11.04.2012 Wirtschaftsrecht

VwGH: Betriebsanlage und Genehmigungskriterien nach § 74 Abs 2 GewO – Aufenthalt des Nachbarn in seinem Garten zur Nachtzeit nicht schützenswert?

Geräuschimmissionen während der Nachtzeit dürfen nicht ausgeblendet werden


Schlagworte: Gewerberecht, Betriebsanlage, Nachbar, Belästigungen, Aufenthalt des Nachbarn in seinem Garten zur Nachtzeit
Gesetze:

§ 74 GewO, § 75 GewO, § 77 GewO

GZ 2011/04/0111, 28.02.2012


Die Bf bringt vor, aus den Gutachten ergebe sich, dass der örtliche Basispegel (Ist-Wert) am Sonntag (nach dem Gutachten: zur Tageszeit) fallweise überschritten werde. Die belangte Behörde klammere nun aber rechtsirrig die Nachtzeit von der Beurteilung aus, weil es nach Ansicht der belangten Behörde den allgemeinen Lebensgewohnheiten entspreche, sich in den Nachtstunden im Haus aufzuhalten. Sie gehe davon aus, dass der Aufenthalt im Garten zur Nachtzeit nicht schützenswert sei. Die belangte Behörde verletze mit dieser Rechtsansicht die grundlegenden Prinzipien des Eigentumsrechts, mit der Substanz und den Nutzungen des eigentümlichen Grundstückes nach Willkür zu schalten. Die Benützung des Gartens sei auch während der Nachtzeit möglich und durchaus denkbar, sodass eine Überschreitung des Basispegels in der Nachtzeit nicht unberücksichtigt bleiben dürfe.

 

VwGH: Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das Gegenargument der belangten Behörde, die vom lärmtechnischen Amtssachverständigen errechneten geringfügigen Überschreitungen des Ist-Zustandes seien in der medizinischen Begutachtung mitberücksichtigt worden, den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen vermag, weil gerade die Auswirkungen der von der Betriebsanlage herrührenden Dauergeräusche, die während der Nachtstunden im Gartenbereich der Bf auftreten, im Gutachten des technischen Sachverständigen (und daher auch im darauf aufbauenden medizinischen Gutachten) ausdrücklich mit der bereits genannten Begründung nicht beurteilt wurden.

 

Das (primäre) Argument der belangten Behörde, eine Beurteilung der betriebskausalen Lärmimmissionen im Gartenbereich der Bf sei für die Nachtzeit nicht notwendig, weil Anrainern (Nachbarn) einer Betriebsanlage ein schützenswerter Aufenthalt im Garten an der Grundstücksgrenze nicht zuzubilligen sei, steht mit der Rsp des VwGH im Widerspruch:

 

Im Erkenntnis vom 28. August 1997, 95/04/0222, dem ebenfalls die Frage zugrunde lag, in Bezug auf welche Örtlichkeit (Wohnhaus oder Garten) die Immissionen einer Betriebsanlage zu beurteilen seien, hat der VwGH ausgeführt:

 

"Wie der VwGH wiederholt ausgesprochen hat, hat die Zumutbarkeit einer Lärmbelästigung auf jene der Lärmquelle am nächsten liegenden Teil des Nachbargrundstückes abzustellen, der bei Bedachtnahme auf die im Zeitpunkt der Entscheidung der Gewerbebehörde insbesondere auf dem Gebiet des Baurechtes geltenden Vorschriften dem regelmäßigen Aufenthalt des Nachbarn, sei es in einem Gebäude, sei es außerhalb eines Gebäudes, dienen KANN. Nichts anderes kann auch für die im Beschwerdefall relevante Beurteilung der Zumutbarkeit einer Geruchsbelästigung gelten. Aus der Dispositionsfreiheit der Nachbarn folgt für den Beschwerdefall, dass die Genehmigungsfähigkeit der Betriebsanlage davon abhängt, ob eine Gesundheitsgefährdung einer sich nicht nur vorübergehend auf dem in Rede stehenden Grundstück - gleichgültig wo - aufhaltenden Person ausgeschlossen werden kann und bejahendenfalls, ob zu erwarten ist, dass Belästigungen hinsichtlich einer solchen Person auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Die Dispositionsfreiheit ist freilich nach dem Vorhergesagten insoweit eingeschränkt, dass dem Rechtsvorschriften entgegenstehen; ebenso kann aber auch (außer einer rechtlichen) eine bloß faktische Unmöglichkeit des Aufenthaltes bestehen."

 

Der vorliegende Beschwerdefall zeigt keinen Grund für ein Abweichen von dieser Rechtsauffassung auf.

 

Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde kommt es somit entscheidend darauf an, dass die Benützung des Gartens der Bf auch in der Nachtzeit zumindest möglich ist und in ihrer Dispositionsfreiheit steht, weshalb Geräuschimmissionen zu dieser Zeit aus der Beurteilung nicht ausgeblendet werden dürfen.