01.02.2012 Sozialrecht

VwGH: Dienstnehmer iSd § 4 Abs 2 ASVG bei Innehabung eines Gewerbescheins?

Mit einem Gewerbeschein kann ein tatsächlich bestehendes Dienstverhältnis nicht verschleiert werden


Schlagworte: Allgemeines Sozialversicherungsrecht, Dienstnehmer, Gewerbeschein, Ausländer
Gesetze:

§ 4 ASVG, § 33 ASVG, § 111 ASVG, GewO

GZ 2010/08/0129, 21.12.2011

 

VwGH: Nach der Rsp des VwGH kommt es für die Abgrenzung des Dienstvertrages vom freien Dienstvertrag einerseits und vom Werkvertrag andererseits darauf an, ob sich jemand auf gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen (den Dienstgeber) verpflichtet (diesfalls liegt ein Dienstvertrag vor) oder ob er die Herstellung eines Werkes gegen Entgelt übernimmt (in diesem Fall läge ein Werkvertrag vor), wobei es sich im zuletzt genannten Fall um eine im Vertrag individualisierte und konkretisierte Leistung, also eine in sich geschlossene Einheit handelt, während es im Dienstvertrag primär auf die rechtlich begründete Verfügungsmacht des Dienstgebers über die Arbeitskraft des Dienstnehmers, also auf seine Bereitschaft zu Dienstleistungen für eine bestimmte Zeit (in Eingliederung in den Betrieb des Leistungsempfängers sowie in persönlicher und regelmäßig damit verbundener wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihm) ankommt. Vom Dienstvertrag ist jedoch überdies der "freie Dienstvertrag" zu unterscheiden, bei dem es auf die geschuldete Mehrheit gattungsmäßig umschriebener Leistungen, die von Seiten des Bestellers laufend konkretisiert werden, ohne persönliche Abhängigkeit ankommt.

 

Für die Beurteilung der Frage, ob ein auf einem Vertrag beruhendes Beschäftigungsverhältnis in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit besteht, kommt dem Vertrag zunächst die Vermutung seiner Richtigkeit zu, dh es ist davon auszugehen, dass er den wahren Sachverhalt widerspiegelt. Soweit ein Vertrag von den tatsächlichen Gegebenheiten nicht abweicht, ist er als Teilelement der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung in diese einzubeziehen, weil er die von den Parteien in Aussicht genommenen Konturen des Beschäftigungsverhältnisses sichtbar werden lässt. Weicht die tatsächliche Ausübung der Beschäftigung aber vom Vertrag ab, ist nicht primär der Vertrag maßgebend, sondern dann sind die wahren Verhältnisse entscheidend, dh ob bei der tatsächlichen und nicht bloß vereinbarten Art der Beschäftigung die Kriterien persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit überwiegen.

 

Ob bei der Beschäftigung die Merkmale persönlicher Abhängigkeit des Beschäftigten vom Empfänger der Arbeitsleistung gegenüber jenen persönlicher Unabhängigkeit überwiegen und somit persönliche Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG gegeben ist, hängt davon ab, ob nach dem Gesamtbild der konkret zu beurteilenden Beschäftigung die Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch diese und während dieser Beschäftigung weitgehend ausgeschaltet oder (wie bei anderen Formen der Gestaltung einer Beschäftigung) nur beschränkt ist. Für das Vorliegen der persönlichen Abhängigkeit sind als Ausdruck der weitgehenden Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch seine Beschäftigung nur seine Bindung an Ordnungsvorschriften über den Arbeitsort, die Arbeitszeit, das arbeitsbezogene Verhalten sowie die sich darauf beziehenden Weisungs- und Kontrollbefugnisse und die damit eng verbundene grundsätzlich persönliche Arbeitspflicht unterscheidungskräftige Kriterien zur Abgrenzung von anderen Formen der Gestaltung einer Beschäftigung.

 

Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass ein Dienstverhältnis vorliegt, wenn der Dienstnehmer zusätzlich über einen Gewerbeschein verfügt. Ebenso steht die Gewährung eines leistungsbezogenen Entgeltes einem Dienstverhältnis nicht entgegen.

 

Die für die persönliche Abhängigkeit charakteristische weitgehende Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch die Tätigkeit kann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auch dann vorliegen, wenn der Beschäftigte aufgrund einer Vereinbarung oder der Betriebsübung oder der Art seiner Beschäftigung Beginn und Dauer der täglichen Arbeitszeit weithin selbst bestimmen kann. Hat aber die allfällige Ungebundenheit des Beschäftigten hinsichtlich Arbeitsablauf und Arbeitszeit ihre Grenze in der unterschiedlichen Dringlichkeit der zu besorgenden Angelegenheiten und den betrieblichen Erfordernissen, sodass die Arbeitserbringung letztlich doch im Kern an den Bedürfnissen des Dienstgebers orientiert sein muss, so spricht dies für ein Verhältnis persönlicher Abhängigkeit.

 

Der Bf macht im Wesentlichen geltend, dass die "Subunternehmer" ZO und PS selbständig erwerbstätig gewesen seien und die Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde für deren Annahme einer unselbständigen Tätigkeit der beiden Ausländer nicht ausreichen würden.

 

Dem ist Folgendes zu erwidern:

 

Soweit sich der Bf darauf beruft, dass die Beschäftigten Inhaber je eines Gewerbescheins zum "Verspachteln von bereits montierten Gipskartonplatten unter Ausschluss jeder einem reglementierten Gewerbe vorbehaltenen Tätigkeit" seien, so ist ihm zu entgegnen, dass die Innehabung solcher Gewerbescheine einerseits Teil eines verbreiteten Missbrauchs der GewO ist, der zur Verschleierung abhängiger Beschäftigungsverhältnisse dient, wie er sich in der Rsp des VwGH bereits wiederholt widerspiegelt. Andererseits werden Gewerbescheine für Tätigkeiten wie das "Verspachteln von Gipskartonplatten" in Anspruch genommen, von denen nicht auszuschließen ist, dass es sich um "gegen Stunden- oder Taglohn oder gegen Werksentgelt zu leistende Verrichtungen einfachster Art" handelt, die gem § 2 Abs 1 Z 8 GewO von der GewO ausgenommen sind.

 

Im vorliegenden Fall begegnet es keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde das Vorliegen eines Werkvertrages auf Grund der Unbestimmtheit der Leistungsumschreibung (wozu sie das Fehlen eines Leistungsverzeichnisses bzw Widersprüche zwischen den "Auftragsschreiben" und der tatsächlichen Beschäftigung der "Subunternehmer" aufzeigt) verneint; dem kann die Beschwerde nichts entgegensetzen, da darin nicht einmal behauptet wird, worin die genau umrissene, einen Werkvertrag begründende Leistung gelegen sein soll. Mit dem bloßen Einwand, dass die Annahme, beide Ausländer seien einer fixen Arbeitszeit unterworfen gewesen, durch das durchgeführte Beweisverfahren nicht gedeckt sei, kann auch keine Unschlüssigkeit der Argumentation der belangten Behörde aufgezeigt werden, wenn sich diese in ihrer Beweiswürdigung dazu auf die Angaben des ZO beruft.

 

Angesichts der von den Beschäftigten durchgeführten Verspachtelungsarbeiten erübrigten sich auch Weisungen an die einzelnen Beschäftigten, weil diese von sich aus wissen, wie sie sich im Betrieb des Dienstgebers zu verhalten haben bzw das Weisungsrecht in gleicher Weise im Bestehen von Kontrollrechten (auch mitunter genannt: "stille Autorität" des Arbeitgebers) zum Ausdruck kommt (so wurden selbst nach den in der Beschwerde ins Treffen geführten Angaben des PS in der Berufungsverhandlung Kontrollen von S vorgenommen). Deshalb verfängt auch der Einwand einer angeblich fehlenden Integration der Beschäftigten im Betrieb der R-Bau GmbH nicht.

 

Bei einfachen manuellen Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten, worunter zweifelsohne auch die vorliegenden Verspachtelungsarbeiten zählen, die in Bezug auf die Art der Arbeitsausführung und auf die Verwertbarkeit keinen ins Gewicht fallenden Gestaltungsspielraum des Dienstnehmers erlauben, kann bei einer Integration des Beschäftigten in den Betrieb des Beschäftigers - in Ermangelung gegenläufiger Anhaltspunkte - das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses in persönlicher Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG ohne weitwendige Untersuchungen vorausgesetzt werden.

 

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Rsp geht deshalb die Beschwerdeargumentation, dass es zusätzlicher Feststellungen zu weiteren Tätigkeitsmerkmalen von ZO und PS zur Beurteilung der Frage der persönlichen Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG bedurft hätte, ins Leere.

 

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Abhängigkeit ist festzuhalten, dass diese ihren sinnfälligen Ausdruck im Fehlen der im eigenen Namen auszuübenden Verfügungsmacht über die nach dem Einzelfall für den Betrieb wesentlichen organisatorischen Einrichtungen und Betriebsmittel findet. Bei entgeltlichen Arbeitsverhältnissen ist sie die zwangsläufige Folge persönlicher Abhängigkeit.

 

Im vorliegenden Fall ist es unbestritten, dass das Baumaterial von der R-Bau GmbH zur Verfügung gestellt wurde. Auch mit der Beschwerdebehauptung, das benötigte (Klein)Werkzeug und die Arbeitskleidung seien von den Ausländern beigestellt worden, können keine Zweifel an der wirtschaftlichen Abhängigkeit von ZO und PS gegenüber dem genannten Unternehmen erzeugt werden.

 

Es kann der belangten Behörde daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie vom Vorliegen meldepflichtiger Dienstverhältnisse ausgegangen ist.