20.06.2012 Verwaltungsstrafrecht

VwGH: Strafvollzug durch elektronisch überwachten Hausarrest gem § 156b StVG

Bereits begangene (vorsätzliche wie fahrlässige) strafbare Handlungen stellen Risikofaktoren dar, die gem § 156c Abs 1 Z 4 StVG neben den Wohnverhältnissen und dem sozialen Umfeld des Verurteilten in die Beurteilung der Missbrauchsgefahr iSd § 156c Abs 1 Z 4 StVG einzufließen haben; auch die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung der nach § 156b Abs 2 StVG auferlegten Bedingungen stellt einen Risikofaktor dar


Schlagworte: Strafvollzug durch elektronisch überwachten Hausarrest, Antrag, Bewilligung, Missbrauchsgefahr, Risikofaktoren, bereits begangene (vorsätzliche wie fahrlässige) strafbare Handlungen, Zwecke des Strafvollzuges
Gesetze:

§ 156b StVG, § 156c StVG, § 20 StVG

GZ 2011/01/0243, 26.01.2012

 

Die belangte Behörde begründete die Abweisung des Antrags des Bf auf Vollzug einer Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests mit dem Risiko, dass er diese Vollzugsform durch neuerliche Begehung strafbarer Handlungen (insbesondere von Gewaltdelikten) missbrauchen werde und verneinte damit das Vorliegen der Voraussetzung des § 156c Abs 1 Z 4 StVG.

 

VwGH: Gem § 156c Abs 1 Z 4 StVG ist der Vollzug einer zeitlichen Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests nur zu bewilligen, wenn nach Prüfung der Wohnverhältnisse, des sozialen Umfelds und allfälliger Risikofaktoren sowie bei Einhaltung der Bedingungen (§ 156b Abs 2 StVG) anzunehmen ist, dass der Rechtsbrecher diese Vollzugsform nicht missbrauchen wird.

 

Zum Verständnis des Begriffs des Missbrauchs der Vollzugsform ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der elektronisch überwachte Hausarrest nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers eine besondere Vollzugsform der Freiheitsstrafe darstellt. Dies kommt in den Gesetzesmaterialien zu BGBl I Nr 64/2010 zum Ausdruck, wenn darin etwa ausgeführt wird, dass der elektronisch überwachte Hausarrest als "Haft anderer Art" für den Vollzug von Freiheitsstrafen und der Untersuchungshaft eingeführt werden soll. Da es sich beim elektronisch überwachten Hausarrest um eine Form des Vollzugs handle, müsse sich der Strafgefangene gewissen Einschränkungen in seiner Lebensführung unterwerfen, die dem Zweck des Strafvollzugs entsprechen sollen.

 

In diesem Sinn hat auch der OGH zur Bestimmung des § 173a StPO, welche die Fortsetzung der Untersuchungshaft im elektronisch überwachten Hausarrest regelt, ausgesprochen, dass es sich beim elektronisch überwachten Hausarrest nur um eine Modalität der Untersuchungshaft und nicht etwa um ein diese substituierendes gelinderes Mittel handelt (und insofern die Erhebung einer Grundrechtsbeschwerde gegen eine die Fortsetzung des Vollzugs der Untersuchungshaft im elektronisch überwachten Hausarrest nicht bewilligende Entscheidung für nicht zulässig erachtet.

 

Auch der Strafvollzug in der neu geschaffenen Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests hat daher den (allgemeinen) Zwecken des Strafvollzugs gem § 20 Abs 1 StVG zu entsprechen.

 

Nach dieser Bestimmung soll der Strafvollzug den Verurteilten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepassten Lebenseinstellung verhelfen und sie abhalten, schädlichen Neigungen nachzugehen. Der Vollzug soll außerdem den Unwert des der Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens aufzeigen.

 

Ein Missbrauch (auch) dieser Vollzugsform ist daher insbesondere dann anzunehmen, wenn zu befürchten ist, dass der Rechtsbrecher infolge der Anwendung des elektronisch überwachten Hausarrests ein Verhalten setzt, das mit den genannten Zwecken des Strafvollzugs nicht im Einklang steht.

 

Aufgrund des systematischen Zusammenhanges mit der Bestimmung über den Widerruf der Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest (vgl insbesondere § 156c Abs 2 Z 5 StVG) ist ein Risiko, der Strafgefangene werde die Vollzugsform missbrauchen, im Einzelnen va dann anzunehmen, wenn die begründete Befürchtung besteht, dass er während des elektronisch überwachten Hausarrests weitere strafbare Handlungen, insbesondere Vorsatzdelikte, begehen oder sich dem weiteren Strafvollzug entziehen werde.

 

§ 156c Abs 2 Z 5 StVG sieht nämlich den Widerruf des elektronisch überwachten Hausarrests dann vor, wenn gegen den Strafgefangenen der dringende Verdacht besteht, eine vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung während des elektronisch überwachten Hausarrests oder eine vorsätzliche oder fahrlässige gerichtlich strafbare Handlung, deren Aburteilung nach Abs 1 Z 4 einer Bewilligung des Strafvollzugs durch elektronisch überwachten Hausarrest entgegenstehen würde, begangen zu haben oder sich dem weiteren Strafvollzug entziehen zu wollen.

 

Davon ausgehend stellen bereits begangene (vorsätzliche wie fahrlässige) strafbare Handlungen Risikofaktoren dar, die gem § 156c Abs 1 Z 4 StVG neben den Wohnverhältnissen und dem sozialen Umfeld des Verurteilten in die Beurteilung der Missbrauchsgefahr einzufließen haben. Darüber hinaus nennen die Gesetzesmaterialien die Gefährlichkeit des Betroffenen, Art und Beweggrund der Anlasstat oder früherer Verurteilungen, den nunmehrigen Lebenswandel und die Chancen auf ein redliches Fortkommen nach der Haft als weitere Aspekte, die bei Beurteilung der Missbrauchsgefahr zu berücksichtigen sind. Auch die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung der nach § 156b Abs 2 StVG auferlegten Bedingungen stellt einen Risikofaktor dar.

 

Nach dem Gesagten stellt die Einschätzung, ob die Gefahr besteht, der Verurteilte werde die Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests missbrauchen, eine Prognosebeurteilung dar, bei der vor dem Hintergrund der in den Gesetzesmaterialien genannten Aspekte auf die Wohnverhältnisse, das soziale Umfeld und allfällige Risikofaktoren abzustellen ist. Bei der Erstellung dieser Prognose besteht für die Strafvollzugsbehörden ein Beurteilungsspielraum, wobei die Entscheidung anhand der dargestellten Kriterien zu begründen ist.

 

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage vermag die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Fallbezogen hat die belangte Behörde den ihr bei der erforderlichen Prognoseentscheidung zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten und die Gründe für die Annahme einer Missbrauchsgefahr (durch Begehung weiterer Straftaten) nachvollziehbar dargelegt.

 

Es kann der belangten Behörde nämlich nicht entgegengetreten werden, wenn sie ausgehend von den einschlägigen Vorstrafen des Bf aufgrund von Gewaltdelikten, unter Berücksichtigung von Art und Umständen der der vollzugsgegenständlichen Verurteilung zugrunde liegenden strafbaren Handlungen und im Hinblick auf seine in Aussicht genommene Tätigkeit von der Gefahr ausgegangen ist, dass er während des elektronisch überwachten Hausarrests weitere Straftaten begehen werde.

 

Der Einschätzung der belangten Behörde, wonach der Bf in Konfliktsituationen zu Tätlichkeiten neige, nicht ausgeschlossen werden könne, dass er während der Tätigkeit im genannten Lokal wieder in derartige Situationen kommen werde und eine ausreichende Kontrolle durch sozialarbeiterische Maßnahmen nicht möglich sei, tritt auch die Beschwerde nicht substantiiert entgegen. Durch den (bloßen) Hinweis, wonach der Bf durch das Verspüren des "Haftübels" in Form einer im Oktober 2010 erlittenen Untersuchungshaft nachhaltig gebessert worden sei, vermag die Beschwerde die auf die konkrete Situation des Bf abstellende Prognose der belangten Behörde nicht zu erschüttern.

 

Dass ein Ausspruch durch das erkennende Gericht, wonach eine Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest für einen bestimmten Zeitraum nicht in Betracht komme (§ 266 StPO), nicht getroffen wurde, ändert nichts daran, dass die Strafvollzugsbehörden die Voraussetzungen für den Vollzug der Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests im Falle eines darauf abzielenden Antrags anhand der dargestellten gesetzlichen Bestimmungen zu beurteilen haben.