13.02.2018 Zivilrecht

OGH: Haftung von Facebook-Seiten-Betreiber als Host-Provider iSd § 16 ECG für Kommentierung von Beiträgen durch Follower - unverzügliches Tätigwerden bei Löschung nach Wochenende?

Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt die Notwendigkeit zur Einholung juristischen Rats bestand, handelten die Beklagten doch jedenfalls nicht unverzüglich; die Antwort des Rechtsanwalts ging bei den Beklagten nämlich bereits am Freitag Vormittag ein; berücksichtigt man, dass die Beklagten zuvor einen Artikel ausdrücklich mit dem Ziel verfassten, die Klägerin zu einer Klagsführung zu provozieren, wobei diesen auch klar war, dass auf diesen Artikel Reaktionen Dritter (auch) in Form von Kommentaren auf ihrer Facebookseite folgen werden, ist die Anlegung eines strengen Maßstabs sachgerecht; der Revision ist auch nicht konkret zu entnehmen, warum eine Beauftragung der Seitenadministratorin nicht schon vor Montag möglich gewesen wäre; zumal der Erstbeklagte nach den Feststellungen mit der Seitenadministratorin sogar am Wochenende telefonierte, ihr aber keinen Auftrag zur Löschung der Kommentare erteilte; im Übrigen konnten die Beklagten auch selbst Löschungen durchführen, sodass der Unterscheidung in Wochentage und Wochenende im vorliegenden Fall letztlich keine entscheidende Bedeutung zukommt; bei dieser Sachlage ist in der Auffassung des Berufungsgerichts, eine Untätigkeit von drei Tagen (über ein Wochenende) begründe ein „schuldhaftes Zögern“ keine vom OGH im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken


Schlagworte: E-Commerce-Recht, Haftung, Host-Provider, Facebook, Follower, unverzügliches Tätigwerden, Löschen, Einholung juristischen Rats, Wochenende
Gesetze:

 

§ 16 ECG

 

GZ 6 Ob 204/17v, 21.12.2017

 

OGH: Nach § 16 Abs 1 ECG ist ein Diensteanbieter, der von einem Nutzer eingegebene Informationen speichert, für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen nicht verantwortlich, sofern er 1. von einer rechtswidrigen Tätigkeit oder Information keine tatsächliche Kenntnis hat und sich im Bezug auf Schadenersatzansprüche auch keiner Tatsachen oder Umstände bewusst ist, aus denen eine rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, oder 2. sobald er diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erhalten hat, unverzüglich tätig wird, und die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren.

 

Nach mittlerweile stRsp des erkennenden Senats sind die Betreiber von Facebook-Seiten, die ihren „Followern“ (Nutzern) die Kommentierung von Beiträgen auf der Seite ermöglichen als Host-Provider iSd § 16 ECG zu qualifizieren und müssen daher nach der Erlangung einer Kenntnis über rechtswidrige Inhalte unverzüglich tätig werden. Für die Haftung der Beklagten als Host-Provider kommt es daher darauf an, ob sie ihrer Verpflichtung zur Entfernung iSd § 16 Abs 1 Z 2 ECG fristgerecht nachgekommen sind. Die Vorinstanzen verneinten diese Frage, weil die Beklagten zwischen der Antwort ihres Rechtsvertreters und der Löschung drei Tage verstreichen ließen.

 

Vom Gesetzgeber wird der Begriff „unverzüglich“ iSv „ohne schuldhaftes Zögern“ verstanden.

 

In der E 6 Ob 178/04a wurde die Entfernung nach „zumindest einer Woche“ als nicht unverzüglich beurteilt. Dabei wurde erwogen, dass bereits eine Rechtsverletzung stattgefunden hatte, sodass der Gästebuchbetreiber verpflichtet war, die Beiträge im Online-Gästebuch laufend zu beobachten, ob sie erneute Äußerungen der beanstandeten Art, die für den betroffenen Kläger eine besonders einschneidende Wirkung haben konnten, enthielten.

 

In dem der E 6 Ob 188/16i zugrunde liegenden Fall wurden die inkriminierten Postings am Tag der Zustellung der Klage gelöscht, dass der Forenbetreiber bereits zuvor in Kenntnis der selben gewesen wäre, wurde nicht geltend gemacht. Demgegenüber wurde in der E 6 Ob 244/16z eine erst nach neun Tagen erfolgte Löschung als nicht unverzüglich angesehen.

 

Nach einer Entscheidung des OLG Graz (10 Bs 172/11m) ist eine Entfernung von Postings nach drei Tagen nicht unverzüglich, wenn dem Betreiber bereits aus zwei ähnlichen Vorkommnissen bekannt war, dass mit tatbestandsmäßigen Kommentaren Dritter zu rechnen war. Aus dieser Entscheidung leitete Ciresa ab, in einem Zeitraum von drei Tagen sei grundsätzlich eine schuldhafte Verzögerung zu erblicken.

 

Nach der E 15 Os 14/15w hat die Konkretisierung der „Unverzüglichkeit“ unter Anlegung eines realistischen Maßstabs ohne unzumutbare Überspannung der Pflichten des Medieninhabers zu erfolgen. Dabei ist einerseits auf die Schwere der Rechtsverletzung und die Dringlichkeit der Reaktion abzustellen. Andererseits sind Umstände aus der Sphäre des Medieninhabers zu berücksichtigen, etwa ob es sich um eine professionell und auf kommerzieller Basis betriebene Website handelt, ob der Medieninhaber durch Art und Präsentation eigener Inhalte ein besonderes Risiko einer Rechtsverletzung gesetzt hat oder er sonst (etwa aufgrund früherer Vorkommnisse) damit rechnen musste. Im konkreten Fall gelangte der OGH zu dem Ergebnis, die Beurteilung des OLG Wien, mit der Entfernung eines substratlose Anwürfe im Rahmen politischer Auseinandersetzung enthaltenden Postings „ein oder zwei Tage nach Einholung juristischen Rates (und damit Kenntnis vom rechtsverletzenden Inhalt)“ sei die erforderliche Sorgfalt „gerade noch eingehalten“ worden, sei nicht zu beanstanden. In dieser Entscheidung nahm der OGH auch auf die zitierte Entscheidung des OLG Graz 10 Bs 172/11m Bezug.

 

Sonst wird in der Literatur zum ECG lediglich ausgeführt, der Diensteanbieter verliere sein Haftungsprivileg, wenn er den Zeitpunkt, zu dem er spätestens handeln sollte, tatenlos verstreichen lasse. Wie sich dieser Zeitpunkt definiert, wird allerdings dort nicht näher erläutert.

 

Auch in der deutschen Literatur wird unter dem „unverzüglichen“ Tätigwerden verstanden, dass „kein schuldhaftes Zögern“ vorliegen darf (vgl § 121 Abs 1 Satz 1 BGB). Demnach verliert ein Diensteanbieter seine Privilegierung noch nicht, wenn er bei einer schwierigen Abwägung der technischen Möglichkeiten, deren Kosten und damit der Zumutbarkeit im Verhältnis zum Grad der Rechtsgutverletzung und zur Leichtigkeit des Besorgens der identischen beanstandenten Information über einen anderen Host-Provider eine Überlegungs- und Umsetzungsfrist in Anspruch nimmt. In diesem Zusammenhang sind die berechtigten Belange der Beteiligten sowie alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen; die Benennung von allgemein gültigen statischen Zeitgrenzen sei nicht möglich.

 

Ein Vorgehen „ohne schuldhaftes Zögern“ muss nicht jeweils „sofort“, etwa immer schon spätestens am Tag nach Erlangung der Kenntnis, erfolgen; vielmehr kann von einem schuldhaften Zögern nur ausgegangen werden, wenn das Zuwarten nicht durch die Umstände des Falls geboten ist. Gegebenenfalls ist auch die Einholung von Rechtsrat geboten. Wenn die Einholung von juristischem Rat geboten ist, beginnt die Obliegenheit zur Entfernung auslösende Kenntnis (iSd § 16 Abs 1 Z 2 ECG) regelmäßig erst ab dem Zeitpunkt der Auskunftserteilung.

 

Die Entscheidung des OLG Hamburg zu 5 U 180/07 betraf einen Fall, in dem die Löschung „innerhalb von Stunden“ stattgefunden hatte. Demgegenüber forderte in der Entscheidung des OLG Saarbrücken 1 W 232/07-49 der Forenbetreiber den Nutzer zunächst auf, selbst sein Posting zu löschen; nach acht Tagen wiederholte er diese Aufforderung und nach weiteren 14 Tagen löschte er das Posting selbst. Das Gericht vertrat die Auffassung, mit dieser Vorgangsweise sei der Forenbetreiber gerade noch im Rahmen dessen geblieben, was in zeitlicher Hinsicht bis zur Entfernung der beanstandeten Information als pflichtgemäß zu akzeptieren sei. Allerdings hatte der Sachverhalt nur äußerst geringfügige Urheberrechtsverstöße durch Minderjährige zum Gegenstand, weshalb in der Entscheidung auch mehrfach die besonderen Umstände des Einzelfalls als entscheidend hervorgehoben wurden.

 

Zusammenfassend muss daher in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien ermittelt werden, nach Ablauf welchen Zeitraums ein schuldhaftes Zögern vorliegt. Diese Einzelfallabhängigkeit der Beurteilung führt dazu, dass regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt, sofern das Berufungsgericht den ihm hier obliegenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat.

 

Dabei kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob überhaupt die Notwendigkeit zur Einholung juristischen Rats bestand, handelten die Beklagten doch jedenfalls nicht unverzüglich. Die Antwort des Rechtsanwalts ging bei den Beklagten nämlich bereits am Freitag Vormittag ein.

 

Berücksichtigt man, dass nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Beklagten zuvor einen Artikel ausdrücklich mit dem Ziel verfassten, die Klägerin zu einer Klagsführung zu provozieren, wobei diesen auch klar war, dass auf diesen Artikel Reaktionen Dritter (auch) in Form von Kommentaren auf ihrer Facebookseite folgen werden, ist die Anlegung eines strengen Maßstabs sachgerecht. Der Revision ist auch nicht konkret zu entnehmen, warum eine Beauftragung der Seitenadministratorin nicht schon vor Montag möglich gewesen wäre; zumal der Erstbeklagte nach den Feststellungen mit der Seitenadministratorin sogar am Wochenende telefonierte, ihr aber keinen Auftrag zur Löschung der Kommentare erteilte. Im Übrigen konnten nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Beklagten auch selbst Löschungen durchführen, sodass der Unterscheidung in Wochentage und Wochenende im vorliegenden Fall letztlich keine entscheidende Bedeutung zukommt. Bei dieser Sachlage ist in der Auffassung des Berufungsgerichts, eine Untätigkeit von drei Tagen (über ein Wochenende) begründe ein „schuldhaftes Zögern“ keine vom OGH im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.