenlichts zu übertragen.

 

Dabei kommt es nicht auf die Ortsüblichkeit der emittierenden Anlagen, sondern nur auf die Ortsüblichkeit der Emissionen an. Soweit daher der Beklagte Feststellungen dazu vermisst, dass ihm eine andere Aufstellung der Anlage nicht möglich gewesen wäre bzw ob die Art der Anbringung (nicht am Dach, sondern entlang der Grundstücksgrenze) üblich ist, kommt es darauf nicht an.

 

Nach den Feststellungen kommt es zwischen März und Ende September zu Lichtimmissionen, die bezüglich unterschiedlicher Betrachtungspunkte zwischen 64 und 360 Minuten pro Tag zu einer „Absolutblendung“ führen. Die Reflexionen erreichen ua den Gang vor dem Küchenfenster, die Fenster der Galerie, die Poteste der Zugangsstiege, das Garagentor und den Ausfahrts- und Eingangsbereich.

 

Die Kläger halten sich zumeist in der Küche und in der Galerie auf. Damit handelt es sich um Teile der Räumlichkeiten, die von den Klägern als Wohnräume genutzt werden und um den gesamten Zugangs- bzw Zufahrtsbereich. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass diese Beeinträchtigung wesentlich ist und den Klägern auch im Rahmen eines Interessenausgleichs zwischen Nachbarn nicht zumutbar ist, regelmäßig tagsüber die Fenster abzudunkeln und im Zugangsbereich Sonnenbrillen zu tragen, ist nicht korrekturbedürftig.

 

Ob die Ortsüblichkeit einer vom Nachbargrund ausgehenden Immissionsbeeinträchtigung allein durch die Nichtausübung möglicher Abwehrrechte verändert werden kann, ist umstritten. Uneinigkeit herrscht dabei nicht zuletzt über die Zeit der Untätigkeit, die verstreichen muss, damit sich die Grenzen der Duldungspflicht verschieben.

 

Die Umgebung, die der in § 364 Abs 2 ABGB verwendete Begriff „Ort“ („örtliche Verhältnisse“) umschreibt, lässt sich nämlich im Regelfall nicht auf das emittierende und das oder die davon wesentlich beeinträchtigte(n) Grundstück(e) reduzieren. Die „örtlichen Verhältnisse“ sind weiträumiger zu verstehen; es geht um Gebiets- bzw Stadtteile („Viertel“) mit annähernd gleichen Lebens- und Umweltbedingungen. Was auf einem einzigen Grundstück in der Gemeinde herkömmlich ist, muss noch nicht ortsüblich sein.

 

So wird bei Immissionseinwirkungen, die von einer Liegenschaft ausgehen, die den Charakter der Gegend prägt, nach kürzerer Zeit von einer Ortsüblichkeit auszugehen sein.

 

Wann daher aus einer Überschreitung des bis dahin Ortsüblichen eine Änderung des Üblichen wird, richtet sich ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls.

 

Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass im konkreten Fall allein die Untätigkeit der Kläger über einen längeren Zeitraum noch nicht zu einer Ortsüblichkeit der Blendwirkung ausgehend von einer einzelnen privaten Solaranlage führt, hält sich dabei im gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum.