25.04.2012 Sozialrecht

VwGH: Beendigung des Dienstverhältnisses – Nachsicht vom Ausschluss des Arbeitslosengeldbezuges gem § 11 AlVG wegen Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung

Die in der Rsp des VwGH entwickelten Grundsätze zum Vorliegen von "triftigen Gründen" iSd § 11 erster Satz AlVG aF sind auch für die Beurteilung der "berücksichtigungswürdigen Gründe" iSd § 11 erster Satz AlVG nF heranzuziehen


Schlagworte: Arbeitslosenversicherungsrecht, Beendigung des Dienstverhältnisses, Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes, Nachsicht, berücksichtigungswürdige Fälle, triftige Gründen
Gesetze:

§ 11 AlVG, § 9 Abs 2 AlVG

GZ 2009/08/0096, 22.02.2012

 

VwGH: Der Gesetzgeber wollte mit der Änderung des § 11 durch die Novelle BGBl I Nr 77/2004 die Prüfung von im Einzelfall vorliegenden subjektiven Faktoren der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung in den Bereich der Nachsichtsgewährung verlegen. Weder dem Gesetz noch den Materialien ist aber zu entnehmen, dass dabei der Maßstab für deren Beachtlichkeit geändert werden soll. Die in der Rsp des VwGH entwickelten Grundsätze zum Vorliegen von "triftigen Gründen" iSd § 11 erster Satz AlVG aF sind daher auch für die Beurteilung der "berücksichtigungswürdigen Gründe" iSd § 11 erster Satz AlVG nF heranzuziehen. Insbesondere sind für die Beurteilung des Vorliegens von Nachsichtsgründen iSd § 11 erster Satz AlVG nF Zumutbarkeitsgesichtspunkte maßgebend, wie sie etwa § 9 Abs 2 und 3 AlVG auch für den arbeitslos gewordenen Versicherten im Hinblick auf dessen Verpflichtung, eine vom AMS vermittelte oder sich bietende Arbeitsgelegenheit zu ergreifen, vorsieht. Soweit das Arbeitsverhältnis betreffende Umstände für die Auflösung eines Dienstverhältnisses in Betracht kommen, wird es sich zwar nicht nur um Vorfälle handeln müssen, die einen Austrittsgrund iSd Arbeitsvertragsrechtes (etwa iSd § 26 AngG und verwandter Rechtsvorschriften) darstellen, wohl aber um solche, die einem solchen wichtigen Grund zumindest nahe kommen. Jedenfalls hat die bei Anwendung des § 11 AlVG vorzunehmende Zumutbarkeitsprüfung die gänzlich anders geartete Situation des in Beschäftigung Stehenden (zum Unterschied zu dem bereits arbeitslos Gewordenen) zu berücksichtigen.

 

Im gegenständlichen Verfahren ist im Wesentlichen strittig, ob die belangte Behörde aufgrund des Vorbringens des Bf im Verwaltungsverfahren, er habe bei der H Transport GmbH "die gesetzlichen Arbeitszeiten auf Dauer überschreiten müssen", die Sanktion des § 11 AlVG nachsehen hätte müssen.

 

Die Beschwerde macht dazu geltend, der Bf habe seinen "berechtigten vorzeitigen Austritt" in der Probezeit erklärt, da er ständig die gesetzlichen Arbeitszeiten überschreiten hätte müssen. Dass die Arbeitszeiten ständig überschritten worden seien, ergebe sich auch aus (mit der Beschwerde vorgelegten) Kopien von Tachografenscheiben. Es könne dem Bf sicherlich nicht zugemutet werden, einen rechtswidrigen Zustand aufrecht zu erhalten und ständig die gesetzlichen Arbeitszeiten zu überschreiten. Dies insbesondere auch deshalb, da diese Vorgangsweise für ihn in weiterer Folge auch verwaltungsstrafrechtliche Konsequenzen nach sich gezogen hätte. Die belangte Behörde hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, mittels Arbeitsinspektor die Überschreitung der Arbeitszeiten zu überprüfen und hätte dann leicht feststellen können, dass es hier auf Dauer zur Überschreitung der gesetzlichen Arbeitszeiten gekommen sei. Die belangte Behörde habe von sich aus sämtliche Beweise aufzunehmen, auch jene, die den Bf entlasteten. Sie sei dieser Pflicht nicht nachgekommen. Es liege daher ein Verstoß gegen das Prinzip der Amtswegigkeit des Verfahrens vor.

 

Zur Überschreitung der Arbeitszeiten hat der Bf in der vor der regionalen Geschäftsstelle des AMS H aufgenommenen Niederschrift vom 28. November 2008 angegeben, er habe das Dienstverhältnis gelöst, da er meist die Lenkzeiten für die Fahrten mit dem Lastwagen überschreiten habe müssen. Einem auf dieser Niederschrift handschriftlich vermerkten Aktenvermerk vom 12. Dezember 2008 zufolge könne er "keinen Einspruch erheben", weil er "keine schriftlichen Nachweise habe". In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung vom 22. Dezember 2008 führte der Bf erneut aus, es sei ihm nicht möglich, bei der Firma H Transport GmbH ein unbefristetes Dienstverhältnis einzugehen, da er sonst die gesetzlichen Arbeitszeiten auf Dauer überschritten hätte.

 

Die belangte Behörde setzte sich im angefochtenen Bescheid mit diesem Vorbringen nur kursorisch auseinander, indem sie ausführte, dem Vorbringen könne "nicht gefolgt werden", da der Bf diesbezüglich keine Aufzeichnungen vorlegen könne. Dies sei ihm bereits seitens der Arbeiterkammer Niederösterreich mitgeteilt worden.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass eine Beschäftigung, bei der vom Arbeitnehmer regelmäßig die Überschreitung der gesetzlichen Arbeitszeiten erwartet wird, unzumutbar iSd § 9 Abs 2 AlVG wäre. Ein berücksichtigungswürdiger Fall iSd § 11 zweiter Satz AlVG läge jedenfalls dann vor, wenn der Arbeitnehmer trotz vergeblicher Versuche, im Wege seiner Vorgesetzten Abhilfe zu erlangen (es sei denn, dass solche Versuche nach den Umständen des Falles gänzlich aussichtslos erscheinen), weiterhin verhalten wird, gegen gesetzliche Verbote zu verstoßen. Ob dies der Fall war, vermag der VwGH aufgrund des angefochtenen Bescheides nicht zu beurteilen.

 

Nähere Feststellungen über die vom Bf zu verrichtenden Arbeitszeiten während seiner Beschäftigung bei der H Transport GmbH als LKW-Fahrer finden sich im angefochtenen Bescheid jedoch nicht. Auch wenn der Bf selbst keine Aufzeichnungen über seine Arbeitszeit vorlegen konnte, wäre die belangte Behörde aber aufgrund seines Vorbringens zu weiteren Ermittlungen verhalten gewesen, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass beim Dienstgeber entsprechend den arbeitszeitrechtlichen Vorschriften Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten des Beschwerdeführers hätten vorhanden sein müssen.

 

In einer im Verwaltungsverfahren eingeholten Stellungnahme der H Transport GmbH vom 12. Jänner 2009 erklärt diese hinsichtlich der Arbeitszeiten des Bf, sie werde die Aussage des Bf, er hätte die Lenkzeiten dauernd überschreiten müssen, mit ihrem Anwalt abklären; bestritten wurde die Überschreitung der Lenkzeiten damit nicht. Weitere Ermittlungen hat die belangte Behörde nicht angestellt. Sie hat auch weder versucht, die H Transport GmbH zur Übermittlung allfällig vorhandener Arbeitszeitaufzeichnungen oder zu einer konkreten Stellungnahme zu den Lenkzeiten zu bewegen, noch hat sie den im Verwaltungsverfahren unvertretenen Bf zur Konkretisierung seines Vorbringens aufgefordert.