16.06.2011 Zivilrecht

OGH: § 268 Abs 1 ABGB – ist es bedeutungslos, von welcher Person die Bestellung eines Sachwalters angeregt worden ist?

Das Gericht hat auch zu beachten, von wem der Hinweis kommt; es ist zumindest konkret festzustellen, in welchem Zusammenhang sich der Betroffene in der Vergangenheit in einer seinen eigenen Interessen objektiv zuwiderlaufenden Weise verhalten habe und/oder aufgrund welcher (konkreten) Umstände die Befürchtung nahe liegt, er werde sich (auch) in Hinkunft selbst Schaden zufügen; es würde dem Zweck des eingeleiteten oder fortgesetzten Überprüfungsverfahrens widersprechen, wenn schon zu Beginn konkrete Feststellungen über vorliegende oder nicht vorliegende psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen sowie konkrete Gefährdungen verlangt werden würden


Schlagworte: Sachwalterschaftsrecht, Bestellung, behinderte Person, Überprüfungsverfahren, Einleitung, Fortsetzung
Gesetze:

§ 268 ABGB, § 273 ABGB, § 119 AußStrG, § 117 AußStrG

GZ 2 Ob 21/11v, 17.02.2011

 

Der Betroffene ist Partei in mehreren zivilgerichtlichen Verfahren. Am 20. 8. 2010 langte beim Erstgericht die Anregung eines Prozessgegners des Betroffenen auf Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Voraussetzungen einer Sachwalterschaft für den Betroffenen ein. Darin wurde ausgeführt, dass der Betroffene unzählige Personen mit sinnlosen Klagen und Anträgen verfolge, die allesamt abgewiesen werden würden. In einem Strafverfahren sei dem Betroffenen durch den dort bestellten Sachverständigen eine Geistesstörung attestiert worden. Es bestehe daher der Verdacht, dass sich der Betroffene Schaden zufüge und er seine Zukunft nicht „vernunfthandelnd“ gestalten könne.

 

Der Betroffene macht geltend, bei der Erstanhörung hätten sich keine Anzeichen für das Vorliegen einer psychischen Krankheit iSd § 268 ABGB ergeben. Auch die festgestellten Merkmale einer histrionischen Persönlichkeitsstörung deuteten nicht auf eine psychische Erkrankung hin. Die Vorinstanzen hätten ferner keine aussichtslose oder absurde Prozessführung festgestellt. Unter diesen Umständen fehle es an einem ausreichenden Substrat für die Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens.

 

OGH: Den weiteren Ausführungen ist voranzustellen, dass die auf § 119 AußStrG gegründete Bestellung eines Verfahrenssachwalters bereits mit der Zustellung des Bestellungsbeschlusses wirksam wird. Der bestellte Verfahrenssachwalter ist somit schon vor Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses befugt und verpflichtet, die Interessen des Betroffenen zu wahren, weshalb er auch zu dessen Vertretung im vorliegenden Rechtsmittelverfahren berechtigt ist.

 

Das Verfahren zur Prüfung, ob für eine Person ein Sachwalter zu bestellen ist, darf nur eingeleitet werden, wenn begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters zur Wahrung der Belange des Betroffenen vorliegen. Die bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung ist für die Einleitung des Verfahrens nicht hinreichend; die Anhaltspunkte müssen konkret und begründet sein; sie haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen. Fehlen solche Anhaltspunkte, darf das Verfahren nicht eingeleitet werden. Selbst für einen sog „Querulanten“ darf nur dann ein Sachwalter bestellt werden, wenn er sich durch sein „Querulieren“ selbst Schaden zufügt. Eine bloß potenzielle künftige Gefährdung reicht ebenso wenig, wie das Interesse Dritter an einer Sachwalterbestellung. Das mit der Anregung, ein Sachwalterbestellungsverfahren einzuleiten, befasste Gericht hat in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Hinweis konkrete und begründete Anhaltspunkte enthält. Dabei ist auch zu beachten, von wem der Hinweis kommt.

 

Die in § 268 Abs 1 ABGB verwendeten Begriffe der psychischen Krankheit und der geistigen Behinderung sind Rechtsbegriffe, die nicht unbedingt mit medizinischen Definitionen übereinstimmen müssen. Sie umfassen jede geistige Störung, die die gehörige Besorgung der eigenen Angelegenheiten hindert und bewirken kein verschiedenes Maß der Schutzwürdigkeit des Betroffenen.

 

Für die Fortsetzung des Verfahrens genügt schon die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters kommen kann. Der OGH hat auch schon dargelegt, dass es dem Zweck des eingeleiteten oder fortgesetzten Überprüfungsverfahrens widersprechen würde, wenn schon zu Beginn konkrete Feststellungen über vorliegende oder nicht vorliegende psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen sowie konkrete Gefährdungen verlangt werden würden. Ebenso wurde aber auch schon klargestellt, dass doch wenigstens ein Mindestmaß an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat zu fordern ist, aus dem sich das Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte ableiten lässt. Es sei zumindest konkret festzustellen, in welchem Zusammenhang sich der Betroffene in der Vergangenheit in einer seinen eigenen Interessen objektiv zuwiderlaufenden Weise verhalten habe und/oder aufgrund welcher (konkreten) Umstände die Befürchtung nahe liege, er werde sich (auch) in Hinkunft selbst Schaden zufügen.

 

Der bloße Hinweis auf einige Merkmale einer histrionischen Persönlichkeitsstörung durch die Vorinstanzen reicht zur Rechtfertigung der Besorgnis einer Selbstbeschädigung iSd § 268 Abs 1 ABGB nicht aus. Die zweitinstanzliche Schlussfolgerung, der Betroffene leide an einer psychischen Krankheit (iSd genannten Gesetzesbestimmung), ist weder durch das besagte Gutachten, noch durch Feststellungen gedeckt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die aktenkundigen Unterbrechungsbeschlüsse nach § 6a ZPO ausschließlich im Hinblick auf die Anregung des Einschreiters erfolgten, nicht aber auf der Initiative der Prozessgerichte beruhen. Eigene Wahrnehmungen, die auf eine Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen hindeuten könnten, gehen aus der Begründung dieser Beschlüsse nicht hervor. Schließlich hat auch das Erstgericht seinen Fortsetzungsbeschluss zwar formelhaft mit dem „Ergebnis der Erstanhörung“ begründet, dieses aber weder in dem von ihm verfassten Aktenvermerk vom 5. 10. 2010, noch in der Entscheidung selbst nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht.

 

Nach den obigen Kriterien hätte es jedoch zumindest der näheren Darlegung bedurft, in welche Rechtsstreitigkeiten der Betroffene derzeit (noch) verwickelt ist, welchen Gegenstand und Hintergrund sie haben und ob ein möglicher Zusammenhang zwischen den festgestellten Merkmalen einer histrionischen Persönlichkeitsstörung und einem bedenklichen Prozessverhalten des Betroffenen besteht.