18.04.2012 Verfahrensrecht

VwGH: Verhängung einer Mutwillensstrafe nach § 35 AVG iZm spät gestelltem (aber zulässigem) Beweisantrag

Der Zweck der Verhängung einer Mutwillensstrafe liegt nicht darin, auf prozesstaktische Erwägungen gegründete legitime Handlungsweisen einer Verfahrenspartei - mögen sie im Einzelfall auch eine längere Dauer eines Beweisverfahrens bzw einer mündlichen Verhandlung bewirken - zu pönalisieren


Schlagworte: Mutwillensstrafe, spät gestellter Beweisantrag
Gesetze:

§ 35 AVG, § 43 Abs 4 AVG

GZ 2011/01/0271, 16.02.2012

 

VwGH: Gem § 35 AVG kann die Behörde gegen Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung unrichtige Angaben machen, eine Mutwillensstrafe bis 726 Euro verhängen.

 

Bei der Mutwillensstrafe handelt es sich, wie bei der Ordnungsstrafe (§ 34 AVG), nicht um die Ahndung eines Verwaltungsdeliktes, sondern um ein Mittel zur Sicherung einer befriedigenden, würdigen und rationellen Handhabung des Verwaltungsverfahrens. Die Verhängung einer Mutwillensstrafe soll die Behörde vor Behelligung, die Partei aber vor Verschleppung der Sache schützen.

 

Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich, dass die belangte Behörde die Verhängung der Mutwillensstrafe auf den ersten Tatbestand des § 35 AVG - die offenbar mutwillige Inanspruchnahme der Tätigkeit der Behörde - stützt.

 

Nach der Rsp des VwGH handelt mutwillig in diesem Sinn, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet, sowie wer aus Freude an der Behelligung der Behörde handelt. Darüber hinaus verlangt das Gesetz aber noch, dass der Mutwille offenbar ist; dies ist dann anzunehmen, wenn die wider besseres Wissen erfolgte Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen geschieht, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann erkennbar ist. Mit der in § 35 AVG vorgesehenen Mutwillensstrafe kann geahndet werden, wer "in welcher Weise immer" die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nimmt.

 

Diese Voraussetzungen liegen im Beschwerdefall nicht vor:

 

Gem der - auch für die mündliche Verhandlung vor dem UVS geltenden - Bestimmung des § 43 Abs 4 AVG muss jeder Partei Gelegenheit geboten werden, alle zur Sache gehörenden Gesichtspunkte vorzubringen und unter Beweis zu stellen, Fragen an die anwesenden Zeugen und Sachverständigen zu stellen, sich über die von anderen Beteiligten, den Zeugen und Sachverständigen vorgebrachten oder die als offenkundig behandelten Tatsachen sowie über die von anderen gestellten Anträge und über das Ergebnis amtlicher Erhebungen zu äußern.

 

Vor dem Hintergrund dieser Regelung kann zunächst im Umstand, dass der Bf in der mündlichen Verhandlung einen zulässigen Beweisantrag - durch Vorlage einer Filmaufnahme - gestellt hat, kein mutwilliges Verhalten erblickt werden. Im konkreten Fall sind Anhaltspunkte für eine "Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit" des Beweisantrages nicht zu erkennen, zumal die belangte Behörde bei Annahme des Vorliegens dieser Voraussetzungen den Beweisantrag gem § 43 Abs 2 AVG als offenbar unerheblich zurückzuweisen gehabt hätte. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten mit weiterem Bescheid der belangten Behörde vom 20. Oktober 2011 der in Rede stehenden Richtlinienbeschwerde des Bf stattgegeben und eine Verletzung des § 5 Abs 1 und 2 RLV festgestellt wurde, wobei sich die belangte Behörde beweiswürdigend insbesondere auf die vom Bf vorgelegte Videoaufnahme stützte.

 

Soweit die belangte Behörde die Mutwilligkeit des Verhaltens des Bf durch den Zeitpunkt des Stellens des Beweisantrages (nämlich erst am Ende der sonstigen Beweisaufnahme) verwirklicht sieht, ist dem entgegen zu halten, dass der Zweck der Verhängung einer Mutwillensstrafe nicht darin liegt, auf prozesstaktische Erwägungen gegründete legitime Handlungsweisen einer Verfahrenspartei - mögen sie im Einzelfall auch eine längere Dauer eines Beweisverfahrens bzw einer mündlichen Verhandlung bewirken - zu pönalisieren. Ist es aber einer Verfahrenspartei grundsätzlich anheim gestellt, den Zeitpunkt zulässiger Beweisanträge selbst zu bestimmen, kann fallbezogen der Vorgehensweise des Bf - nämlich den in Rede stehenden Beweisantrag von den Ergebnissen der sonstigen Beweisaufnahme abhängig gemacht und (anlassbezogen) erst am Ende des Beweisverfahrens gestellt zu haben - eine "Freude an der Behelligung der Behörde" nicht unterstellt werden.

 

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der VwGH bereits im Erkenntnis vom 29. Juni 1998, 98/10/0183, zu § 35 AVG ausgesprochen hat, dass mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Rechtsschutzeinrichtungen mit äußerster Vorsicht umzugehen und ein derartiger Vorwurf nur dann am Platz ist, wenn für das Verhalten einer Partei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine andere Erklärung bleibt; die Verhängung einer Mutwillensstrafe komme demnach lediglich im "Ausnahmefall" in Betracht. Das damit zum Ausdruck gebrachte restriktive Verständnis des § 35 AVG ist auf die gegenständliche Fallkonstellation übertragbar. Ein die Verhängung einer Mutwillensstrafe rechtfertigender Ausnahmefall ist in concreto für den VwGH nicht erkennbar.