21.11.2012 Sozialrecht

VwGH: Berücksichtigung der Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld bei der Festsetzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes?

Es ist davon auszugehen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld nur für die Frage, ob Arbeitslosengeld dem Grunde nach zusteht, rahmenfristerstreckend zu berücksichtigen sind


Schlagworte: Arbeitslosenversicherungsrecht, Arbeitslosengeld, Dauer des Bezuges, Kinderbetreuungsgeld, Rahmenfristerstreckung
Gesetze:

§ 18 AlVG, § 14 AlVG, § 15 AlVG, § 7 AlVG, KBGG

GZ 2012/08/0050, 17.10.2012

 

Die Bf macht geltend, die Erfüllung der Anwartschaft sei Voraussetzung für die Gewährung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung. Diese werde grundsätzlich durch arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungszeiten in der vorgeschriebenen Dauer innerhalb der festgelegten Rahmenfrist erworben. Es gebe eine Reihe von Tätigkeiten, die den Arbeitslosen hinderten, einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen und so Anwartschaftszeiten zu erwerben. Es wäre nicht sachgerecht, diese Zeiträume auszuklammern, weshalb § 15 AlVG jene Tatbestände aufzähle, welche rahmenfristerstreckend (neutral) wirkten. Gem § 15 Abs 3 Z 1 und 6 AlVG verlängere sich die Rahmenfrist um Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Inland Wochengeld bzw. Kinderbetreuungsgeld bezogen habe. Dies zeige, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, in der Arbeitslosenversicherung Zeiten des Bezuges von Wochengeld und Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld gleich zu berücksichtigen. Wenn gem § 18 Abs 3 AlVG bei der Festsetzung der Bezugsdauer die in § 14 Abs 4 AlVG angeführten Zeiten des Wochengeldbezuges zu berücksichtigen seien, müssten systemgerecht auch Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld entsprechende Berücksichtigung finden.

 

Es sei nicht nachvollziehbar, wenn Zeiten des Wochengeldbezuges bei der Festsetzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes berücksichtigt werden, Zeiten des Kinderbetreuungsgeldbezuges hingegen nicht, während bei der Verlängerung der Rahmenfrist sowohl Zeiten des Wochengeldbezuges als auch Zeiten des Kinderbetreuungsgeldes zu berücksichtigen sind. In systematischer Interpretation sei davon auszugehen, dass der Beurteilungszeitraum gem § 18 AlVG analog zu § 15 Abs 3 Z 6 AlVG zumindest um die Zeiträume des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld zu erstrecken sei, wenn Zeiten des Wochengeldbezuges sogar bei der Festsetzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu berücksichtigen seien. Wenn es grundsätzlich möglich sei, während des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld auch Arbeitslosengeld zu beziehen, müssten erst recht auch die Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld bei der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld Berücksichtigung finden können, zumindest den Beurteilungszeitraum erstrecken.

 

Im Arbeitslosenversicherungsrecht finde sich auch keine Bestimmung, die festlegen würde, dass die Möglichkeit der Verlängerung des Beurteilungszeitraumes gem § 18 AlVG um Zeiträume, die eine Verlängerung der Rahmenfrist bewirkten, nicht bestünde. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Beurteilungszeitraum gem § 18 AlVG analog zu § 15 Abs 3 Z 16 AlVG um die Zeiträume des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld erstreckbar sein müsse. Zudem sei es auch sachlich nicht nachvollziehbar zu begründen, warum die Bf, die von August 1997 bis 29. November 2006, also über 9 Jahre arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungen aufweisen könne, gleich lang Arbeitslosengeld, nämlich nur 20 Wochen, erhalte, wie ein Arbeitnehmer bei erstmaliger Beanspruchung von Arbeitslosengeld nach einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung von nur 52 Wochen innerhalb der letzten zwei Jahre vor Geltendmachung des Anspruchs. Dies komme einer Ungleichbehandlung von Versicherungszeiten gleich, die dem Gesetz nicht entnommen werden könne.

 

VwGH: Gem § 7 Abs 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (ua) die Anwartschaft erfüllt und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat. Die Anwartschaft ist - bei erstmaliger Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld - dann erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches insgesamt 52 Wochen im Inland beschäftigt war (§ 14 Abs 1 AlVG), wobei § 14 Abs 4 AlVG jene Zeiten aufzählt, die auf die Anwartschaft anzurechnen sind. Hiezu zählen insbesondere Zeiten des Bezuges von Wochengeld aus einer Krankenversicherung auf Grund eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. § 15 AlVG sieht die Möglichkeit einer Erstreckung der Rahmenfrist des § 14 Abs 1 (bis 3) AlVG vor. Rahmenfristerstreckend sind insbesondere Zeiträume, in denen der Arbeitslose Wochengeld (§ 15 Abs 3 Z 1 AlVG) oder in denen er Kinderbetreuungsgeld bezogen hat (§ 15 Abs 3 Z 6 AlVG).

 

Zeiten, die gem § 14 anwartschaftsbegründend sind, können nach § 15 Abs 7 AlVG zur Rahmenfristerstreckung nicht herangezogen werden. Zeiten des Bezuges von Wochengeld aufgrund einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung sind daher nicht rahmenfristerstreckend, sondern anwartschaftsbegründend.

 

§§ 14 und 15 AlVG behandeln die Frage, ob die Anwartschaft (§ 7 Abs 1 Z 2 AlVG) erfüllt ist, ob also dem Grunde nach Arbeitslosengeld zusteht.

 

§ 18 AlVG regelt hingegen die Frage der Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld. Grundsätzlich wird Arbeitslosengeld für 20 Wochen gewährt; es wird aber für 30 Wochen gewährt, wenn in den letzten fünf Jahren vor Geltendmachung des Anspruches arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungen in der Dauer von 156 Wochen nachgewiesen werden (§ 18 Abs 1 AlVG). Nach § 18 Abs 3 AlVG sind bei der Festsetzung der Bezugsdauer die im § 14 Abs 4 AlVG angeführten Zeiten zu berücksichtigen. Zeiten des Bezuges von Wochengeld aus einer Krankenversicherung auf Grund eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sind also für die Frage, ob Arbeitslosengeld in der Dauer von 30 Wochen zusteht, wie Zeiten einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung zu berücksichtigen. Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld sind hingegen insoweit nicht anzurechnen.

 

§ 18 AlVG sieht - anders als §§ 14, 15 AlVG zur Frage, ob Arbeitslosengeld dem Grunde nach zusteht - eine Verlängerung der Rahmenfrist (von fünf Jahren) nicht vor.

 

Die Bf macht zusammengefasst geltend, Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld seien (jedenfalls für die Frage der Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld) den anwartschaftsbegründenden Zeiträumen (§ 18 Abs 3 iVm § 14 Abs 4 AlVG, insbesondere dem Bezug von Wochengeld) gleichzuhalten; oder es sei zumindest die Rahmenfrist des § 18 Abs 1 AlVG um die Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld zu erstrecken.

 

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist aber aus der Systematik des AlVG nicht abzuleiten, Zeiten des Bezuges von Wochengeld und Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld jeweils in gleicher Weise zu berücksichtigen:

 

Diesem Vorbringen ist nämlich entgegenzuhalten, dass schon Zeiten des Bezuges von Wochengeld vom Gesetzgeber unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, ob diesem Bezug von Wochengeld ein arbeitslosenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zugrunde lag (in diesem Fall Anrechnung auf die Anwartschaft nach § 14 Abs 4 lit c AlVG) oder nicht (in diesem Fall lediglich Erstreckung der Rahmenfrist nach § 15 Abs 3 Z 1 iVm § 15 Abs 7 AlVG). Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld werden insoweit (was die Frage betrifft, ob Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht) nur rahmenfristerstreckend (§ 15 Abs 3 Z 6 AlVG) berücksichtigt. Was die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld betrifft, so werden gem § 18 AlVG hingegen ausschließlich Zeiten des Bezuges von Wochengeld aufgrund einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung berücksichtigt; weder andere Zeiten des Bezuges von Wochengeld noch Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld finden hierbei Berücksichtigung.

 

Auch kann nicht abgeleitet werden, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, Zeiten des Bezuges von Wochengeld und Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld in gleicher Weise zu berücksichtigen:

 

Mit dem Bundesgesetz BGBl I Nr 103/2001 wurde das Kinderbetreuungsgeldgesetz erlassen und ua das AlVG geändert. Insbesondere wurde in § 15 Abs 3 AlVG die Ziffer 5 angefügt, sodass Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld die Rahmenfrist des § 14 AlVG verlängern. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage wurde zu § 15 Abs 3 Z 5 AlVG ausgeführt:

 

"Für den Fall, dass für mehrere Kinder hintereinander Kinderbetreuungsgeld in Anspruch genommen wird, ist zur sozialen Absicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit und zur Vermeidung eines sachlich nicht zu rechtfertigenden Anspruchsverlustes, weil die erworbene Anwartschaft zeitlich zu weit zurück liegt, die Verankerung eines entsprechenden Rahmenfristerstreckungstatbestandes erforderlich."

 

Eine weiter gehende Berücksichtigung der Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld hielt der Gesetzgeber also nicht für erforderlich, wobei ergänzend zu bemerken ist, dass mit diesem Gesetz (BGBl I Nr 103/2001) ua auch § 18 AlVG abgeändert worden war, ohne dass Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld in dieser Bestimmung berücksichtigt worden wären. Es ist sohin davon auszugehen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass - übereinstimmend mit dem Wortlaut des Gesetzes - Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld nur für die Frage, ob Arbeitslosengeld dem Grunde nach zusteht, rahmenfristerstreckend zu berücksichtigen sind.

 

Die Nichtberücksichtigung der Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld in § 18 AlVG ist auch nicht als planwidrige Lücke zu beurteilen:

 

Dass das Gesetz nicht vollziehbar ist ("technische Lücke"), wenn Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld weder iSd § 18 Abs 3 AlVG noch als rahmenfristerstreckend in Bezug auf die Frist des § 18 Abs 1 AlVG berücksichtigt werden, ist nicht ersichtlich und wird auch in der Beschwerde nicht behauptet. Es ist aber auch nicht ableitbar, dass insoweit eine teleologische Lücke besteht:

 

Die Nichtberücksichtigung der Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld für die Frage der Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld begegnet nämlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Wie bereits der VfGH im Ablehnungsbeschluss unter Verweis auf den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ausgeführt hat, ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er bei der Festsetzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld nur jene Zeiten des Bezuges von Wochengeld berücksichtigt, auf die ein Anspruch aus einer Krankenversicherung auf Grund einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung besteht, andere Zeiten demgegenüber die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld aber nicht verlängern.