21.05.2012 Zivilrecht

OGH: Zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht

Wollte man nicht nur die Aufklärung über typische Operationsrisiken verlangen, sondern jeweils auch Hinweise auf typische Komplikationen bei Verwirklichung solcher Risiken fordern, würde dies die Aufklärungspflicht in unvertretbarer Weise ausdehnen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arzthaftung, Aufklärungspflicht, typische Operationsrisiken / Komplikationen
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 7 Ob 228/11x, 25.01.2012

 

OGH: Nach stRsp umfasst die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten. Für die nachteiligen Folgen einer ohne ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt (bzw der Krankenhausträger) selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung - wie im vorliegenden Fall - kein Kunstfehler unterlaufen ist, es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten instand setzen, die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, zu überschauen. Der Patient kann nur dann wirksam seine Einwilligung geben, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde. Nach stRsp reicht die ärztliche Aufklärungspflicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder geboten ist. Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist eine umfassende Aufklärung notwendig. Grundsätzlich muss der Arzt aber nicht auf alle nur denkbaren Folgen einer Behandlung hinweisen. Bei Vorliegen sog typischer Gefahren ist die ärztliche Aufklärungspflicht verschärft. Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist; der uninformierte Patient wird überrascht, weil er nicht mit der aufgetretenen Komplikation rechnete. Diese typischen Risiken müssen erhebliche Risiken sein, die geeignet sind, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen, ohne dass dabei nur auf die Häufigkeit der Verwirklichung dieses Risikos abzustellen wäre. Die Rechtsfrage, in welchem Umfang der Arzt den Patienten aufzuklären hat, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten.

 

Es steht fest, dass der Kläger über die für eine laparoskopisch durchgeführte Rektopexie-Operation typische Komplikation einer auf eine Gefäßverletzung zurückzuführenden Potenzstörung sowohl mündlich als auch schriftlich ausdrücklich hingewiesen wurde. Das Berufungsgericht meint, dieser Hinweis sei unzureichend gewesen; der Kläger hätte auch auf das Risiko einer Zeugungsunfähigkeit aufmerksam gemacht werden müssen, das sich im Zuge der „Reparaturoperation“ verwirklicht habe.

 

Nach den Feststellungen des Erstgerichts war die Verletzung dieses Nervengeflechts im vorliegenden Fall für den Operateur trotz Vorgehens nach den Regeln der ärztlichen Kunst und Einhaltung der gebotenen Sorgfalt nicht vermeidbar. Die derzeit beim Kläger gegebene Zeugungsunfähigkeit ist nicht auf die Rektopexie-Operation zurückzuführen, sondern resultiert aus einer im Zuge des Reparatureingriffs aufgetretenen Komplikation. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts stellt die Zeugungsunfähigkeit kein typisches Risiko einer Rektopexie-Operation dar, über das der Kläger aufzuklären gewesen wäre. Wollte man nicht nur die Aufklärung über typische Operationsrisiken, deren Wahrscheinlichkeit - wie hier - nur bei 0,05 % bis 0,1% liegt, verlangen, sondern jeweils auch Hinweise auf typische Komplikationen bei Verwirklichung solcher Risiken fordern, würde dies, wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, die Aufklärungspflicht in unvertretbarer Weise ausdehnen. Den Patienten müsste oftmals eine derartige Fülle von Informationen gegeben werden, dass ihnen eine Einschätzung der Lage nicht ermöglicht, sondern erschwert würde. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger sei von den Ärzten der Beklagten nicht nur über die typischen Risiken einer Rektopexie-Operation aufzuklären gewesen, sondern hätte auch über allfällige typische Folgen dieser typischen Risiken unterrichtet werden müssen, ist daher nicht zu teilen.

 

Auf die im Rekurs aufgeworfene Frage der Dringlichkeit der Operation muss nicht näher eingegangen werden. Auch wenn man der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts beipflichtet, die Rektopexie-Operation sei zwar geboten, aber (da lediglich eine „baldige“ Operation indiziert gewesen sei) nicht eilig gewesen, sodass hier jedenfalls eine verschärfte Pflicht zur Aufklärung auch über sehr selten auftretende Komplikationen erforderlich gewesen sei, ist eine Verletzung der Aufklärungspflicht im vorliegenden Fall zu verneinen.