14.03.2012 Sozialrecht

VwGH: Zweifel über die Arbeitsfähigkeit – Zuweisung zu einer Untersuchung iSd § 8 Abs 2 AlVG

Die Anordnung einer medizinischen Untersuchung durch die regionale Geschäftsstelle (mit der Sanktion des § 8 Abs 2 zweiter Satz AlVG) gegen den Willen der Partei ist nur insoweit rechtmäßig, als auf Grund von bestimmten Tatsachen der begründete Verdacht besteht, dass Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) vorliegt oder dies die Partei selbst behauptet oder als möglich darstellt


Schlagworte: Arbeitslosenversicherungsrecht, Zweifel über die Arbeitsfähigkeit, Zuweisung zu einer Untersuchung, Weigerung, bestimmte Tatsachen, begründeter Verdacht, Arzt für Allgemeinmedizin, Facharzt, Belehrung, Sanktion
Gesetze:

§ 8 Abs 2 AlVG

GZ 2011/08/0030, 18.01.2012

 

VwGH: Gem § 8 Abs 2 AlVG ist der Arbeitslose, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.

 

Die Anordnung einer medizinischen Untersuchung durch die regionale Geschäftsstelle (mit der Sanktion des § 8 Abs 2 zweiter Satz AlVG) gegen den Willen der Partei ist nur insoweit rechtmäßig, als auf Grund von bestimmten Tatsachen der begründete Verdacht besteht, dass Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) vorliegt oder dies die Partei selbst behauptet oder als möglich darstellt. Weiter hat eine Zuweisung zur Untersuchung (vorerst) nur an einen Arzt für Allgemeinmedizin zu erfolgen. Soweit dieser die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht abschließend zu beurteilen vermag, wäre es seine Sache darzutun, dass und welche weiteren Untersuchungen durch Fachärzte oder - gegebenenfalls - welche die Partei in höherem Maß belastenden Untersuchungen (etwa bildgebende Verfahren oder invasive Maßnahmen) zur Abklärung des Leidenszustandes aus medizinischer Sicht erforderlich sind. Dies gilt auch für die Zuweisung zu einem Facharzt aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie: Eine solche Zuweisung ist nur zulässig, wenn sie entweder der zunächst heranzuziehende Gutachter auf Grund des von ihm erhobenen Befundes für erforderlich erachtet oder die Partei ihr nachweislich zustimmt. Die Partei ist aber in jedem Fall über die Gründe für eine Zuweisung zu einer Untersuchung zu unterrichten, dazu zu hören und über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung zu belehren.

 

Die belangte Behörde stützt die - entscheidungswesentliche - Feststellung, der Bf sei darüber aufgeklärt worden, dass aufgrund der psychischen Auffälligkeiten begründete Zweifel an der Arbeitsfähigkeit bestünden und daher die "Abklärung gem § 8 AlVG verbindlich vorgeschrieben" werde, ausschließlich auf eine nicht näher konkretisierte Stellungnahme der regionalen Geschäftsstelle des AMS. Insoweit liegt schon ein maßgeblicher Begründungsmangel vor, da die Partei des Verwaltungsverfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte und der Gerichtshof an der Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf seine inhaltliche Richtigkeit gehindert wird. Es ist nicht Aufgabe des VwGH, Mutmaßungen darüber anzustellen, welche Stellungnahme allenfalls gemeint sei.

 

Ergänzend ist zu bemerken, dass weder aus dem angefochtenen Bescheid noch dem Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens hervorgeht, dass dem Bf eine - gebotene - Belehrung über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung erteilt worden sei.