16.05.2012 Verfahrensrecht

VwGH: Stellt eine einvernehmliche Auflösungs- und Räumungsvereinbarung einen gebührenpflichtigen Vergleich iSd § 33 TP 20 Abs 1 lit b GebG dar?

Wird ein zweifelsfrei bestehendes Recht einvernehmlich abgeändert, stellt dies keinen gebührenpflichtigen Vergleich iSd § 33 TP 20 Abs 1 lit b GebG dar


Schlagworte: Gebühren, Vergleich, einvernehmliche Auflösungs- und Räumungsvereinbarung
Gesetze:

§ 33 TP 20 GebG, § 17 GebG, § 1380 ABGB

GZ 2011/16/0122, 21.03.2012

 

Die Bf vertritt den Standpunkt, unabdingbare Grundvoraussetzungen für das Vorliegen eines Vergleichs seien eine vorausgegangene Rechtsstreitigkeit der Vertragsparteien oder zumindest eine Ungewissheit über die Sach- und Rechtslage, daher Zweifelhaftigkeit des verglichenen Rechtes. Eine bloße Klarstellungs-, Bereinigungs- oder Streitvorbeugungsfunktion sei daher nicht ausreichend, um einen Vergleich zu begründen. Durch einen Vergleich würden Strittigkeit oder Zweifelhaftigkeit eines Rechtes dadurch beseitigt, dass die Parteien einvernehmlich feststellten, in welchem Umfang das Recht als bestehend angesehen werden solle. Die bisherige Unsicherheit solle endgültig beseitigt werden. Insbesondere liege auch dann kein Vergleich vor, wenn vorerst kontroversielle Standpunkte der Parteien - wie sie praktisch jedem Vertragsabschluss vorausgingen - letztlich überbrückt würden und es zum Abschluss der Vertragsverhandlungen komme. Im Wesen des Vergleichs liege es dagegen, dass ein beiderseitiges Nachgeben der Parteien vorliege und dass ihm Bereinigungswirkung zukomme.

 

VwGH: Da das GebG keine Begriffsbestimmung des Vergleiches enthält, ist dieser Begriff nach § 1380 ABGB zu bestimmen. Darnach heißt ein Neuerungsvertrag, durch welchen streitige oder zweifelhafte Rechte dergestalt bestimmt werden, das jede Partei sich wechselseitig etwas zu geben, zu tun oder zu unterlassen verbindet, Vergleich. Ein Vergleich ist somit die unter beiderseitigem Nachgeben einverständliche neue Festlegung streitiger oder zweifelhafter Rechte. Ein Vergleich bereinigt sohin ein strittiges oder zweifelhaftes Rechtsverhältnis. Dagegen ist der - unentgeltliche Erlass - einer unstreitigen und unzweifelhaften Schuld nach § 1381 ABGB kein Vergleich.

 

Ein Vergleich liegt demnach vor, wenn die Parteien streitige oder zweifelhafte Rechte durch gegenseitiges Nachgeben beseitigen, indem sie eine neue, eindeutige Verbindlichkeit festsetzen. Strittig oder zweifelhaft ist ein Recht, wenn die Parteien uneins sind, ob oder in welchem Umfang ein Recht entstanden ist oder noch besteht, wobei die Differenzen gegenwärtige wie zukünftige Rechts- oder Tatfragen betreffen können. Dies ist rein subjektiv aus der Sicht der Parteien zu beurteilen, selbst wenn deren Standpunkte möglicherweise objektiv unzutreffend sind.

 

Die belangte Behörde geht selbst davon aus, dass durch die Auflösungs- und Räumungsvereinbarung vom 20. Juni 2006 ein zweifelsfreies und unstrittiges Bestandverhältnis aufgelöst wurde. Dies steht auch im Einklang mit dem nach § 17 Abs 1 GebG maßgeblichen Inhalt der Urkunde, namentlich der Auflösungs- und Räumungsvereinbarung, die mit keinem Wort eine Strittigkeit oder Zweifelhaftigkeit des Bestandverhältnisses erwähnt.

 

Die belangte Behörde sieht den Begriff des Vergleichs schon dadurch erfüllt, dass die Vertragsparteien ihre gegensätzlichen Interessen ausgeglichen hätten.

 

Dem entgegen setzt die Annahme eines Vergleichs nach §1380 ABGB die Strittigkeit oder Zweifelhaftigkeit eines Rechts voraus, die durch beiderseitiges Nachgeben beseitigt wird. Strittig oder zweifelhaft ist ein Recht nach dem Gesagten dann, wenn die Parteien uneins sind, ob oder in welchem Umfang ein Recht entstanden ist oder noch besteht. Diese Voraussetzung ist jedoch, wie die belangte Behörde selbst feststellt, im Beschwerdefall nicht gegeben, waren doch die aus dem Bestandvertrag vom 7. Juni 1993 resultierenden wechselseitigen Rechte und Pflichten weder strittig noch zweifelhaft. Auch lagen, ausgehend von den Feststellungen der belangten Behörde, keinerlei Zweifel an der Einbringlichkeit von Forderungen vor, die durch ein Nachgeben ausgeräumt werden sollten; solche Zweifel an der Einbringlichkeit waren jedoch in dem von der belangten Behörde für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Erkenntnis vom 28. Februar 2007, 2006/16/0136, entscheidend.

 

In dem weiteren von der belangten Behörde für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Erkenntnis vom 8. September 2010, 2008/16/0154, wurde ebenfalls die Klarstellungsfunktion der von einem Sozialhilfeträger mit Sozialhilfeempfängern geschlossenen Vereinbarungen als für das Vorliegen eines Vergleiches entscheidend gesehen - allerdings mit dem Ergebnis, dass die Befreiungsbestimmung des § 33 TP 20 Abs 2 Z 3 GebG maßgeblich war.

 

Eine Strittigkeit oder auch nur Zweifelhaftigkeit der aus dem Bestandvertrag vom 7. Juni 1993 resultierenden wechselseitigen Rechte und Pflichten war auch nicht dadurch gegeben, dass die (Rechtsnachfolgerin der) Bestandgeberin an einer vorzeitigen, unzweifelhaft nur einvernehmlich möglichen Auflösung gelegen war. Dass die verschiedenen wirtschaftlichen Interessen der Bestandgeberin einerseits und der Bestandnehmerin andererseits, die bislang im Bestandvertrag ihre klare Regelung gefunden hatten, fortan einen Ausgleich in einer abweichenden Regelung in der Auflösungs- und Räumungsvereinbarung fanden, machte diese ebenso wenig zu einem Vergleich im besagten Sinn wie die Neugestaltung der wechselseitigen Rechte und Pflichten, die auch pro futuro gleichermaßen unzweifelhaft war.