02.06.2011 Strafrecht

OGH: Überwachungspflicht des Gerichts iZm Mangel einer wirksamen Vertretung durch den bestellten Verteidiger?

Die Gerichte sind lediglich verpflichtet, einen rechtsunkundigen Angeklagten bei Kenntnisnahme einer ineffektiven Verteidigung zur Stellung zweckdienlicher Anträge anzuleiten und allenfalls von Amts wegen der Rechtsanwaltskammer davon Mitteilung zu machen, dass nach Ansicht des Gerichts ein wirksamer Beistand nicht gewährleistet ist; diese Fürsorgepflicht kommt allerdings nur im Fall einer objektiv wahrnehmbaren Ineffektivität der Verteidigung in Betracht


Schlagworte: Bestellter Verteidiger, Mangel einer wirksamen Vertretung, Gericht, Überwachungspflicht, Fürsorgepflicht, objektiv wahrnehmbare Ineffektivität
Gesetze:

§ 61 StPO, § 45 RAO, Art 6 Abs 3 lit c EMRK

GZ 12 Os 182/10x, 25.01.2011

 

OGH: Das Gericht ist nicht berechtigt, die Tätigkeit eines bestellten Verteidigers insofern zu überwachen, ob er sein Amt richtig und/oder zweckmäßig ausübt. Ein Einschreiten des Staates ist nur dann geboten, wenn das Fehlen einer ordnungsgemäßen Pflichtverteidigung offensichtlich ist oder aber die nationalen Behörden von dieser Nachlässigkeit des Pflichtverteidigers sonst Kenntnis erlangt haben.

 

Zwar wird mit der bloßen Bestellung eines Verteidigers allein noch nicht der Forderung des Art 6 Abs 3 lit c MRK nach einem wirksamen Verfahrensbeistand Genüge getan, sondern erst durch die Ermöglichung einer diesem Verfassungsgebot entsprechenden materiellen Verteidigung. Nach der Rsp des EGMR bleibt die Gestaltungsmöglichkeit zur wirksamen Gewährleistung der in der MRK verbrieften Rechte allerdings grundsätzlich der innerstaatlichen Normsetzung überlassen. Unter dem Blickwinkel des Art 6 Abs 3 lit c MRK ist in diesem Zusammenhang lediglich zu prüfen, ob sich der vom nationalen Gesetzgeber eingeschlagene Weg im Rahmen der Anforderungen an ein faires Verfahren bewegt. Demnach fällt es in die Kompetenz des Staates, jene Behörde zu nominieren, der die Wahrnehmung einer effektiven Verteidigung und die damit allenfalls notwendig werdende Prüfung der Tätigkeit eines beigegebenen Rechtsanwalts obliegt. Gegen diese Erwägungen spricht auch nicht die Entscheidung des EGMR im Fall Goddi gg Italien, weil auch der hier geforderte Beitrag des Gerichts zur fallbezogen bestmöglichen Aufgabenerfüllung des Pflichtverteidigers auf dem Boden der umfassenden Rücksichtnahme auf das grundlegende Prinzip der Unabhängigkeit der Anwaltschaft zu erfolgen hat.

 

Der österreichische Gesetzgeber bestimmte im § 45 Abs 4 RAO die Rechtsanwaltskammern zur Kontrolle der Gewährleistung eines wirksamen anwaltlichen Beistands im Strafverfahren. Für die Abberufung des beigegebenen Verfahrenshilfeverteidigers und die sodann notwendige Neubestellung eines Verteidigers wäre daher die - vom Antragsteller nach seinem Vorbringen bereits (erfolglos) eingeschaltet gewesene - Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zuständig gewesen. Die vom Antragsteller ins Treffen geführte Fürsorgepflicht des Gerichts kann insoweit keinen Kompetenzübergang bewirken. Sie verpflichtet die Gerichte lediglich, einen rechtsunkundigen Angeklagten bei Kenntnisnahme einer ineffektiven Verteidigung zur Stellung zweckdienlicher Anträge anzuleiten und allenfalls von Amts wegen der Rechtsanwaltskammer davon Mitteilung zu machen, dass nach Ansicht des Gerichts ein wirksamer Beistand nicht gewährleistet ist.

 

Selbst diese Fürsorgepflicht kommt allerdings nur im Fall einer objektiv wahrnehmbaren Ineffektivität der Verteidigung in Betracht, während sie bei behaupteten Fehlleistungen des Verteidigers in der Regel mit dem Inhalt der dem Rechtsanwalt erteilten Informationen, welcher nach österreichischem Prozessverständnis der Geheimhaltung unterliegt, in einem Spannungsverhältnis stünde.

 

Abgesehen davon, dass nach den Ausführungen des Verurteilten die von ihm angerufene Rechtsanwaltskammer Niederösterreich keinen Anlass für ein Vorgehen nach § 45 RAO fand, bringt die Kritik des Antragstellers in seinem Schreiben weder eine habituelle Untüchtigkeit noch eine staatliches Einschreiten gebietende Inaktivität des beigegebenen Verteidigers zum Ausdruck, bei welcher von einer wirksamen Verteidigung nicht mehr gesprochen werden könnte. Denn T reklamiert lediglich, dass sowohl die vom Substituten des bestellten Verteidigers eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde als auch die Berufung - mit Blick auf das für ihn negative Ergebnis - „Rechtsmittelschund“ gewesen seien, er die am Gerichtstag einschreitende, als inkompetent bezeichnete Verteidigerin nicht gekannt habe und sich der Verfahrenshilfeverteidiger in der Folge die vom Verurteilten vorgebrachten Argumente für eine Antragstellung nach § 363a StPO - ohne Anzeichen einer objektiv wahrnehmbaren Ineffektivität - nicht zu eigen machte. Zudem zeigt der Aktenverlauf eine diametral zum Vorbringen des T stehende Verteidigungstätigkeit des für den beigegebenen Verteidiger eingeschrittenen Substituten, der mehrere Anträge einbrachte, mehrfach Rechtsbehelfe, Beschwerden sowie Grundrechtsbeschwerden ergriff und darüber hinaus eine Nichtigkeitsbeschwerde und eine Berufung ausführte. Von einer Inaktivität des Verteidigers kann daher keine Rede sein.