29.08.2012 Sozialrecht

VwGH: Rückforderung iSd § 25 Abs 1 AlVG iZm Karenzierung?

Der Umstand, dass die Bf an ihre Dienstgeberin Ansuchen auf "Urlaub ohne Bezüge" gestellt hat bzw dass ihr Karenzurlaube bewilligt worden sind, lässt sich nicht dahin deuten, sie habe die Frage, ob sie in Beschäftigung stehe, durch Verneinung (bedingt) vorsätzlich falsch beantwortet bzw sie habe dem AMS die Karenzierung (bedingt) vorsätzlich verschwiegen; auch kann nicht gesagt werden, dass der Bf die Unrechtmäßigkeit ihres Bezugs erkennbar gewesen sein müsste


Schlagworte: Arbeitslosenversicherungsrecht, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Rückforderung, Karenzierung
Gesetze:

§ 25 AlVG, § 38 AlVG

GZ 2010/08/0088, 11.07.2012

 

VwGH: Die Bf erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Zuerkennung und Auszahlung der Notstandshilfe für den Zeitraum vom 26. Jänner 2004 bis zum 30. August 2007 verletzt. Sie bestreitet nicht, dass ihr anwartschaftsbegründendes Dienstverhältnis bei der Stadt Wien nicht beendet, sondern lediglich karenziert gewesen ist. Damit war im genannten Zeitraum die Anspruchsvoraussetzung der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht erfüllt. Die belangte Behörde hat die Zuerkennung der Notstandshilfe für den genannten Zeitraum in der genannten, nicht bestrittenen Höhe gem § 38 iVm § 24 Abs 1 AlVG zu Recht widerrufen.

 

Gegen die Verpflichtung der Bf zum Rückersatz des unberechtigt Empfangenen wendet sich die Beschwerde mit dem Vorbringen, ihr sei es nicht möglich gewesen, sich näher mit dem rechtlichen Status ihres Arbeitsverhältnisses auseinander zu setzen. Ihr sei zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal bewusst gewesen, dass sie die Möglichkeit gehabt hätte, ihre Beschäftigung bei der Stadt Wien wieder aufzunehmen, wenn sie dazu gesundheitlich in der Lage gewesen wäre. Aus ihrer Sicht sei sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Deshalb habe sie in sämtlichen Antragsformularen gegenüber dem AMS pflichtgetreu angegeben, dass sie keiner Beschäftigung nachgehe. Der Tatbestand der "Verschweigung maßgebender Tatsachen" iSd § 25 Abs 1 AlVG setze zumindest mittelbaren Vorsatz voraus, der bei bloß (auch grob) fahrlässigem Verhalten nicht vorliege. Ihr sei klar gewesen, dass sie keiner Beschäftigung nachgehe und auch kein Entgelt beziehe. Somit habe sie die Frage, ob sie in Beschäftigung stehe, verständlicherweise verneint. Die Bewilligung ihres Antrages auf Sondernotstandshilfe durch das AMS sei Grund genug für ihre Annahme gewesen, dass sie auch einen Anspruch auf Notstandshilfe habe. Mit den Unterschieden zwischen Sondernotstandshilfe und Notstandshilfe habe sie sich nicht auseinandergesetzt.

 

Nach § 38 iVm § 25 Abs 1 erster Satz AlVG ist bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Aus der Gegenüberstellung der einzelnen Tatbestände des § 25 Abs 1 AlVG (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen und Erkennenmüssen, dass Leistung nicht oder nicht in voller Höhe gebühre) folgt, dass die ersten beiden Tatbestände zumindest mittelbaren Vorsatz - dolus eventualis - voraussetzen, während es für die Anwendung des dritten Tatbestandes genügt, dass Fahrlässigkeit gegeben war.

 

Die sich aus der in § 25 Abs 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) vorgesehenen Sanktionierung ergebende Verpflichtung von Antragstellern auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, hinsichtlich maßgebender Tatsachen vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen, soll sicherstellen, dass der Behörde, die zahlreiche gleichartige Verfahren relativ rasch abzuwickeln hat, grundsätzlich die für den Leistungsanspruch maßgebenden Umstände vollständig und wahrheitsgemäß zur Kenntnis gelangen. Der Rückforderungstatbestand "unwahre Angaben" liegt daher jedenfalls dann vor, wenn die Behörde in einem Antragsformular eine rechtserhebliche Frage stellt und diese Frage unrichtig oder unvollständig beantwortet wird. Da die Angaben zur Geltendmachung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung im Antragsformular die Behörde in die Lage versetzen sollen, ihrerseits zu beurteilen, ob ein Anspruch besteht, ist das Risiko eines Rechtsirrtums, aus dem ein Arbeitsloser meint, die darin gestellten Fragen nicht vollständig oder richtig beantworten zu müssen, von ihm zu tragen.

 

Der für den Tatbestand der Verschweigung maßgebender Tatsachen oder bei unwahren Angaben erforderliche (bedingte) Vorsatz liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Notstandshilfebezieherin der richtige Sachverhalt und das Erfordernis seiner Meldung an das AMS ohne ihr Verschulden (betrachtet nach dem Maßstab einer "Parallelwertung in der Laiensphäre") nicht bekannt gewesen sind.

 

Hinsichtlich welcher "maßgebenden Tatsachen" iSd § 25 Abs 1 AlVG eine Meldepflicht zum Zeitpunkt der Antragstellung besteht (vgl demgegenüber die in § 50 Abs 1 AlVG geregelten Meldepflichten derjenigen, die bereits eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung beziehen, betreffend eine maßgebende "Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse"), ergibt sich in erster Linie aus dem bundeseinheitlich aufgelegten Antragsformular, fallbezogen aus der dort gestellten Frage "Ich stehe derzeit in Beschäftigung. ...". Der Wortlaut dieser Frage lässt - insbesondere im Zusammenhalt mit der beigefügten Konkretisierung "wenn ja, Art der Tätigkeit ..." - für eine durchschnittliche Notstandshilfebezieherin aber nicht erkennen, dass unter einem mit einer Tätigkeit verbundenen "in Beschäftigung Stehen", auch der Bestand eines karenzierten Dienstverhältnis zu verstehen wäre. Auch bei nicht oberflächlicher Betrachtung lässt die im Antragsformular gewählte Diktion in erster Linie an ein laufendes, mit gegenseitigen Leistungspflichten verbundenes Dienstverhältnis denken. Hingegen sind bei einem karenzierten Dienstverhältnis weder Tätigkeiten zu verrichten noch steht ein Entgelt zu. Ein durchschnittlicher Notstandshilfebezieher kann daher ohne Vorliegen besonderer Umstände nicht erkennen, dass eine Verneinung der Frage nach einem "in Beschäftigung Stehen" als (objektiv) unrichtige Angabe zu werten ist, wenn er zwar nicht "in Beschäftigung (gemeint als Tätigkeit) steht", jedoch das "Dienstverhältnis, in dem er steht" bzw das besteht, karenziert ist.

 

Nach den bei einer durchschnittlichen Notstandshilfebezieherin vorauszusetzenden Kenntnissen kann im Übrigen auch nicht erwartet werden, dass die mit dem letzten Dienstgeber vereinbarte Karenzierung des Dienstverhältnisses auch ohne eine objektiv in diese Richtung zu verstehende ausdrückliche Frage im Antragsformular von vornherein als wichtige "maßgebende Tatsache" zu melden wäre, weil dies voraussetzen würde, dass der Notstandshilfebezieherin die von der Rsp herausgearbeiteten Konsequenzen des § 12 Abs 1 Z 1 (bzw Abs 3 lit g) AlVG wenn auch nur ansatzweise bzw laienhaft bewusst gewesen wären. Ein solches Wissen kann ohne Vorliegen besonderer Umstände nicht angenommen werden. Die belangte Behörde hat derartige Umstände auch nicht festgestellt.