15.08.2012 Sozialrecht

VwGH: Ist eine als "freiwillige Abfertigung" bezeichnete Leistung als Vergütung iSd § 49 Abs 3 Z 7 ASVG zu beurteilen?

Für eine Abgangsentschädigung ist charakteristisch, dass sie dafür gewährt wird, dass ein Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis ausscheidet oder von einer weiteren Prozessführung betreffend das Fortbestehen des Dienstverhältnisses Abstand nimmt; es ist dabei nicht entscheidend, ob die Höhe dieser Leistung dem Typus der Abfertigung entspricht


Schlagworte: Allgemeines Sozialversicherungsrecht, Entgelt, freiwillige Abfertigung, Abgangsentschädigung, Abstandnahme von Prozessführung, außergerichtliche Vereinbarung
Gesetze:

§ 49 ASVG

GZ 2009/08/0117, 11.07.2012

 

VwGH: Bei der Feststellung der sich aus einer vergleichsweisen Vereinbarung ergebenden Ansprüche des Arbeitnehmers ist die Behörde an den Wortlaut dieser Vereinbarung insoweit nicht gebunden, als Entgeltansprüche iSd § 49 Abs 1 ASVG allenfalls fälschlich als beitragsfreie Lohnbestandteile iSd § 49 Abs 3 ASVG deklariert wurden. Derartige der Beitragsvermeidung dienende Fehlbezeichnungen sind schon deshalb unwirksam, weil § 11 Abs 2 ASVG nur die Nichtberücksichtigung von gem § 49 ASVG nicht zum Entgelt gehörenden Bezügen erlaubt. Es kommt daher nicht darauf an, welche Bezeichnung die Parteien im Vergleich wählen, sondern nur darauf, ob die Voraussetzungen für die Beitragsfreiheit tatsächlich vorliegen. Soweit die Feststellung der Beitragsfreiheit hinsichtlich eines bestimmten Betrages nicht möglich ist, liegt im Zweifel jedenfalls beitragspflichtiges Entgelt iSd § 49 Abs 1 ASVG vor.

 

Strittig ist im vorliegenden Fall, ob die als "freiwillige Abfertigung" bezeichnete Leistung als Vergütung iSd § 49 Abs 3 Z 7 ASVG zu beurteilen ist. Wesentlich für die Beitragsfreiheit derartiger Vergütungen ist, dass sie aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses gewährt werden, also die Beendigung des Dienstverhältnisses das anspruchsauslösende Moment ist. Für eine Abgangsentschädigung ist charakteristisch, dass sie dafür gewährt wird, dass ein Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis ausscheidet oder von einer weiteren Prozessführung betreffend das Fortbestehen des Dienstverhältnisses Abstand nimmt.

 

Der Erstmitbeteiligte hatte vor dem Arbeits- und Sozialgericht eine Kündigungsanfechtungsklage nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG eingebracht. Diese Kündigungsanfechtungsklage zielt ausschließlich darauf ab, die ausgesprochene Kündigung als rechtsunwirksam zu erklären, sodass es im Ergebnis im Falle eines Prozesserfolges des Erstmitbeteiligten zu einem Fortbestehen des Dienstverhältnisses hätte kommen können. Entgeltansprüche aus dem Dienstverhältnis (etwa rückständiges Entgelt, Kündigungs- oder Urlaubsentschädigung) hatte der Erstmitbeteiligte nicht angestrebt. Während des arbeitsgerichtlichen Verfahrens schlossen die Parteien eine außergerichtliche Vereinbarung, wonach das Dienstverhältnis zum 31. März 2007 einvernehmlich ende; der Erstmitbeteiligte verpflichtete sich dazu, die von ihm eingebrachte Kündigungsanfechtung zurückzuziehen, die bf Partei verpflichtete sich dazu, nach Klagsrückziehung eine "freiwillige Abfertigung" an den Erstmitbeteiligten zu zahlen.

 

Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass die als "freiwillige Abfertigung" bezeichnete Leistung einem anderen Zweck dienen hätte sollen als einer Gegenleistung dafür, dass der Erstmitbeteiligte von der Fortsetzung des anhängigen Kündigungsanfechtungsverfahrens absieht und damit Rechtssicherheit über die zwischen der Erstmitbeteiligten und der bf Partei strittige Beendigung des Dienstverhältnisses hergestellt wird. Der Zweck der Gewährung einer derartigen Leistung liegt darin, das Risiko eines Erfolges des Dienstnehmers im Kündigungsanfechtungsverfahren (mit der unmittelbaren rechtlichen Konsequenz eines rückwirkenden Weiterbestandes des Dienstverhältnisses und der mittelbaren daraus resultierenden Ansprüche auf laufendes Entgelt, Sonderzahlungen, Urlaubsentgelt und Urlaubsentschädigung sowie auf Leistungen aus einer allenfalls späteren Beendigung des Dienstverhältnisses) auszuschließen. Es ist daher auch nicht entscheidend, ob die Höhe dieser Leistung dem Typus der Abfertigung entspricht.

 

Die "freiwillige Abfertigung" ist also als Abgangsentschädigung iSd § 49 Abs 3 Z 7 ASVG zu beurteilen. Diese Leistung führt daher nicht zu einer Verlängerung der Pflichtversicherung gem § 11 Abs 2 ASVG.