02.06.2011 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob bei Veranlagung eine Aufklärung über das Insolvenzrisiko notwendig ist (hier: iZm Kapitalgarantie)

Eine generelle gesetzliche Pflicht, in Informationsmaterialien oder Werbefoldern auf das allgemeine Insolvenzrisiko eines Emittenten hinzuweisen, bestand und besteht in Österreich nicht; die Beurteilung einer Anleihe gegenüber dem Kunden als „risikoarm“ verstößt dann gegen die Pflicht, das Bonitätsrisiko der konkreten Anlage zutreffend darzustellen, wenn sie von einer führenden Rating-Agentur als spekulativer Titel bewertet wurde


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Veranlagung, Aufklärungspflicht, Insolvenzrisiko
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 4 Ob 20/11m, 23.03.2011

 

OGH: Bei der Beurteilung der Risikoträchtigkeit eines Finanzprodukts wird in der Literatur zwischen dem produktspezifischen (Markt-)Risiko und dem allgemeinen Emittentenrisiko (auch Bonitäts-, Insolvenz-, Ausfall- oder Gegenparteirisiko) unterschieden.

 

Die gesetzliche Konkretisierung der Schutz- und Sorgfaltspflichten einer Bank bei Abschluss von Effektengeschäften hat mehrfache Änderungen erfahren. Eine generelle gesetzliche Pflicht, in Informationsmaterialien oder Werbefoldern auf das allgemeine Insolvenzrisiko eines Emittenten hinzuweisen, bestand und besteht in Österreich nicht.

 

Nach der Rsp ergibt sich die konkrete Ausgestaltung und der Umfang der Beratungspflicht im Vorfeld eines Effektengeschäfts jeweils im Einzelfall in Abhängigkeit vom Kunden, insbesondere von dessen Professionalität, sowie von den ins Auge gefassten Anlageobjekten. Entscheidend sind einerseits die erkennbare Unerfahrenheit und Informationsbedürftigkeit des konkreten Kunden, andererseits die Art des beabsichtigten Geschäfts bzw Wertpapiers. Als Grundsatz kann gelten: Je spekulativer die Anlage und je unerfahrener der Kunde, desto weiter reichen die Aufklärungspflichten.

 

Die Informationserteilung hat dem Gebot vollständiger, richtiger, rechtzeitiger und verständlicher Beratung zu genügen, durch die der Kunde in den Stand versetzt werden muss, die Auswirkungen seiner Anlageentscheidungen zu erkennen. Zumindest dann, wenn die Risikoträchtigkeit einer Kapitalanlage auf der Hand liegt, ist der Kunde richtig und vollständig über diejenigen tatsächlichen Umstände zu informieren, die für seine Anlageentscheidung von besonderer Bedeutung sind.

 

Die Frage, ob es zu den Pflichten im Effektenhandel gehört, einen potentiellen Investor auf das allgemeine Bonitätsrisiko und die aus diesem Grund gegebene Möglichkeit eines Totalverlusts seines Investments hinzuweisen, wird im Schrifttum überwiegend differenziert beurteilt.

 

Zwar sei es für jeden selbstverständlich, dass die (Rück-)Zahlung eines geschuldeten Betrags davon abhänge, dass der Schuldner bei Fälligkeit zahlungsfähig sei; die schlichte Erkenntnis, dass Unternehmen wirtschaftlich Schiffbruch erleiden können, sei trivial und ergebe sich bereits aus der Lektüre (auch) der Boulevardpresse und könne als jedenfalls durchschnittlichen Anlegern bekannt unterstellt werden. Ein besonderer Hinweis sei deshalb nicht in der Regel, aber jedenfalls dann notwendig, wenn professionellen Marktteilnehmern konkrete Umstände (etwa das Rating einer bekannten Rating-Agentur) bekannt sein müssten, die Zweifel an der Bonität des Emittenten nahelegten.

 

Nach der Rsp des OGH ist für das Bestehen einer Aufklärungspflicht im Einzelfall immer entscheidend, ob ein Schutzbedürfnis des Vertragspartners vorliegt. Die Beurteilung einer Anleihe gegenüber dem Kunden als „risikoarm“ verstößt dann gegen die Pflicht, das Bonitätsrisiko der konkreten Anlage zutreffend darzustellen, wenn sie von einer führenden Rating-Agentur als spekulativer Titel bewertet wurde. Schon mehrfach wurde ausgesprochen, dass im Rahmen einer Anlageberatung eine Aufklärung über das Risiko einer Veruntreuung nicht zu verlangen ist, weil es sich insoweit um ein letztlich jeder Fremdveranlagung immanentes Risiko handelt.

 

Im Zusammenhang mit der Aufklärungspflicht eines Arztes gegenüber seinem Patienten über mögliche schädliche Folgen einer Behandlung erblickt der OGH deren Aufgabe darin, dem Patienten die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern und ihn in die Lage zu versetzen, die Tragweite seiner Zustimmung zum Eingriff zu überblicken. Insoweit besteht eine Aufklärungspflicht nur, soweit diese Risken erheblich und geeignet sind, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen. Eine Grenze der Aufklärungspflicht liegt etwa dort, wo Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, dass sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluss, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen.

 

Diese Überlegungen können auch für den Anlassfall fruchtbar gemacht werden. Wenn nämlich sogar mit Bezug auf die körperliche Unversehrtheit eine Aufklärung entfallen kann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls nicht zu erwarten ist, dass ein bestimmtes - sehr geringes - Risiko Einfluss auf die vom Vertragspartner zu treffende Entscheidung haben könnte, muss dies umso mehr für Entscheidungen gelten, die sich nur auf die „finanzielle Gesundheit“ des Vertragspartners auswirken können.

 

Die Beratung im Effektenhandel hat die Aufgabe, dem Kunden alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die er benötigt, um die Auswirkungen seiner geschäftlichen Entscheidung abschätzen zu können.

 

Ob zu den Voraussetzungen einer solchen informierten geschäftlichen Entscheidung des Kunden in allen Fällen - also unabhängig von den konkreten Umständen des einzelnen Falles - auch die Bonität des Schuldners zählt, kann im Anlassfall offen bleiben.

 

Ist - wie hier - das produktspezifische (Markt-)Risiko der Anlage durch eine Garantie sichergestellt und hat der Kunde die Kaufentscheidung allein aufgrund einer Werbebroschüre getroffen, in der diese Garantie blickfang- und schlagwortartig als „100 % Kapitalgarantie“ bzw „100-prozentige Sicherheit“ bezeichnet und das Rating der Emittentin bei den drei führenden Rating-Agenturen mit einer sehr guten Bonitätseinstufung angegeben ist, muss der Kunde im Vorfeld seiner Investitionsentscheidung (unabhängig von seinem Risikoprofil und dem Grad seiner Professionalität im Effektengeschäft) über diesen Prospektinhalt hinaus nicht weiter über das allgemeine Bonitätsrisiko aufgeklärt werden, sofern dieses Risiko aufgrund der einem Fachmann über die Person des Emittenten zur Verfügung stehenden Informationen im Zeitpunkt der Beratung und einer damit in nahem zeitlichem Zusammenhang stehenden Kaufentscheidung von bloß theoretischer, vernachlässigbarer Natur ist.

 

In einem solchen Fall wird nämlich durch den Prospektinhalt kein falscher Gesamteindruck über das Risiko der geplanten Investition hervorgerufen, der geeignet wäre, den Kunden zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte. Damit besteht auch kein Schutzbedürfnis des Vertragspartners, ihn über ein praktisch zu vernachlässigendes Risiko aufzuklären.

 

Im Anlassfall durfte die Beklagte im Hinblick auf die Einschätzung der Finanzkraft der Emittentin durch die Fachkreise im November 2006 davon ausgehen, dass das Bonitätsrisiko bloß theoretischer, vernachlässigbarer Natur ist. Dass die in der Werbebroschüre angeführten, sehr guten Ratings der drei führenden Rating-Agenturen zum Kaufdatum noch gültig waren, bestreiten die Kläger nicht. Unter diesen Umständen war die in der Werbebroschüre in Form des Ratings enthaltene Information über die Bonität der Emittentin ausreichend, und es bedurfte keiner darüber hinaus gehenden Aufklärung der Kläger über das allgemeine Bonitätsrisiko.

 

Ergänzend ist auszuführen, dass der beklagten Bank im Fall einer - hier nicht gegebenen - Pflichtverletzung der Nachweis offen gestanden wäre, dass sich der Kunde auch bei pflichtgemäßer Aufklärung über das Insolvenzrisiko des Emittenten/Garanten zur gewählten Vermögensanlage entschlossen hätte.