08.01.2018 Verfahrensrecht

OGH: Zum Beweismittelverwertungsverbot für rechtswidrig erlangte Tonbandaufnahmen

Bei Transkripten rechtswidrig erlangter Tonbandaufnahmen ist für deren prozessuale Verwertbarkeit wegen ihrer Qualifikation als Urkunden keine Interessenabwägung vorzunehmen


Schlagworte: Beweismittelverwertungsverbot, rechtswidrig erlangte Tonbandaufnahmen, Aufnahme einer Gerichtsverhandlung, Übertragung, Transkript, Urkundenbeweis, Interessenabwägung
Gesetze:

 

§ 120 StGB, §§ 304 f ZPO

 

GZ 4 Ob 139/17w, 21.11.2017

 

OGH: § 120 Abs 1 StGB pönalisiert die Aufnahme einer nicht öffentlichen Äußerung, Abs 2 die Wieder- und Weitergabe einer solchen (einschließlich der Weitergabe an einen Dritten, damit dieser ein Transkript anfertigt). Von § 120 StGB geschützt sind nicht öffentliche Äußerungen, eine Gerichtsverhandlung ist dagegen öffentlich. Soweit es sich beim Tonband um eine Aufnahme einer öffentlichen Verhandlung handelt, kommt daher § 120 StGB nicht zum Tragen. Auch die Anfertigung und Weitergabe eines Transkripts sind nicht tatbildlich.

 

Soweit die vorliegende Aufnahme über die Aufzeichnung der öffentlichen Gerichtsverhandlung hinausreicht, ist im Strafprozess die Verwendung eines insofern strafgesetzwidrig gewonnenen Tonbandmitschnittes insbesondere zur Entlastung des Beschuldigten vom Vorwurf einer Straftat unter dem Aspekt des rechtfertigenden Notstands zulässig.

 

Auch im Zivilprozess ist anerkannt, dass es in besonderen Ausnahmefällen (Notwehr, Notstand, Verfolgung überragender berechtigter Interessen) zulässig ist, auch rechtswidrig erlangte Tonbandaufnahmen jedenfalls dann zu verwerten, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein Prozessbetrugsversuch des Prozessgegners vorliegt. In diesem Fall befindet sich die Partei in einer Notwehrsituation, in der ihr durch Verwehrung der Einbringung eines Tonbands in den Prozess das mangels (glaubwürdiger) Zeugenaussagen möglicherweise einzige wirksame Verteidigungsmittel genommen würde; dies hätte ihren Beweisnotstand zur Folge.

 

Dem Beweisführer obliegt dabei der Beweis, dass er die Tonaufzeichnung bei sonstiger Undurchsetzbarkeit seines Anspruchs benötigt und dass sein verfolgter Anspruch und seine subjektiven Interessen höherwertiger sind als die bei der Erlangung des Beweismittels verletzte Privatsphäre des Prozessgegners. Bei Transkripten solcher Tonaufnahmen ist für deren prozessuale Verwertbarkeit - im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Qualifikation als Urkunden und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine Rechtswidrigkeit iSe Verstoßes gegen § 120 StGB nicht vorliegt - keine Interessenabwägung vorzunehmen.