02.05.2012 Sozialrecht

VwGH: Hilfeleistung nach dem VOG – „Unbeteiligte“ iSd § 1 Abs 1 Z 2 VOG

Als „Unbeteiligte, (die) iZm einer Handlung iSd Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben“ gelten nur solche Personen, deren Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung sich nicht als Folge der Tathandlung selbst darstellt, sondern auf ein weiteres - zwar mit der Tathandlung in einem „Zusammenhang“ stehendes, nicht aber diese selbst darstellendes - Geschehen zurückzuführen ist, wie etwa auf den in den Materialien genannten Waffengebrauch durch Sicherheitsorgane


Schlagworte: Verbrechensopferrecht, Kreis der Anspruchsberechtigten, Gesundheitsstörung, Hilfeleistungen, Unbeteiligte, Zeuge
Gesetze:

§ 1 VOG, § 2 VOG

GZ 2009/11/0055, 23.11.2011

 

Die Bf stellte den Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach den Bestimmungen des VOG, weil sie sich am 29. Mai 2008 im Nahbereich des Tatortes eines Mordes befunden habe und dabei sowohl mit dem Täter als auch mit dem noch am Leben befindlichen Opfer konfrontiert gewesen sei.

 

VwGH: Der vorliegende Fall gleicht hinsichtlich der Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen dem mit Erkenntnis vom 29. März 2011, 2008/11/0168, erledigten; auf dieses Erkenntnis kann daher gem § 43 Abs 2 VwGG verwiesen werden. Die (damalige) Bf war Augenzeugin eines Verbrechens geworden, bei dem ein Kleinkind aus dem zweiten Stock eines Wohnhauses geworfen worden und an den durch den Aufprall verursachten Verletzungen gestorben war. Sie hatte einen Antrag auf Kostenübernahme für Psychotherapie nach dem VOG gestellt.

 

In dem zitierten Erkenntnis bezog sich der VwGH zunächst auf die Materialen zur VOG-Novelle BGBl Nr 620/1977, nach denen der Anspruch auf Hilfeleistung für am Verbrechen Unbeteiligte va eingeführt wurde, um solche Personen, wenn sie bei der Verfolgung fliehender Täter durch Sicherheitsorgane oder andere Verfolger insbesondere infolge Waffengebrauchs verletzt wurden, zu entschädigen. Anschließend führte der VwGH folgendes aus:

 

"Darin (und nicht zuletzt auch in Gestalt der durch § 1 Abs 1 Z 2 VOG letzter Halbsatz angeordneten Subsidiarität gegenüber Amtshaftungsansprüchen) kommt mit besonderer Deutlichkeit die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, in den Begriff 'Unbeteiligte, (die) iZm einer Handlung iSd Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben' nur solche Personen einzuschließen, deren Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung sich nicht als Folge der Tathandlung selbst darstellt, sondern auf ein weiteres - zwar mit der Tathandlung in einem 'Zusammenhang' stehendes, nicht aber diese selbst darstellendes - Geschehen zurückzuführen ist, wie etwa auf den in den Materialien genannten Waffengebrauch durch Sicherheitsorgane. Die in Rede stehende Gesundheitsstörung der Bf ist nach ihren Behauptungen nicht auf ein solches Geschehen zurückzuführen; die Voraussetzungen eines Anspruches nach § 1 Abs 1 Z 2 VOG liegen somit nicht vor.

 

Aber auch die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs 1 Z 1 VOG sind im Beschwerdefall nicht verwirklicht. Nach der zitierten Vorschrift besteht ein Anspruch auf Hilfe für Personen, von denen mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie durch eine mit mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben. Maßgeblich ist nach diesem Gesetzesbegriff ua, dass sich die Gesundheitsstörung als eine vom Tätervorsatz umfasste Folge des Verstoßes gegen eine bestimmte Verbotsnorm darstellt. Gegenstand des Vorsatzes ist das Tatobjekt (hier: das Kind) in seinen tatbildrelevanten Eigenschaften. Den Behauptungen der Bf zufolge ist bei ihr eine psychische Störung mit Krankheitswert durch die Wahrnehmung eines Teiles eines Geschehens eingetreten, das sich zwar in Ansehung des Tatobjektes - des getöteten Kindes - als Vorsatzdelikt darstellt; in Ansehung der Bf, bei der weder eine persönliche Verbundenheit mit den am Tatgeschehen beteiligten Personen noch eine unmittelbare Involvierung in dasselbe vorlag, ist jedoch die Anspruchsvoraussetzung einer 'durch' eine Vorsatztat erlittenen Gesundheitsschädigung nicht verwirklicht, weil nicht mit Grund angenommen werden kann, der Vorsatz des Täters einer vorsätzlich begangenen strafbaren Handlung gegen Leib und Leben sei auf den Eintritt einer psychischen Störung mit Krankheitswert infolge Wahrnehmung von Teilen des Tatgeschehens bzw seiner Folgen durch einen unbeteiligten Dritten gerichtet. Davon ausgehend ist die Bf nicht anspruchsberechtigt iSd § 1 Abs 1 Z 1 VOG."

 

Auch im vorliegenden Fall, in dem unbestritten weder eine Verfolgung des Täters noch ein Waffengebrauch durch Sicherheitsorgane oder andere Personen stattfand, ist die von der Bf vorgebrachte Gesundheitsstörung nicht auf ein Geschehen zurückzuführen, wie es der Gesetzgeber nach den Materialien im Auge gehabt hatte. Die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs 1 Z 2 VOG liegen daher nicht vor.

 

Vor dem Hintergrund des in der Anzeige und im Abschlussbericht festgehaltenen Verhaltens des (widerstandslosen und sofort geständigen) Täters und der Aussagen der Bf (zu ihrer lediglich flüchtigen Bekanntschaft mit Opfer und Täter sowie zur mangelnden Bedrohung durch den Täter) ist überdies nicht davon auszugehen, dass der Vorsatz des Täters eine Gesundheitsschädigung der Bf als Folge seiner strafbaren Handlung mitumfasste. Da die Bf somit nicht im zuvor beschriebenen Sinn "durch" eine Vorsatztat an ihrer Gesundheit geschädigt wurde, sind auch die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs 1 Z 1 VOG nicht erfüllt.