20.06.2012 Sozialrecht

VwGH: Arbeitslosigkeit iSd § 12 AlVG bei Beendigung der unselbständigen Beschäftigung und bestehender Pflichtversicherung aufgrund Kammermitgliedschaft gem § 2 Abs 1 GSVG, jedoch aus den Gewerbeberechtigungen "kein nennenswertes, die Geringfügigkeitsgrenze auch nur annähernd erreichendes Einkommen"?

Auch das Ausüben einer "geringfügigen Erwerbstätigkeit" in den Grenzen des § 12 Abs 6 AlVG schließt Arbeitslosigkeit iSd § 12 Abs 1 AlVG aus, wenn diese Erwerbstätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt


Schlagworte: Arbeitslosenversicherungsrecht, Arbeitslosigkeit, Selbständigkeit, Beendigung der unselbständigen Beschäftigung, Kammermitgliedschaft, Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung, geringfügige Erwerbstätigkeit
Gesetze:

§ 12 AlVG, § 2 GSVG

GZ 2011/08/0194, 02.05.2012

 

VwGH: Nach dem Wortlaut des § 12 Abs 1 AlVG sind die in Z 1 bis 3 dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzungen an sich kumulativ zu erfüllen (arg: "und" am Ende der Z 2); es ist daher nicht nur erforderlich, dass die Erwerbstätigkeit beendet ist, sondern dass darüber hinaus (abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen) auch keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung mehr besteht, sowie, dass schließlich keine "neue oder weitere" Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Es zeigt sich allerdings, dass die Reichweite der in § 12 Abs 1 AlVG enthaltenen Gebote vom Gesetzgeber dadurch verunklart wird, dass § 12 Abs 3 lit a und b (nunmehr insoweit § 12 Abs 1 Z 3 der Sache nach wiederholend) sowie § 12 Abs 6 lit a bis d AlVG über die Unschädlichkeit von Erwerbstätigkeiten mit geringfügigem Einkommen ohne klare Bezugnahme zur Änderung des § 12 Abs 1 AlVG unverändert weitergelten. So sieht § 12 Abs 6 AlVG weiterhin vor, dass bestimmte unselbständig oder selbständig Erwerbstätige als arbeitslos gelten, wenn Entgelt (bei unselbständig Beschäftigten), Einheitswert (bei Betriebsführern eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes) oder Einkommen und Umsatz (bei auf andere Art selbständig Erwerbstätigen) jeweils unter bestimmten näher geregelten "Geringfügigkeitsgrenzen" bleiben.

 

Wollte man § 12 Abs 1 Z 3 AlVG nun dahin verstehen, dass die Ausübung einer neuen (dh nach Beendigung der anwartschaftsbegründenden Erwerbstätigkeit begonnenen) oder weiteren (dh schon neben einer anwartschaftsbegründenden oder sonst nach § 12 Abs 3 AlVG Arbeitslosigkeit ausschließenden Erwerbstätigkeit ausgeübten) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) Arbeitslosigkeit auch dann ausschließen würde, wenn sie geringfügig wäre, stünde dies im Widerspruch zu § 12 Abs 6 AlVG, wonach geringfügig Erwerbstätige iS dieser Bestimmung ausdrücklich als arbeitslos gelten.

 

Soll § 12 Abs 6 AlVG nicht ohne Anwendungsbereich bleiben, ist daher - wie bereits nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl I Nr 104/2007 - davon auszugehen, dass die Ausübung einer "geringfügigen Erwerbstätigkeit" in den in § 12 Abs 6 AlVG näher festgelegten Grenzen weiterhin Arbeitslosigkeit iSd § 12 Abs 1 AlVG nicht ausschließt, egal ob diese Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) noch während der aufrechten (anwartschaftsbegründenden oder die Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs 3 AlVG ausschließenden) Erwerbstätigkeit oder erst nach deren Beendigung aufgenommen wird, sofern keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung (§ 12 Abs 1 Z 2 AlVG) vorliegt.

 

Auch die Gesetzesmaterialien stützen dieses Ergebnis:

 

Mit der AlVG-Novelle BGBl I Nr 104/2007 sollte, wie im allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Regierungsvorlage ausgeführt wird, ua die "Einbeziehung von Selbständigen in die Arbeitslosenversicherung im Rahmen eines Optionen-Modells unter Wahrung der bisher erworbenen Ansprüche" verwirklicht werden. Nach diesem Optionen-Modell wurden selbständig Erwerbstätige daher nicht in die Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung einbezogen, sondern es wurde ihnen die Möglichkeit eingeräumt, unter den in § 3 AlVG näher konkretisierten Voraussetzungen den Eintritt in die Arbeitslosenversicherung zu erklären. Die Einbeziehung selbständig Erwerbstätiger erforderte auch Änderungen im Hinblick auf die Definition der Arbeitslosigkeit; dazu führen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage Folgendes aus:

 

"Zu Z 12 (§ 12 Abs. 1 AlVG):

Die Einbeziehung selbständig Erwerbstätiger in die Arbeitslosenversicherung erfordert eine neue Definition der Arbeitslosigkeit. Es kann nicht mehr ausschließlich auf die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses abgestellt werden, sondern muss jede Beendigung einer selbständigen oder unselbständigen Beschäftigung erfasst werden. Wie bisher soll eine andere geringfügige selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit der Annahme von Arbeitslosigkeit nicht entgegenstehen, soweit dadurch die Verfügbarkeit gem § 7 Abs 3 Z 1 AlVG nicht beeinträchtigt ist. Die entsprechende Regelung im § 12 Abs 6 AlVG bleibt unverändert bestehen. Die für die Arbeitslosenversicherung maßgebliche versicherungspflichtige (oder der Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung unterliegende) Erwerbstätigkeit muss jedoch eingestellt und nicht nur reduziert werden. Andernfalls liegt keine Arbeitslosigkeit vor.

 

Besteht eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung ausschließlich wegen der Gebührlichkeit von Kündigungsentschädigung oder einer Urlaubsersatzleistung weiter, so soll diese wie bisher nur zum Ruhen des Leistungsanspruches gem § 16 Abs 1 lit k und l führen und der Annahme von Arbeitslosigkeit nicht entgegen stehen."

 

Die zitierten Erläuterungen machen deutlich, dass die in § 12 Abs 1 AlVG vorgenommenen Änderungen als notwendige Folge der Einbeziehung selbständig Erwerbstätiger in die Arbeitslosenversicherung angesehen wurden und dass an der vor der Novelle geltenden Rechtslage insoweit nichts geändert werden sollte, als eine weitere selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit mit geringfügigem Einkommen der Annahme von Arbeitslosigkeit weiterhin nicht in jedem Fall entgegen stehen soll (sofern nicht die Verfügbarkeit beeinträchtigt ist; der Hinweis auf die "andere" geringfügige Erwerbstätigkeit bezieht sich auf § 12 Abs 3 lit h AlVG, wonach im Ergebnis die Reduzierung einer bisher vollversicherten Beschäftigung auf eine geringfügige Beschäftigung beim selben Dienstgeber Arbeitslosigkeit ausschließt). Insbesondere der ausdrückliche Verweis der Erläuterungen auf den unveränderten § 12 Abs 6 AlVG, in dem die entsprechenden Ausnahmen geregelt sind, bestätigt das Auslegungsergebnis, dass auch nach der neuen Rechtslage geringfügige Beschäftigungen iS dieser Bestimmung Arbeitslosigkeit - von der Ausnahme des § 12 Abs 3 lit h AlVG abgesehen - nicht in jedem Fall ausschließen (siehe aber zur Frage der Pensionsversicherung im folgenden Absatz).

 

Damit bleibt zu prüfen, ob die in bestimmten Fällen - etwa, wie im Beschwerdefall, nach § 2 Abs 1 Z 1 GSVG wegen Mitgliedschaft in der Wirtschaftskammer - auch aufgrund einer iSd § 12 Abs 6 AlVG "geringfügigen Erwerbstätigkeit" eintretende Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung Arbeitslosigkeit schon nach § 12 Abs 1 Z 2 AlVG ausschließen könnte.

 

Diese Frage hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 7. September 2011, 2009/08/0195, näher untersucht und bejaht. Aus dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles besteht kein Anlass, von dieser Rsp abzugehen. Auf die nähere Begründung des genannten Erkenntnisses wird gem § 43 Abs 2 VwGG verwiesen.

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass auch das Ausüben einer "geringfügigen Erwerbstätigkeit" in den Grenzen des § 12 Abs 6 AlVG, wenn diese Erwerbstätigkeit der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt, Arbeitslosigkeit iSd § 12 Abs 1 AlVG ausschließt.

 

Im vorliegenden Fall ist das Vorliegen der festgestellten, im Zeitraum zwischen der Beendigung der unselbständigen Tätigkeit und der gegenständlichen Antragstellung am 4. Mai 2010 aufrechten Gewerbeberechtigungen unstrittig. Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Arbeitslosengeld hatte die Bf diese Gewerbeberechtigungen weder zurückgelegt noch ruhend gestellt.

 

Davon ausgehend begegnet es keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde im Ergebnis auf Grund der aufrechten Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach § 2 Abs 1 Z 1 GSVG das Vorliegen der Arbeitslosigkeit nach § 12 AlVG verneint.

 

Die von der Bf vorgebrachten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit von § 12 Abs 1 Z 2 AlVG vermag der VwGH im Hinblick auf die bereits erfolgte Ablehnung durch den VfGH nicht zu teilen.