28.01.2019 Zivilrecht

OGH: Überlassung des Kfz an Dritten ohne Zustimmung des Zulassungsbesitzers – zur Frage, ob auch die vermögensrechtlichen Interessen des Zulassungsbesitzers vom Schutzzweck des § 102 Abs 8 KFG erfasst sind

§ 102 Abs 8 KFG bezweckt grundsätzlich den Schutz der Allgemeinheit vor Schäden, die infolge der mangelnden Fahrtauglichkeit eines Lenkers drohen, wobei allerdings aus folgenden Gründen der Kreis der von der Schutzwirkung erfassten Personen um die Person des Zulassungsbesitzers zu erweitern ist; dies ergibt sich schon aus dem Erfordernis seiner Zustimmung zur Weitergabe des Fahrzeugs, womit die Norm offenkundig (auch) die Möglichkeit der Beurteilung des Zulassungsbesitzers schützt, auf wessen Fahrkönnen er vertraut und wem er daher das Lenken seines Fahrzeugs gestattet; diese Möglichkeit dient zwar einerseits der Vermeidung von Schäden Dritter, andererseits aber auch und gerade der Vermeidung der Beschädigung des eigenen Fahrzeugs; hat die Norm aber den Zweck, die diesbezügliche Beurteilung durch den Zulassungsbesitzer abzusichern, dann sind auch Schäden an dessen eigenen Fahrzeug, die durch einen Fahrfehler eines nicht von seiner Zustimmung gedeckten Lenkers verursacht wurden, vom Schutzbereich erfasst; auf das formale Erfordernis der Lenkberechtigung käme es dann gar nicht entscheidend an


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Kraftfahrrecht, Überlassung des Kfz an Dritten ohne Zustimmung des Zulassungsbesitzers, Vermögensschaden des Zulassungsbesitzers, Schutznorm
Gesetze:

 

§ 102 KFG, § 103 KFG, §§ 1295 ff ABGB, § 1311 ABGB

 

GZ 2 Ob 222/17m, 17.12.2018

 

OGH: § 102 KFG regelt die Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers. Gem Abs 8 dieser Bestimmung darf der Lenker das Lenken eines ihm übergebenen Kraftfahrzeugs ohne Zustimmung des Zulassungsbesitzers nicht dritten Personen überlassen.

 

Diese Verbotsnorm ist iZm den in § 103 KFG geregelten Pflichten des Zulassungsbesitzers zu sehen:

 

Soweit hier von Bedeutung darf der Zulassungsbesitzer nach § 103 Abs 1 Z 3 lit a KFG das Lenken seines Kfz nur Personen überlassen, die die erforderliche Lenkberechtigung besitzen. Er hat sich daher vor der Überlassung davon zu überzeugen, ob die Person, der das Kfz überlassen werden soll, die Lenkberechtigung besitzt. Dieselbe Verpflichtung trifft den Zulassungsbesitzer aber, will man einen Wertungswiderspruch vermeiden, auch dann, wenn es um die Erteilung der nach § 102 Abs 8 KFG erforderlichen Zustimmung zur Überlassung seines Kfz durch den Lenker an eine dritte Person geht. Letztlich liegt es daher stets in der Verantwortung des Zulassungsbesitzers, dass nur ein dazu berechtigter Lenker sein Kfz lenkt.

 

§ 103 Abs 1 Z 3 KFG ist eine Schutznorm iSd § 1311 ABGB, die allen Schäden, die durch mangelnde Fahrtauglichkeit des Lenkers verursacht werden, vorzubeugen sucht und deren Zweck im Schutz der Allgemeinheit liegt. Sie bezweckt nur nicht den Schutz des Fahrers selbst oder jener Person, die trotz Kenntnis von der fehlenden Lenkberechtigung des Lenkers im Kfz mitfährt. Auch der Zulassungsbesitzer selbst, dessen Verpflichtung zur Nichtüberlassung seines Fahrzeugs an einen fahruntauglichen Lenker die Bestimmung ja gerade regelt, wird von deren Schutzzweck nicht erfasst.

 

Auf dieser Grundlage ist jedenfalls – wie selbst die Beklagte nicht bezweifelt – auch § 102 Abs 8 KFG als Schutznorm iSd § 1311 ABGB zu beurteilen, die wertungsmäßig jener des § 103 Abs 1 Z 3 KFG entspricht. Auch diese Schutznorm bezweckt daher grundsätzlich den Schutz der Allgemeinheit vor Schäden, die infolge der mangelnden Fahrtauglichkeit eines Lenkers drohen, wobei allerdings aus folgenden Gründen der Kreis der von der Schutzwirkung erfassten Personen um die Person des Zulassungsbesitzers zu erweitern ist.

 

Dies ergibt sich schon aus dem Erfordernis seiner Zustimmung zur Weitergabe des Fahrzeugs, womit die Norm offenkundig (auch) die Möglichkeit der Beurteilung des Zulassungsbesitzers schützt, auf wessen Fahrkönnen er vertraut und wem er daher das Lenken seines Fahrzeugs gestattet. Diese Möglichkeit dient zwar einerseits der Vermeidung von Schäden Dritter, andererseits aber auch und gerade der Vermeidung der Beschädigung des eigenen Fahrzeugs. Hat die Norm aber den Zweck, die diesbezügliche Beurteilung durch den Zulassungsbesitzer abzusichern, dann sind auch Schäden an dessen eigenen Fahrzeug, die durch einen Fahrfehler eines nicht von seiner Zustimmung gedeckten Lenkers verursacht wurden, vom Schutzbereich erfasst. Auf das formale Erfordernis der Lenkberechtigung käme es dann gar nicht entscheidend an.

 

Folgt man dem Vorbringen der Beklagten, hat sie die in § 102 Abs 8 KFG normierte Pflicht verletzt. Damit hinderte sie den Kläger an der Möglichkeit zu beurteilen, wem er sein Fahrzeug anvertraut. Infolge dieser Pflichtverletzung ist ein Schaden eingetreten, den die übertretene Norm verhindern wollte. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung der Schutznorm und dem eingetretenen Schaden ist deshalb zu bejahen. Der Kläger hat nach allgemeinen deliktischen Grundsätzen Anspruch auf Schadenersatz. Ob daneben auch eine vertragliche Haftung der Beklagten bestünde, ist für diese Beurteilung nicht relevant.

 

Unterstellt man abermals die Richtigkeit der Prozessbehauptung der Beklagten, nicht sie, sondern der Stiefsohn des Klägers habe dessen Pkw im Unfallszeitpunkt gelenkt, war die Weitergabe des Kfz an den Stiefsohn für den Eintritt des Schadens (iSe conditio sine qua non) kausal. Hätte sie ihm das Lenken des Fahrzeugs nicht überlassen, wäre der Schaden nicht eingetreten.

 

Auch die adäquate Verursachung des Schadens ist zu bejahen, liegt es doch keineswegs außerhalb aller Lebenserfahrung, dass ein Lenker ohne Lenkberechtigung die Herrschaft über das von ihm gelenkte Kfz verliert.

 

Der Beweis fehlenden Verschuldens oblag der Beklagten, die objektiv gegen die Schutznorm des § 102 Abs 8 KFG verstoßen hat. Dieser Beweis wäre ihr selbst dann nicht gelungen, wenn man wieder die Richtigkeit ihres Prozessvorbringens unterstellt. Denn die Beklagte hat nie behauptet, dass ihr die Einholung der Zustimmung des Klägers nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre.

 

Den Beweis, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten entstanden wäre, hat die Beklagte nicht einmal angetreten. In ihrem erstinstanzlichen Vorbringen geht sie vielmehr selbst vom Wissen des Klägers über die fehlende Fahrtauglichkeit seines Stiefsohns aus, sodass bei lebensnaher Würdigung der Gesamtumstände mit der Zustimmung des Klägers zur Überlassung seines Pkw an den Stiefsohn keinesfalls zu rechnen gewesen wäre. Gegenteiliges hat die Beklagte ohnehin nicht behauptet.

 

Unter diesen Prämissen hat das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten für den Schaden des Klägers auf deliktischer Grundlage zutreffend bejaht. Die vom Erstgericht offen gelassene Frage, ob zwischen den Streitteilen eine vertragliche Bindung bestand, ist daher für die Entscheidung ebenso wenig von Bedeutung, wie die vom Berufungsgericht nicht beantwortete Frage, ob die Feststellung, die Beklagte habe bei Weitergabe des Fahrzeugs von der fehlenden Lenkberechtigung des Stiefsohns Kenntnis gehabt, als „überschießend“ außer Betracht zu bleiben hat.