09.06.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: § 162 ASVG - sind vom Arbeitgeber gewährte „stock options“ in die Bemessungsgrundlage für das Wochengeld einzubeziehen?

Im Hinblick auf den Charakter des Wochengeldes als Entgeltersatzleistung ist wesentliche Voraussetzung für die Einrechnung eines Geld- oder Sachbezugs in die Bemessungsgrundlage, dass der Versicherten dieser Bezug nicht ohnedies zu Gute gekommen ist


Schlagworte: Krankenversicherung, Mutterschaft, Wochengeld, Bemessung, Arbeitsverdienst, stock options
Gesetze:

§ 162 ASVG

GZ 10 ObS 33/11t, 12.04.2011

 

OGH: Nach § 162 Abs 3 Satz 1 ASVG gebührt das Wochengeld in der Höhe des auf den Kalendertag entfallenden Teils des durchschnittlichen in den letzten 13 Wochen (bei Versicherten, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, in den letzten drei Kalendermonaten) vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes, vermindert um die gesetzlichen Abzüge. Der Begriff „gebührender Arbeitsverdienst“ ist gesetzlich nicht näher determiniert. Von der Rsp wird darunter grundsätzlich jeder Geld- und Sachbezug verstanden, der einer voll- oder teilversicherten Arbeitnehmerin als Arbeitsverdienst im Beobachtungszeitraum, und zwar unabhängig von der beitrags- oder einkommenssteuerrechtlichen Qualifikation zustand.

 

Der Gesetzgeber entschied sich somit für das Durchschnittsprinzip, das vergangene Werte berücksichtigt und nicht für das - zukünftige Entwicklungen in Rechnung stellende - Ausfallsprinzip. Maßgebend ist, dass der Arbeitsverdienst aus einem unselbständigen Beschäftigungsverhältnis erzielt wird, also einer Tätigkeit entspringen muss, die als solche der Krankenversicherung nach dem ASVG unterliegt. Eine Höchstgrenze besteht nicht.

 

Während bei Gewerbetreibenden und Bauern das Wochengeld als Betriebshilfe zur Bezahlung der die Versicherte entlastenden betriebsfremden Kräfte dient, ist es im Bereich der unselbständig Erwerbstätigen als Entgeltersatzleistung konstruiert. Dies ergibt sich für den Bereich des ASVG in eindeutiger Weise aus den Gesetzesmaterialien, nach denen das Wochengeld einen Ersatz für den iZm der Entbindung stehenden Verlust des Arbeitsverdienstes bietet. Es soll auch nach dem Eintritt des Versicherungsfalls die im Bemessungszeitraum im Regelfall bestehenden Einkommensverhältnisse der Versicherten aufrechterhalten werden. Ähnlich wie beim Krankengeld ist der Ersatz des durch die Mutterschaft erlittenen Entgeltverlusts bezweckt, um eine finanzielle Absicherung zu schaffen.

 

Im Hinblick auf den Charakter des Wochengeldes als Entgeltersatzleistung ist wesentliche Voraussetzung für die Einrechnung eines Geld- oder Sachbezugs in die Bemessungsgrundlage, dass der Versicherten dieser Bezug nicht ohnedies zu Gute gekommen ist. Werden etwa Sachbezüge während der Wochengeldbezugszeit weiter gewährt, haben sie im Hinblick auf den Entgeltersatzcharakter des Wochengeldes unberücksichtigt zu bleiben.

 

Überträgt man das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Entgeltersatzleistung auf den vorliegenden Fall, führt dies zu dem Ergebnis, dass die Einberechnung der sich für die Klägerin aus der Zuteilung und Ausübung von „stock options“ ergebenden Vorteile in die Bemessungsgrundlage für das Wochengeld schon deshalb zu unterbleiben hat, weil sie diese Vorteile - unabhängig vom Beschäftigungsverbot - ohnedies lukriert hat. Laut den Optionsbedingungen war Voraussetzung für die Ausübung der Optionsrechte lediglich der aufrechte Bestand des Dienstverhältnisses; dieser war im Zeitraum der „Ausübungsfenster“ gegeben und blieb auch durch das nachfolgende Beschäftigungsverbot unberührt. Welche Nachteile der Klägerin infolge des Beschäftigungsverbots bei der Zuteilung der „stock options“ und bei der Ausübung der sich daraus ergebenden Optionsrechte entstanden sein sollten, ist nicht ersichtlich. Wie sie selbst vorbringt, konnte sie 2008 (wie auch im Folgejahr 2009) die ihr für diese Jahre zugeteilten Optionsrechte jeweils in maximaler Höhe ausüben; die zu bezahlende Einkommenssteuer erhielt sie von ihrem Dienstgeber in voller Höhe refundiert. Dass das Beschäftigungsverbot zu einer (aliquoten) Kürzung der Vorteile aus den Optionsrechten geführt hätte, wird gar nicht behauptet. Würden demnach die Optionsrechte die Bemessungsgrundlage für das Wochengeld erhöhen, stünde dies dem Normzweck des § 162 Abs 3 ASVG eindeutig entgegen.

 

Klarzustellen bleibt noch, dass der Begriff Arbeitsverdienst iSd § 162 Abs 3 ASVG mit dem auf die Beitragsbemessung zugeschnittenen § 49 ASVG nicht gleichzusetzen ist. Seit der Entscheidung 10 ObS 78/88 wird unter Arbeitsverdienst iSd § 162 Abs 3 ASVG der im Beobachtungszeitraum zustehende Geld- oder Sachbezug unabhängig von dessen beitragsrechtlicher oder einkommmenssteuerrechtlicher Qualifikation verstanden. In der (zustimmenden) Besprechung dieser Entscheidung führt Firlei aus, dass aufgrund des speziellen Kontexts, in den der Begriff Arbeitsverdienst eingebettet ist, für den Zusammenhang Arbeitsverdienst - Versicherungspflicht keine Schlussfolgerungen für die Wochengeldberechnung gezogen werden könnten. Dem stimmt auch Binder zu.