20.02.2013 Sozialrecht

VwGH: Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz (iZm einer Gesundheitsschädigung durch eine vorsätzliche Handlung) – „Wahrscheinlichkeit“ iSd § 1 Abs 1 VOG bei Freispruch in dubio pro reo?

Ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tatbegehung durch P.T. lediglich "in einem Bereich der Wahrscheinlichkeit" gelegen sei, dass aber die Beweislage nicht die uneingeschränkte Überzeugung von der Tatbegehung durch P.T. habe vermitteln können, ist es unschlüssig, wenn die belBeh - ohne sich durch eigene Beweisaufnahme einen Eindruck von den Geschehnissen zu verschaffen - zum gegenteiligen Ergebnis des Strafgerichts gelangte, indem sie die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung verneinte


Schlagworte: Verbrechensopferrecht, Anspruchsberechtigte, vorsätzliche Handlung, Körperverletzung / Gesundheitsschädigung Wahrscheinlichkeit, Freispruch in dubio pro reo, Beweisaufnahme
Gesetze:

§ 1 VOG, § 259 Z 3 StPO

GZ 2009/11/0228, 22.01.2013

 

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Urteil des OLG Graz vom 1. April 2008 wurde der Beschuldigte P.T. von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 13. Februar 2007 den Bf durch Versetzen von Fußtritten vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat neben einem Hämatom am rechten Oberarm an sich schwere Verletzungen, nämlich einen Schienbeinkopftrümmerbruch rechts und einen Wadenbeinkopftrümmerbruch rechts, verbunden mit einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit zur Folge gehabt habe, nach § 259 Z 3 StPO freigesprochen und der Bf als Privatbeteiligter gem § 366 Abs 1 StPO mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

 

In der Begründung führte das OLG aus, dass es - nach durchgeführter Beweiswiederholung - die Ansicht des Erstgerichtes teile, es sei wegen verbliebener Zweifel - in dubio pro reo - davon auszugehen, dass P.T. den Bf nicht vorsätzlich am Körper in der aufgezeigten Weise, insbesondere nicht durch einen Tritt gegen dessen rechtes Knie, schwer verletzt habe. Der vom Bf behauptete Tritt sei "objektiv in einem Bereich der Wahrscheinlichkeit, die einen Schuldspruch nicht zu tragen vermag", geblieben. Bei der gegebenen Beweislage habe das Berufungsgericht "nicht die uneingeschränkte Überzeugung" gewonnen, dass P.T. die ihm vorgeworfene Tat begangen habe.

 

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 9. September 2009 wurde der Antrag des Bf auf Hilfeleistungen nach dem VOG in Form des Ersatzes von Verdienstentgang, der Heilfürsorge, der orthopädischen Versorgung, der Rehabilitation und der Pflegezulage abgewiesen.

 

Der Bf wendet sich in seiner Beschwerde im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung der belBeh und gegen die seines Erachtens unzureichende Begründung des angefochtenen Bescheides. Dort seien lediglich die gegenläufigen Beweisergebnisse dargestellt, es fehle jedoch eine Begründung, weshalb aus Sicht der Behörde die Ermittlungsergebnisse letztlich überwiegend gegen eine vorsätzliche Handlung sprechen sollten. Daran anschließend legt die Beschwerde im Einzelnen jene Umstände dar, die nach Ansicht des Bf für das vorsätzliche Verhalten des P.T. als wahrscheinlichste Ursache der erlittenen Verletzungen sprächen. Außerdem habe der Bf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, in welcher er seinen Standpunkt nochmals überzeugend hätte darlegen können, die belBeh habe davon jedoch ohne ausreichenden Grund Abstand genommen.

 

VwGH: Im vorliegenden Beschwerdefall hat die belBeh die Wahrscheinlichkeit, dass P.T. durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung des Bf herbeigeführt hat, verneint und die für diese Annahme ausschlaggebenden Gründe, die sie ausschließlich aus dem gerichtlichen Strafakt entnommen hat, in der Beweiswürdigung dargestellt.

 

Diese Annahme der belBeh steht allerdings im Widerspruch zur Begründung des Strafurteils vom 1. April 2008. In diesem Strafurteil ist das OLG (im Übrigen aufgrund einer ähnlichen Beweiswürdigung, wie sie die belBeh dargelegt hat) zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tatbegehung durch P.T. lediglich "in einem Bereich der Wahrscheinlichkeit" gelegen sei, dass aber die Beweislage nicht die uneingeschränkte Überzeugung von der Tatbegehung durch P.T. habe vermitteln können. Das OLG ist zu diesem Ergebnis nach eigener Wiederholung der Beweisaufnahme, im Rahmen welcher neben dem Beschuldigten und dem Bf auch Zeugen und Sachverständige gehört wurden, gelangt.

 

Es ist daher unschlüssig, wenn die belBeh - ohne sich durch eigene Beweisaufnahme einen Eindruck von den Geschehnissen zu verschaffen - zum gegenteiligen Ergebnis des Strafgerichts gelangte, indem sie die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung verneinte.