30.01.2013 Wirtschaftsrecht

VwGH: Gewerberechtliche Genehmigung der Änderung einer Betriebsanlage

Träfe die Behauptung der bf Parteien zu, dass die vereinzelt wahrgenommenen Immissionen aufgrund ihrer Inhaltsstoffe gesundheitsgefährdend sind, käme es auf die Häufigkeit ihres Auftretens nicht an, weil das damit zusammenhängende Kriterium der Zumutbarkeit von Immissionen (gem § 77 Abs 2 GewO) ausschließlich in Ansehung des Tatbestandsmerkmales der Belästigung iSd § 74 Abs 2 Z 2 GewO von rechtlicher Relevanz ist; unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit iSd § 74 Abs 2 Z 1 GewO hat es hingegen außer Betracht zu bleiben


Schlagworte: Gewerberecht, genehmigungspflichtige Betriebsanlage, Änderung, Gesundheitsgefährdung, Zumutbarkeit von Immissionen
Gesetze:

§ 81 GewO, § 74 GewO, § 77 GewO

GZ 2011/04/0008, 17.12.2012

 

VwGH: Gem § 74 Abs 2 GewO dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie (ua) wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind, das Leben oder die Gesundheit der Nachbarn zu gefährden (Z 1) oder die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen (Z 2).

 

Gem § 77 Abs 1 GewO ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen iSd § 74 Abs 2 Z 1 GewO vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen insbesondere iSd § 74 Abs 2 Z 2 GewO auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

 

Die Feststellung, ob die Genehmigungsvoraussetzungen des § 77 GewO vorliegen, ist Gegenstand des Beweises durch Sachverständige, und zwar grundsätzlich aus dem Gebiet der gewerblichen Technik und aus dem Gebiet des Gesundheitswesens. Den Sachverständigen obliegt es, aufgrund ihres Fachwissens ein Gutachten über diese Fragen abzugeben. Der gewerbetechnische Sachverständige hat sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage nach dem Projekt des Genehmigungswerbers zu erwartenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind, welche Einrichtungen der Betriebsanlage als Quellen solcher Immissionen in Betracht kommen, ob und durch welche Vorkehrung zu erwartende Immissionen verhütet oder verringert werden und welcher Art und Intensität die verringerten Immissionen noch sein werden. Dem ärztlichen Sachverständigen fällt - fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen - die Aufgabe zu, darzulegen, welche Einwirkungen die zu erwartenden Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus entsprechend den Tatbestandsmerkmalen des § 74 Abs 2 GewO auszuüben vermögen. Die Auswirkungen einer zu genehmigenden Betriebsanlage sind nach der Rsp des VwGH unter Zugrundelegung jener Situation zu beurteilen, in der die Immissionen für die Nachbarn am ungünstigsten, dh am belastendsten sind.

 

Die bf Parteien machen (ua) geltend, das Gutachten des lufthygienischen Sachverständigen DI S. vom 14. Juni 2010, auf das sich die belBeh stütze, sei unschlüssig gewesen. So räume der Sachverständige ein, dass die Überprüfung - wenn auch nicht häufig - intensive, sehr unangenehme, eher "fäulnisartige" Gerüche ergeben hätte. Von einer die Kontrolle durchführenden Polizeibeamtin seien die Gerüche "als kaum auszuhalten" eingestuft worden. Befragt nach den Ursachen dieser "Gerüche" habe der Sachverständige angegeben, es kämen dafür Ammoniak oder Schwefelwasserstoff als Hauptimmissionsbestandteile in Frage. Es seien aber genauso gut Substanzen, die bei einer Zersetzung von Stärke, Zucker und Öl unter anaeroben oder aeroben Bedingungen entstehen können, als mögliche Ursache anzusehen. Hauptwahrscheinlich sei aber jedenfalls ein Gemisch aus verschiedenen Substanzen. Nach seiner subjektiven Einschätzung seien Gerüche, die mit Abwasserbehandlungsanlagen zusammenhingen und die im vorliegenden Fall eine mögliche Quelle sein dürften, jedenfalls als intensiv und äußerst unangenehm einzustufen. Aufgrund dieser Einschätzung wäre daher (vor statistischer Auswertung der Häufigkeit der Geruchsemissionen) zu klären gewesen, auf welche Substanzen die Geruchsemission tatsächlich zurückzuführen ist und warum solche Gase bzw Gerüche aus der beantragten Anlage entweichen. Erst wenn die Art der Schadstoffemission und deren Zusammensetzung unzweifelhaft feststünden, könne die Auswertung über ihre Häufigkeit vorgenommen werden. In der Folge wäre ein medizinisches Gutachten über die Gesundheitsschädlichkeit dieser Schadstoffemissionen einzuholen gewesen.

 

Im gesamten Verfahren hätten die bf Parteien stets beantragt, zur Ursache und Zusammensetzung der Schadstoffemissionen ein chemisches und medizinisches Gutachten einzuholen. In der Berufungsverhandlung hätten sie diese Anträge noch einmal wiederholt und insbesondere ausgeführt, dass die Gerüche von Schadstoffen wie Schwefelwasserstoff und Ammoniak herrührten, die auch in geringsten Dosen gesundheitsgefährdend seien. Die belBeh habe diese Beweise zu Unrecht nicht aufgenommen.

 

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

 

Im gegenständlichen Fall stützt die belBeh ihre Einschätzung, die gegenständlichen Emissionen seien für Nachbarn weder gesundheitsgefährdend noch unzumutbar belästigend, insbesondere auf die lufthygienischen Sachverständigengutachten aus den Jahren 2006 und 2007 des Sachverständigen DI M. und aus dem Jahr 2010 des Sachverständigen DI S. Auch die medizinische Sachverständige habe diese Beurteilung (in einem Gutachten im Jahr 2006) geteilt; eine ergänzende medizinische Begutachtung sei nach Auffassung der belBeh nicht erforderlich, weil das lufthygienische Gutachten aus dem Jahr 2010 das vorangegangene lufthygienische Gutachten (aus dem Jahr 2006), das der Medizinerin vorgelegen habe, ohnedies bestätige.

 

Diese Begründung erweist sich nach Überprüfung der vorliegenden Gutachten als unzutreffend:

 

Der lufthygienische Gutachter DI M. ging in seinem Gutachten vom 2. März 2006 davon aus, dass ein "fauliger Geruch", der nach Umschreibung der Nachbarn die Hauptursache für die Beschwerden darstelle, bei mehreren Begehungen "in keinem Fall festzustellen" gewesen sei. Ausgehend von diesem erhobenen Sachverhalt erscheine zwischenzeitlich ein Standard erreicht, der trotz der weiterhin gegebenen Unsicherheiten und Widersprüche aus Sicht des Sachverständigen als vertretbar eingestuft werden müsse. Auch in seiner Gutachtensergänzung vom 21. April 2006 wies der oben genannte Sachverständige darauf hin, dass in keinem Fall die von den Nachbarn als "faulig" ("bestialischer Gestank") zu umschreibende Geruchsimmission festgestellt worden sei. Demzufolge fand auch eine Beurteilung, welche Ursache die von den Nachbarn behaupteten "fauligen Gerüche" haben könnten, nach der Aktenlage nicht statt.

 

Auf dieser Grundlage gelangte die medizinische Sachverständige in ihrem Gutachten vom 18. August 2006 zu dem Ergebnis, dass "inzwischen … angeblich ein Standard erreicht (worden sei), bei welchem unzumutbare Geruchsbelästigungen ausgeschlossen werden können bzw sollte es sich nur um seltene Ereignisse handeln, die jedoch nicht mehr als erheblich und gesundheitsbeeinträchtigend bzw -gefährdend zu betrachten" seien.

 

In einem im Berufungsverfahren eingeholten weiteren Gutachten des lufthygienischen Sachverständigen DI M. hielt dieser fest, dass bei mehreren immissionsseitigen Erhebungen im Zeitraum Sommer 2006 bis Sommer 2007 keine "fauligen Gerüche" festzustellen gewesen seien. Trotzdem zog er - offenbar auf der Grundlage der Behauptungen der bf Parteien - die Schlussfolgerung, dass die von den bf Parteien beanstandeten "fauligen Gerüche" im Erhebungszeitraum nur in geringer Häufigkeit aufgetreten seien.

 

In einem "zur besseren Absicherung der vorliegenden Ergebnisse der Begutachtung" von der belBeh eingeholten weiteren lufthygienischen Gutachten vom 14. Juni 2010 führte der Sachverständige DI S. aus, dass bei einer Überprüfung (Begehung am 25. Februar 2010, 16:55 Uhr; Polizeiinspektion F) ein "intensiver, ausgeprägter Geruch nach vergärenden Kartoffeln und abgestandenem Pommes-Fett" wahrgenommen worden sei. Diese Wahrnehmung sei nach telefonischer Rücksprache mit der Polizeiinspektion F als "Geruch mit durchaus fäulnisartigem Charakter" bzw als "beschwerderelevanter Geruch" eingestuft worden. Bei sämtlichen anderen Begehungen sei kein derartiger Geruch bzw kein Geruch mit entsprechend hoher Belästigungsrelevanz und damit kein Geruch mit sehr unangenehmer Geruchscharakteristik feststellbar gewesen. Es seien allerdings häufig im Nahbereich, aber auch in einer größeren Entfernung von mehreren hundert Metern "Pommes-frites-artige, ölige Gerüche" festgestellt worden, bei denen es sich jedoch nicht um die beschwerderelevanten Geruchswahrnehmungen handle. Unter ausschließlicher Berücksichtigung der einmaligen Feststellung intensiver, fäulnisartiger Gerüche könne davon ausgegangen werden, dass die Zumutbarkeitskriterien für Geruchshäufigkeiten entsprechend der GIRL nicht überschritten würden. Die Darstellung der Anrainer lasse die Vermutung zu, dass zeitweise sehr unangenehme, fäulnisartige und intensive Gerüche auftreten könnten. Inwieweit in diesem Fall ekelerregende Gerüche aufträten, könne mit der vorliegenden Erhebung nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilt oder außer Rede gestellt werden. Aufgrund der Aktenlage, der technologischen Gegebenheiten und der theoretisch möglichen Emissionsquellen würden ekelerregende Geruchsimmissionen jedoch eher bezweifelt.

 

In der Gutachtenserörterung anlässlich der mündlichen Verhandlung vor der belBeh vom 4. Oktober 2010 ergänzte der Sachverständige DI S. überdies, dass die Geruchswahrnehmungen zur Überprüfung der Beschwerden von Organen vorgenommen worden seien, die "als Profis zu bezeichnen" seien. Die im schriftlichen Gutachten erwähnten Wahrnehmungen durch ein Organ der Polizeiinspektion F werde "als kaum auszuhalten, möchte dort nicht wohnen, sowie als sehr intensiv und sehr unangenehm" eingestuft und sei im Erhebungsprotokoll als "ausgeprägter Geruch nach vergärenden Kartoffeln und abgestandenem Pommesfett" beschrieben. Es lasse sich aus Sicht des Sachverständigen nicht feststellen, was den beschriebenen Geruch verursacht habe. Auf Grund der gegenständlichen Anlage, die sich in der unmittelbaren Nähe der Nachbarn befinde, komme Ammoniak oder Schwefelwasserstoff als Hauptimmissionsbestandteil in Frage. Es seien aber genauso gut Substanzen, die bei einer Zersetzung von Stärke, Zucker und Öl unter anaeroben oder aeroben Bedingungen entstehen können, als mögliche Substanzen anzusehen. Hauptwahrscheinlich sei aber jedenfalls ein Gemisch aus verschiedenen Substanzen.

 

Im Folgenden brachte der Rechtsvertreter der bf Parteien ausdrücklich vor, dass die festgestellten Gerüche von entsprechenden Schadstoffen (Schwefelwasserstoff, Ammoniak) herrührten, die auch in nur geringsten Dosen gesundheitsgefährdend seien. Zu diesem Beweisthema beantragte er die Einholung eines medizinischen sowie eines chemischen Gutachtens.

 

Bei diesem aktenkundigen Verfahrensstand überzeugt die Begründung der belBeh für die Annahme eines spruchreifen Sachverhalts und das Übergehen der Beweisanträge der bf Parteien nicht.

 

Anders als der lufthygienische Sachverständige DI M. in seinem Gutachten aus dem Jahr 2006 und ihm folgend die medizinische Sachverständige in ihrem Gutachten aus demselben Jahr stellte insbesondere der lufthygienische Sachverständige DI S. im zuletzt eingeholten Gutachten (aus dem Jahr 2010) nicht in Frage, dass es -  von der gegenständlichen Anlage stammende - Geruchsimmissionen gibt, die in der Nachbarschaft als "fäulnisartige und intensive Gerüche" wahrgenommen werden können. Schon deshalb ist das Argument der belBeh, eine ergänzende medizinische Beurteilung habe unterbleiben können, weil sich die "Immissionsprognose" der lufthygienischen Gutachten, auf die sich die Medizinerin stütze, im Laufe des Verfahrens nicht geändert habe, nicht haltbar.

 

Auch die Begründung der belBeh, die genaue Kenntnis der Substanzen, die die eingewendeten Gerüche verursachten, sei für das Verfahrensergebnis irrelevant, überzeugt nicht. Träfe die Behauptung der bf Parteien zu, dass die vereinzelt wahrgenommenen Immissionen aufgrund ihrer Inhaltsstoffe gesundheitsgefährdend sind, käme es auf die Häufigkeit ihres Auftretens nicht an, weil das damit zusammenhängende Kriterium der Zumutbarkeit von Immissionen (gem § 77 Abs 2 GewO) ausschließlich in Ansehung des Tatbestandsmerkmales der Belästigung iSd § 74 Abs 2 Z 2 GewO von rechtlicher Relevanz ist. Unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit iSd § 74 Abs 2 Z 1 GewO hat es hingegen außer Betracht zu bleiben. Es kann auch nicht erkannt werden, dass die Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung durch die festgestellten Immissionen von vornherein oder nach den Ergebnissen des bisherigen Beweisverfahrens ausgeschlossen wäre.

 

Das Beweisverfahren erweist sich aus diesen Gründen als mangelhaft und der entscheidungsrelevante Sachverhalt als ergänzungsbedürftig, weshalb der angefochtene Bescheid - im Umfang der Zuständigkeit des entscheidenden Senats (gewerberechtliche Genehmigung) - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gem § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben war.