05.02.2018 Zivilrecht

OGH: § 231 ABGB – zur Frage, ob verzögerte Reife ohne psychiatrischen Krankheitswert als Verschulden des Unterhaltsberechtigten zu werten und deshalb fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes anzunehmen ist

Mit seiner Argumentation, der Antragsgegner hätte aufgrund seiner abgeschlossenen Berufsausbildung (Handelsschulabschluss) innerhalb von sechs Monaten einen Arbeitsplatz finden können, wenn er sich nur entsprechend darum bemüht hätte, ignoriert der Antragsteller die vom Rekursgericht verdeutlichten, auf dem berufskundlichen Sachverständigengutachten basierenden Feststellungen: Demnach war die Erfolglosigkeit der Arbeitsplatzsuche des Antragsgegners keineswegs auf fehlende Eigeninitiative oder sonst schuldhaftes Verhalten zurückzuführen sondern auf seine psychischen Einschränkungen iVm der Arbeitsmarktlage; die Beurteilung, dass die von der psychiatrischen Sachverständigen diagnostizierte unreife Persönlichkeit des Antragsgegners (die sich in seiner geringen Motivation manifestiert, sich den Anforderungen des Arbeitslebens zu stellen) diesem nicht als Verschulden angelastet werden kann, ist nicht korrekturbedürftig; es liegt nämlich auf der Hand, dass den Antragsgegner an seiner verzögerten Reife kein Verschulden trifft, auch wenn damit keine manifeste Persönlichkeitsstörung (iSe psychischen Erkrankung) verbunden ist


Schlagworte: Familienrecht, Kindesunterhalt, fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit, verzögerte Reife ohne psychiatrischen Krankheitswert, Verschulden
Gesetze:

 

§ 231 ABGB

 

GZ 3 Ob 222/17v, 20.12.2017

 

OGH: Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist.

 

Ein dem Pflichtschulalter entwachsener, aber objektiv nicht selbsterhaltungsfähiger Unterhaltsberechtigter kann seinen Unterhaltsanspruch wegen fiktiver Selbsterhaltungsfähigkeit nur dann verlieren, wenn er arbeits- und ausbildungsunwillig ist, ohne dass ihm krankheits- oder entwicklungsbedingt die Fähigkeit fehlte, für sich selbst aufzukommen.

 

Das nachhaltige Unterlassen von zumutbaren Bemühungen in Richtung einer Berufsausübung bzw Zukunftsvorsorge löst die Rechtsfolge einer bleibenden, nur hypothetischen Selbsterhaltungsfähigkeit aus und führt zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen die Eltern.

 

Ein Kind verliert seinen Unterhaltsanspruch also nicht automatisch mit dem Abschluss der Berufsausbildung, sondern nur dann, wenn es die Aufnahme einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit aus Verschulden unterlässt.

 

Von den Grundsätzen dieser Rsp sind die Vorinstanzen nicht abgewichen: Mit seiner Argumentation, der Antragsgegner hätte aufgrund seiner abgeschlossenen Berufsausbildung (Handelsschulabschluss) innerhalb von sechs Monaten einen Arbeitsplatz finden können, wenn er sich nur entsprechend darum bemüht hätte, ignoriert der Antragsteller die vom Rekursgericht verdeutlichten, auf dem berufskundlichen Sachverständigengutachten basierenden Feststellungen: Demnach war die Erfolglosigkeit der Arbeitsplatzsuche des Antragsgegners keineswegs auf fehlende Eigeninitiative oder sonst schuldhaftes Verhalten zurückzuführen sondern auf seine psychischen Einschränkungen iVm der Arbeitsmarktlage. Die Beurteilung, dass die von der psychiatrischen Sachverständigen diagnostizierte unreife Persönlichkeit des Antragsgegners (die sich in seiner geringen Motivation manifestiert, sich den Anforderungen des Arbeitslebens zu stellen) diesem nicht als Verschulden angelastet werden kann, ist nicht korrekturbedürftig. Es liegt nämlich auf der Hand, dass den Antragsgegner an seiner verzögerten Reife kein Verschulden trifft, auch wenn damit keine manifeste Persönlichkeitsstörung (iSe psychischen Erkrankung) verbunden ist.