11.07.2012 Sozialrecht

VwGH: Mangelnde Arbeitswilligkeit iSd § 9 AlVG bei Vorbringen, sich zu krank zu fühlen, um zu arbeiten?

Erklärt sich eine arbeitslose Person bei der regionalen Geschäftsstelle für arbeitsunfähig, so hat die regionale Geschäftsstelle dazu zunächst ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen


Schlagworte: Arbeitslosenversicherungsrecht, Arbeitslosengeld, Arbeitswilligkeit, Arbeitsfähigkeit, medizinisches Sachverständigengutachten
Gesetze:

§ 7 AlVG, § 9 AlVG, § 8 AlVG

GZ 2010/08/0187, 23.05.2012

 

VwGH: Aufgabe der ärztlichen Begutachtung nach § 8 Abs 2 AlVG ist es, den Befund und die Diagnose festzustellen, um zu beurteilen, welche Verrichtungen der körperlichen und geistigen Verfassung des Arbeitslosen entsprechen. Die Wertung dieses Sachverständigenbeweises ist - innerhalb der Grenzen der freien Beweiswürdigung - der Behörde anheimgestellt. Die Beurteilung, ob - ausgehend vom Gutachten des Sachverständigen - Arbeitsfähigkeit gegeben ist, obliegt der Behörde.

 

Die Beschwerde bringt vor, die Angaben der Bf, sich zu krank zu fühlen, um zu arbeiten, reichten aus, ihre Arbeitsfähigkeit iSd § 8 AlVG in Zweifel zu ziehen. Das im Verfahren vor dem Landesgericht F als Arbeits- und Sozialgericht erhobene Leistungskalkül sei zwei Jahre alt und nicht aussagekräftig. Gem § 8 Abs 2 AlVG hätte das AMS die Bf ärztlich untersuchen lassen müssen. Die Bf sei am 26. Februar 2010 nicht arbeitsfähig, jedoch arbeitswillig gewesen. Die vom AMS vorgeschlagenen Tätigkeiten wie Bügeln und Putzen seien vom Leistungskalkül der Bf nicht mehr umfasst.

 

Die Bf hat hinlänglich deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich infolge ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage sieht, einer solchen Beschäftigung (gemeint: iSd Arbeitserprobung) gewachsen zu sein. Eine vor diesem Hintergrund abgegebene Erklärung, nicht (kalkülsüberschreitend) arbeiten zu wollen, kann nicht Ausdruck mangelnder Arbeitswilligkeit iSd § 9 Abs 1 AlVG sein.

 

Da die Bf schon nach dem genannten Urteil des sozialgerichtlichen Verfahrens zahlreiche Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit aufweist und gegenüber dem AMS ausdrücklich geltend gemacht hat, den Anforderungen der bei der Arbeitserprobung abverlangten Tätigkeit gesundheitlich nicht gewachsen zu sein, hätte die belangte Behörde zur gesundheitlichen Zumutbarkeit dieser Tätigkeit weitere Ermittlungen, und zwar - nach einer allfälligen näheren Konkretisierung der Art der gesundheitlichen Beschwerden durch die Bf - durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens durchführen müssen. Nach der Rsp des VwGH hat die Behörde nach der solcherart erfolgten Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts den Antragsteller unter Vorhalt des ihr zur Verfügung stehenden Gutachtens zur Äußerung aufzufordern, ob er - insbesondere auch im Hinblick auf die ihm zu erteilende ausführliche Rechtsbelehrung - bereit sei, eine dem Gutachten entsprechende und ihm nach § 9 AlVG zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Erst im Fall einer ablehnenden Stellungnahme trotz der genannten Vorhalte wäre die Behörde berechtigt, Arbeitsunwilligkeit anzunehmen.

 

Dieser Verpflichtung war die belangte Behörde auch in Anbetracht des Urteils des Landesgerichtes F als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. April 2008 nicht enthoben, weil die Feststellungen dieses Urteils betreffend das Leistungskalkül der Bf unter Berücksichtigung der Angaben der Bf über ihre verbliebene Arbeitsfähigkeit, die im Ergebnis eine Verschlechterung behauptet, für den hier maßgeblichen Zeitraum ab dem 26. Februar 2010 nicht (mehr) aussagekräftig sind und jedenfalls eine zeitnahe ärztliche Befundaufnahme notwendig gewesen wäre.