15.01.2014 Sozialrecht

VwGH: Hilfeleistung nach dem VOG – Kausalität des Terroranschlages für die Erkrankung des Bf

Die belBeh ist zwar nicht gehalten, die mögliche Ursache für die depressive Erkrankung des Bf zu finden, sie hat aber nachvollziehbar zu begründen, warum bei geschilderter Symptomatik eine Kausalität iSd VOG zwischen den angegebenen Symptomen und der depressiven Erkrankung nicht besteht und diese depressive Erkrankung auch nicht kausal auf den Terroranschlag vom 27. Dezember 1985 zurückzuführen ist


Schlagworte: Verbrechensopferrecht, Hilfeleistung, Terroranschlag, depressive Erkrankung ,Kausalität, Ermittlungsverfahren, Begründung
Gesetze:

§ 1 VOG, § 2 VOG, § 4 VOG, §§ 37 ff AVG, § 58 AVG

GZ 2011/11/0217, 21.11.2013

 

Außer Streit steht, dass der Bf am 27. Dezember 1985 in Schwechat am Schalter der El Al Fluglinie anwesend war, schwere Verletzungen durch Schüsse und Granatsplitter in den unteren Extremitäten erlitten hat und als Opfer iSd. § 1 Abs 1 VOG zu qualifizieren ist.

 

Der Bf wendet sich in seiner Beschwerde gegen die seines Erachtens unzureichende Begründung des angefochtenen Bescheides. Es fehle (vorwiegend in den Gutachten) eine Begründung, weshalb aus Sicht der belBeh die Ermittlungsergebnisse letztlich überwiegend gegen eine Kausalität des Terroranschlags vom 27. Dezember 1985 sprechen sollten. Außerdem habe der Bf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, in welcher die beiden einander widersprechenden Gutachter Dr K und Dr F ihre Standpunkte nochmals überzeugend hätten darlegen können; die belBeh habe davon jedoch ohne ausreichenden Grund Abstand genommen.

 

VwGH: Der Bf leidet unstrittig an einer behandlungsbedürftigen depressiven Gesundheitsschädigung bzw Erkrankung, wobei es für den Beschwerdefall dahingestellt bleiben kann, wie die korrekte medizinische Bezeichnung dieser Gesundheitsschädigung bzw Erkrankung lautet.

 

Strittig ist allein die Frage, ob die behandlungsbedürftige depressive Erkrankung des Bf kausal iSd VOG auf den Terroranschlag vom 27. Dezember 1985 zurückzuführen ist. Die belBeh hat im vorliegenden Fall die Kausalität verneint.

 

In dem vom Bf während des Berufungsverfahrens vorgelegten Gutachten Dris K wird ua der Inhalt der vom Bf beschrieben "Flashbacks" und der damit zusammenhängende Leidensdruck ausführlich wiedergegeben. Der Bf hat diesem Gutachten zufolge angegeben, dass er zugesehen hätte, wie eine Frau, mit der er sich zuvor noch unterhalten hätte, durch einen Kopfschuss getötet worden sei. Zudem wird in diesem Gutachten angegeben, dass der Bf bei solchen "Flashbacks" immer wieder das eigentümliche Geräusch einer Handgranate höre, wie sie über den Boden rolle, und das Niederprasseln der Glassplitter sehe. Zu diesen "Flashbacks" seien sowohl körperliche Symptome als auch "nicht körperliche Symptome" wie depressive Verstimmung, Angstsymptomatik, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und innere emotionale Abstumpfung hinzugekommen. Von den erwähnten "Flashbacks" ist im Übrigen bereits in einer Stellungnahme der den Bf behandelnden Psychotherapeutin (Mag L) vom 21. Mai 2009 die Rede.

 

Die von der belBeh eingeholte Ergänzung des Gutachtens Dris F geht auf diese Angaben, insbesondere auf die geschilderten "Flashbacks" und den in diesem Zusammenhang bestehenden Leidensdruck, nicht ein.

 

Der Bescheid leidet vor diesem Hintergrund insofern an einem Begründungsmangel, als nicht ersichtlich ist, auf welchen entscheidungserheblichen Sachverhalt sich die belBeh gestützt hat. Da auf die im Gutachten Dris K geschilderten "Flashbacks" und Symptome in der ergänzenden Stellungnahme Dris F nicht eingegangen wird, ist es nicht erkennbar, ob die belBeh dem angefochtenen Bescheid überhaupt die Annahme zugrunde gelegt hat, dass die geschilderten "Flashbacks" und die angegebenen Symptome aufgetreten sind und weiterhin auftreten.

 

Sollte die belBeh davon ausgehen, dass die vom Bf behaupteten "Flashbacks" und auch die damit verbundenen körperlichen und nicht körperlichen Symptome auftraten und weiterhin auftreten, so fehlte es angesichts der unbestritten vorliegenden depressiven Erkrankung des Bf an einer Begründung, warum diese geschilderten Symptome nicht iZm der depressiven Erkrankung des Bf stehen sollten und die depressiven Erkrankung nicht überwiegend auf den Terroranschlag vom 27. Dezember 1985 zurückzuführen ist.

 

Es wäre auch nicht hinreichend begründet, wie diese "Flashbacks" auf andere Umstände zurückzuführen sein sollten, oder ausgeführt, dass sie keinen Krankheitswert haben bzw den behaupteten Leidensdruck nicht hervorrufen.

 

Die belBeh ist zwar nicht gehalten, die mögliche Ursache für die depressive Erkrankung des Bf zu finden, sie hat aber nachvollziehbar zu begründen, warum bei geschilderter Symptomatik eine Kausalität iSd VOG zwischen den angegebenen Symptomen und der depressiven Erkrankung nicht besteht und diese depressive Erkrankung auch nicht kausal auf den Terroranschlag vom 27. Dezember 1985 zurückzuführen ist.

 

Sollte die belBeh hingegen das Auftreten der erwähnten "Flashbacks" sowie der damit im Zusammenhang stehenden Symptome für nicht erwiesen erachten, so fehlte es an einer in diese Richtung zielenden schlüssigen Beweiswürdigung.

 

Auch wenn andere Faktoren wie Eheprobleme oder beruflicher Stress eine mögliche Ursache für die depressive Erkrankung des Bf darstellen können, ist im Übrigen jedenfalls aus dem der belBeh vorliegenden Verlaufsbericht von Mag L vom 15. Juli 2010 ersichtlich, dass 11 von 46 Sitzungen mit dem Bf als traumazentrierte Sitzungen abgehalten wurden, nicht hingegen, dass sich der Bf aufgrund von Eheproblemen oder beruflichem Stress an Mag L und in weiterer Folge an Dr P gewandt hat. Die Beweiswürdigung der belBeh ist insofern als nicht ausreichend nachvollziehbar anzusehen.

 

Soweit die belBeh in ihrer Begründung darauf hinweist, dass der Bf nahezu zwanzig Jahre beschwerdefrei war und es zu keinen massiven Ausfällen und maßgebenden Leistungseinbußen gekommen sei, fehlt es an einer auf medizinischen Sachverstand gestützten Begründung, weshalb bereits der von der belBeh offenbar angenommene verzögerte Ausbruch der depressiven Erkrankung des Bf dafür spricht, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigung des Bf nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den Terroranschlag zurückzuführen sein kann. In diese Richtung weisende Erfahrungssätze werden von der belBeh in der Bescheidbegründung nicht genannt; sie sind auch dem von der belBeh verwerteten Gutachten Dris F und der ergänzenden Stellungnahme Dris F nicht zu entnehmen.

 

Die Verneinung der Kausalität des Terroranschlages für die Erkrankung des Bf erweist sich demnach als mit wesentlichen Begründungsmängeln behaftet.